MeinBezirk-Reportage
Oberlaa aus der Perspektive eines Sehbehinderten
Menschen mit einer Sehbehinderung nehmen ihre Umgebung ganz anders wahr. So auch die Plätze in Wien – wie etwa den Kurpark Oberlaa. Der sehbehinderte Dominic Schmid berichtet für MeinBezirk.at aus seiner Perspektive.
WIEN. Die Stadt aus anderer Perspektive: Dominic Schmid beschreibt spannende Orte in ganz Wien. Der stark sehbehinderte Journalist nimmt uns mit auf seine außergewöhnliche Reise durch die Bezirke. "Ich kann es kaum erwarten, die ersten Frühlingsdüfte einzufangen. Und wo ginge das besser als im Kurpark Oberlaa im 10. Bezirk", so Schmid.
Hier seine Reportage für MeinBezirk.at:
Ich steige in die U1 und fahre bis zur Endstation. Dann sind es nur noch ein paar Schritte und meine Begleiterin und ich stehen auf einem asphaltierten Platz. Es ist der Parkplatz des Kurhauses Oberlaa. Dieses liegt hinter mir und auch vor mir sehe ich ein Gebäude. „Das ist die Konditorei Oberlaa“, erklärt mir meine Begleiterin. Ich schnuppere angestrengt, aber ich rieche nichts, was irgendwie logisch ist.
Denn wie ich schon in meinem Artikel „So viele Museen?“ erwähnt habe, riecht man Torten nicht, wenn man auf einen Kaffee in eines der zahlreichen Lokale gehen will. Im Gegensatz zum Museumsquartier höre ich hier auch kein Geschirr klappern, was wohl daran liegt, dass das Wetter nicht gerade zum Verweilen auf der Terrasse einlädt.
Erinnerungen an Ostergras
Mir ist es einerlei, wie und ob Torten duften. Ich will den Frühlingsduft im Kurpark Oberlaa einatmen. Ein asphaltierter Weg schlängelt sich bergauf. Nach der nun mittlerweile dritten Ortsbeschreibung, in der ich formuliere, dass ich bergauf gehe, habe ich es endlich kapiert. So flach wie ich mir als „Tiroler Bergkind“ den Osten Österreichs immer vorgestellt habe, ist er tatsächlich nicht.
Auf den Wiesen gibt es allerlei Pflanzen zu entdecken. Vor einer bleibe ich stehen und betrachte sie etwas genauer. Das Gras auf dieser Wiese sieht ziemlich vertrocknet aus und ich vermute, dass es sich um Stroh handeln muss. Neugierig fasse ich das Gras an. Meine Begleiterin erklärt mir, dass es sich um Ziergras handelt. Bei näherer Betrachtung fällt mir ein besserer Vergleich ein, der auch noch recht schön zum Frühling passt. Das Gras erinnert mich nämlich an das Ziergras, das man oft in Osternestern findet.
Veilchen ohne Duft
Wir gehen weiter und ich sehe einige Bäume, um deren Stamm ein grüner Sack gewickelt ist. Ich erfahre, dass es sich um junge Bäume handelt und der grüne Sack zur Bewässerung dient. Das ist zwar interessant und auch wichtig für die jungen Bäume, aber es riecht nicht nach Frühling.
Etwas später erhalte ich von meiner Assistentin ein Veilchen. Nein, kein „blaues Veilchen“, weil ich etwas Schlimmes getan habe! Ein echtes Veilchen wird mir zum Riechen unter die Nase gehalten. Ich nehme es in die Hand und drehe es hin und her, halte es direkt vor mein Gesicht. Aber selbst dann muss ich mich ganz schön anstrengen, um den Duft der zarten Blume wahrzunehmen. Besser als nichts, aber immer noch nicht der Frühlingsduft, den ich erwartet hatte.
Pause in der Sonne
Also gehen wir weiter. Der Weg führt weiter bergauf. Da alle Wege asphaltiert sind, komme ich mit meinem Blindenstock gut voran und auch für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer sollte der Park gut zu erkunden sein. Am höchsten Punkt angekommen, sehe ich viele Bänke vor mir. Diese sind, wie alle Bänke im Park, nach Süden ausgerichtet. Sie laden also zum Sonnenbaden ein.
Dann sind wir am Lieblingsplatz meiner Begleiterin. Es ist die „Winterheide“. Zuerst sehe ich nur ein paar Bäume und Pflanzen. Es sieht nicht viel anders aus als überall sonst im Park. Doch als ich genauer hinschaue, merke ich, dass alles lila ist. Um den Pflanzen näher zu sein, gehe ich auf einem Trampelpfad durch die Heide. Und da riecht es endlich irgendwie nach Natur. Ich kann es nicht genau einordnen, aber zumindest liegt ein Hauch von Frühling in der Luft. Und wem die berühmte Lüneburger Heide im Nordosten Sachsens zu weit weg ist, der findet hier seine eigene kleine Heide.
Der tierische Teil
Wir verlassen die Heide in Richtung Nordausgang und plötzlich rieche ich etwas. Aber es ist kein Frühlingsduft, sondern ein ziemlich beißender Geruch. Er kommt aus dem Tiergehege, vor dem wir stehen bleiben. Direkt vor mir sehe ich einige Alpakas, die uns neugierig anschauen.
Wahrscheinlich haben sie Hunger und hoffen, von uns ein paar Bissen Brot zu bekommen. Pech gehabt! Das Füttern der Tiere ist hier ausdrücklich verboten. Weiter hinten kann ich ein Haus ausmachen. Es soll Schafe geben, und früher haben hier auch Lamas gelebt.
Schneeball mit Frühlingsnote
„Tja, das war’s dann wohl mit dem Frühlingsduft“, denke ich enttäuscht, als wir uns endgültig auf den Weg zum Ausgang machen. Doch plötzlich bleibt meine Begleiterin stehen und hält mir eine weiße Blüte unter die Nase. Es riecht tatsächlich nach Frühling. Der Duft, der von der Pflanze ausgeht, erinnert mich an Jasmin. Gierig atme ich den Duft ein. Die Blüte gehört zu einem Schneeball, einer japanischen Winterpflanze.
Nach dem Parkbesuch muss ich feststellen, dass man auch in Wien Natur erleben kann. Jedenfalls im Kurpark Oberlaa, denn hier darf man querfeldein über die Wiesen laufen, Bäume und Pflanzen berühren und an Blumen riechen. Damit hat die Metropole ein weiteres Klischee widerlegt, das ich als Tiroler Dorfkind von ihr hatte.
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