Trotz Krankheit in der Arbeit
Die Valentinerin Gisela Singer untersuchte in ihrer Diplomarbeit das Phänomen
"Präsentismus".
ST. VALENTIN. Die beiden Positionen sind klar bezogen. Regelmäßigen Meldungen der Wirtschaftskammer über angeblichen Krankenstandmissbrauch stehen Klagen der Arbeiterkammer gegenüber: Rund 40 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer gehen laut AK OÖ auch im Krankheitsfall zur Arbeit. AK-Präsident Johann Kalliauer erklärt zu diesem als "Präsentismus" bezeichneten Phänomen: "Durch das Verhalten, krank zur Arbeit zu gehen, schaden die Arbeitnehmer nicht nur langfristig ihrer Gesundheit, sondern auch dem Unternehmen. Nur eine produktive Anwesenheit ist ein Gewinn für die Firma." Die Valentinerin Gisela Singer, Studentin der Sozialwirtschaft an der JKU Linz, setzte sich in ihrer Diplomarbeit mit Ursachen und Folgen des Präsentismus auseinander. "In meinem Modell habe ich Einflussfaktoren definiert, die dazu führen, dass jemand krank zur Arbeit geht", erklärt Singer. Zeitdruck und Jobunsicherheit seien solche Faktoren, ebenso persönliches Überengagement, Loyalität zu den Kollegen sowie der Umstand, dass es einfach keine Vertretung für den Aufgabenbereich gebe. Eine wichtige Rolle spiele auch das in vielen Unternehmen gängige "Fehlzeitenmanagement", das Briefe an die Abwesenden, Krankenrückkehrgespräche und Bonussysteme für "Nie-Kranke" umfasst. "Ich weiß von einem Unternehmen in Niederösterreich, dessen Beschäftigte im Krankheitsfall Urlaub nehmen, nur um den üppigen Bonus für 'Ein-Jahr-Nicht-Kranksein' zu kassieren." Eine Befragung unter rund 300 Arbeitnehmern bestätigte Gisela Singers Modellannahmen weitgehend und zeigte, dass Präsentismus direkt zu Burnout führen könne. "Als Gegenmaßnahmen schlage ich unter anderem vor, die Arbeit verstärkt in Teams zu organiseren." So seien einzelne Arbeitnehmer nicht mehr unabkömmlich. "Fast jeder, dem ich von meinem Thema erzählt hab, hat gemeint 'Ja, ich bin auch schon krank zur Arbeit gegangen'", sagt die Valentiner Studienautorin, die selbst acht Jahre in einem Softwareunternehmen angestellt war.
Arbeitsklima entscheidend
Singer räumt ein, dass ihre Untersuchung letztlich auf dem "subjektiven Krankheitsempfinden" der Befragten beruhe. An diesem Punkt haken Personalmanager gerne ein, um die Diskussion wieder auf das Thema Krankenstände zu bringen: "Heute ist es üblich, dass man sich wegen einem einfachen Infekt gleich eine Woche oder länger krankschreiben lässt", meint der Vertreter eines namhaften Personaldienstleisters mit Sitz in Linz und St. Valentin. "Dazu kommen schwer überprüfbare Volkskrankheiten wie Rückenschmerzen." Der Personalist schlägt vor, nur mehr bestimmte, in einer Liste festgelegte Ärzte sollten Krankenstände genehmigen. "Wir führen sehr wohl statis-tische Aufzeichnungen über die Krankenstände", sagt dazu der Personalverantwortliche des Ennsdorfer Metallbauunternehmens ISW. Bei "auffällig vielen Kranken" folge ein Gespräch mit dem betroffenen Abteilungsleiter: "Wenn es viel Stress in der Produktion gibt oder aber die Auslastung zu gering ist, erleben wir viele Krankenstände", so der ISW-Manager. "Wenn das Arbeitsklima hingegen gut ist, kommt es durchaus vor, dass zufriedene, hoch motivierte Mitarbeiter auch einmal krank in die Arbeit kommen."
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