Fasten mit Sinn
"Weniger Selbstdisziplin und sich mehr gehen lassen"

- Wolfgang Roth ist Pastoralassistent in Freistadt.
- Foto: Lackner-Strauss
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Rechtzeitig zur bevorstehenden Fastenzeit haben Diäten und verschiedene Kuren Hochkonjunktur. Doch haben Verzicht, strikte Vorschreibungen und enorme Selbstdisziplin noch etwas mit dem eigentlichen Gedanken und Ziel des Fastens zu tun?
BEZIRK FREISTADT. Die Fastenzeit ist für viele Menschen ein guter Anlass, die eigene Lebensführung einem prüfenden Blick zu unterziehen: eine Diät oder die gute alte Alkoholabstinen, Tetox oder eine Fastenkur? In diesem Fall steht eine ganze Wellness- und Selfness-Industrie mit breiter Produktpalette bereit. Mit dem Fasten im ursprünglichen Sinn hat das eher wenig gemeinsam.
Innere Umorientierung, nicht Selbstoptimierung
Es mag für viele verwunderlich klingen, aber beim Fasten geht es nicht in erster Linie darum, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. "Das erscheint uns gern so, weil wir - von Werbebildern verseucht - mittlerweile alles als Aufruf zur Selbstoptimierung verstehen", betont Wolfgang Roth, Pastoralassistent in der Pfarre Freistadt. Gesünder leben, weniger trinken, mehr Sport, Problemzonen ausmerzen, Ernährung anpassen, Leistungsfähigkeit steigern – das ist der unmenschlich-ideologische Grundgedanke unserer Zeit. Und mit Fasten hat der nur wenig zu tun. Denn Fasten zielt, wie Roth erklärt, in erster Linie auf das Innere des Menschen ab.
"Es geht dabei vorwiegend um eine innere Umorientierung. Es ist der Versuch, festgefahrene Haltungen und Gewohnheiten aufzubrechen und dadurch als Mensch Erneuerung zu fahren. Das kann in Folge dazu führen, dass sich Menschen in ihrer Gesamtheit wohler fühlen. Dieser wünschenswerte Nebeneffekt lässt sich jedoch nicht erzwingen."
Sich mit sich selbst versöhnen
Für den 33-Jährigen ist es – in dieser Zeit der zwanghaften Selbstoptimierung – hoch an der Zeit, sich innerlich umzuorientieren:
"Die Fastenzeit kann ein guter Anlass sein, die eigene Lebensführung einem prüfenden Blick zu unterziehen. Und dann wird schnell deutlich: Eine Leistungsgesellschaft braucht nicht noch eine Diät, nicht noch eine Entgiftung, nicht noch mehr Disziplin und Sport."
In einer derart von Leistung und Druck geprägten Gesellschaft bedeutet Fasten nämlich genau das Gegenteil davon. Vielmehr könnte man die Fastenzeit als wertvolle Chance sehen, sich auch mal gehen zu lassen und sich zuzutrauen, die Dinge einmal aus der Hand zu geben, anstatt sie noch mehr in den Griff zu bekommen.

- Warum nicht die Fastenzeit dazu zu nutzen, sich mit selbst zu versöhnen, anstatt sich selbst optimieren zu wollen?
- Foto: AsierRomeroCarballo/panthermedia
- hochgeladen von Marlene Pühringer
Roth schlägt vor, die 40 Tage vor Ostern dazu zu nutzen, sich mit dem einen oder anderen Fettpölsterchen zu versöhnen, sich über die (Lach-)Falten im Spiegel zu freuen und sich das eine oder andere Bier nicht moralinsauer vorzuhalten. Nur dann sei nämlich ein achtsamer und gütiger Genuss möglich, der einen selbst ebenfalls "genießbarer" werden lässt. Die Aussöhnung mit der eigenen Lebensrealität führe am Ende nämlich oft zu Veränderungen, die mit krampfhafter Selbstdisziplinierung niemals möglich wären.
Eine tief spirituelle Erfahrung
Der Theologe möchte in diesem Jahr dazu animieren, die Fastenzeit zu nutzen, Unbekanntes zu wagen. "Wer diesen Weg einschlägt, der auch in die tiefen Schichten und Abgründe unserer Seele führt, wird Veränderung erfahren." Fasten kann nämlich im ursprünglichen Sinn, neben einer lebensweltlichen und psychischen Erfahrung, auch in eine spirituell-religiöse Inspiration münden. Wenn wir uns trauen, loszulassen, geben wir einer anderen Stimme die Gelegenheit, in uns zu Wort zu kommen, einer umfassenden Lebensquelle – manche Menschen nennen sie Gott – die uns durchatmet, durchwirkt und durchlebt. Roth:
"Im besten Fall sind wir am Ende einer gelungenen Fastenzeit uns selbst, unseren Mitmenschen sowie der Welt und was ihr Leben gibt, ein Stück näher gekommen. Oder auch nicht – denn erzwingen lässt sich beim Fasten gar nichts!"


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