Erasmus Seiringer, geboren 1928.
"Ich hatte eine wunderbare Familie"

Erasmus Seiringer ist heute dankbar, viel Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. | Foto: Gwendolin Zelenka
  • Erasmus Seiringer ist heute dankbar, viel Zeit mit seiner Familie verbringen zu können.
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GASPOLTSHOFEN (gwz). Erasmus Seiringer kam im Mai 1928 auf die Welt, er wohnt heute wieder in seinem Geburtshaus in Gaspoltshofen und erzählt aus der Vergangenheit, als er russischer Gefangener war.

Sie sind 1928 geboren, was sind denn Ihre Erinnerungen an die Zeit vor dem Krieg?

Ich hab eigentlich nur gute Erinnerungen bis 1938. Da kam dann der Nationalsozialismus und ich war Ministrant und als solch einer wurde man damals sozusagen gemobbt. Ich hab ein schlechteres Zeugnis erhalten, als mir zustand. Der Sohn vom damaligen Bürgermeister, Wolfgang, ist mit mir zur Schule gegangen, wir sind dann gute Freunde geworden. Sein Vater war zur nationalsozialistischen Zeit Bürgermeister, mein Vater ist dreimal auf die Kreisleitung berufen worden und ist jedes Mal mit dem KZ bedroht worden.
Die Kreisleitung ist das, was heute die Bezirksleitung ist.

An die Kindheit selbst haben Sie also gute Erinnerungen?
Ich hab sehr gute Erinnerungen an die Kindheit, ich hatte eine wunderbare Familie.

Fällt Ihnen etwas Besonderes zu Ihrer Kindheit ein?
Etwas, was mir immer wieder einfällt ist ein Ereignis mit meinem Vater. Ich stand mit ihm vorm Hoftor beim Haus. Er wollte gerade das Tor schließen, als ein Mann mit einem weiten Hut und komischen Mantel daherkam. Er redete dann mit meinem Vater auf eine Art, dass ich ihm am liebsten eine mitgegeben hätte. Ich hab gespürt, dass er sich gegenüber meinem Vater nicht ordentlich verhalten hat. Als er gegangen ist, hab ich meinen Vater gefragt, was der wollte. Da sagte er, dass es ein Jude war. Ein Kredithai, der von ihm Adressen von Leuten wissen wollte, die Geld brauchen. Und weil ihm mein Vater nichts verraten hat, ist er dann sozusagen böse geworden, aber mein Vater hat nur gelacht.

Haben Sie schon immer hier gewohnt?
Das Haus, in dem ich heute wohne, ist mein Geburtshaus. Das Haus drüben war ein Bauernhaus. Mein Vater kaufte das Haus mit zwei Joch, ein Joch sind 5.700 Quadratmeter. Er brachte dann das Geschäft da rüber, das war 1932. 15.000 Schilling war das Haus damals wert. 1933 sind wir dann übersiedelt, weil wir dort mehr Platz hatten. Mit vier Hektar Grund war uns der Platz vorher zu wenig.

Sind Sie in einer großen Familie aufgewachsen?
Ja, ich hab drei Geschwister. Die Älteste lebt noch, in Schärding draußen, die ist drei Jahre älter als ich, also 93 Jahre alt. Die Zweitälteste wäre jetzt 92, die ist gestorben. Mit guten 70 Jahren bekam sie Parkinson. Ich war der Dritte und dann hab ich noch eine sieben Jahre jüngere Schwester, die in Grieskirchen ist.

Wie war Ihre Schulzeit?
Mit 14 Jahren bin ich aus der Schule raus, ich war nur in der Volksschule. Mein Vater wollte nicht, dass ich in die Hauptschule fahre. Da mussten die Schüler mit dem Zug fahren und da ist es recht zugegangen und da wollte mein Vater nicht, dass ich zu denen komme. Ich war acht Jahre in der Volksschule.

Wie ging es nach der Schule weiter?
Nach der Schule hab ich im elterlichen Geschäft eine Lehre gemacht.

Was war das für eine Lehre?
Eine kaufmännische Lehre. Ich hab aber dann die Kaufmannsgehilfenprüfung gemacht, nach nur zwei Jahren Berufsschule. Ich hab sie bestanden und hab dann im November 1944 auch noch die Fahrschule gemacht. Am 10. oder 15. Jänner musste ich dann zum Arbeitsdienst einrücken. Erst mal war ich in einem Wehrertüchtigungslager, ein HJ-Lager praktisch, aber da kam einfach jeder hin, der im wehrfähigen Alter war… obwohl wir mit 16 Jahren nicht wirklich im richtigen Alter waren. Wir konnten da eben schon die Fahrschule machen, ab 16 Jahren durfte man mit diesen Fahrzeugen fahren.
Vier Wochen war ich in der Nähe von Salzburg. Im Dezember musste ich nach Mittendorf einrücken, wo ich zwei Monate verbrachte. Danach wurden wir aber nicht entlassen sondern wurden sofort zum Militär überstellt.

Da waren Sie 16 Jahre alt?

Ja, da war ich 16. Die, die sich zur SS gemeldet haben, die wurden in dem Sinn nicht eingezogen sondern die haben nach Hause dürfen.
Wir waren dann in einer Baracke zu viert, da war Wolfgang, der Freund von mir, in der Stube nebenan. In meiner Stube waren wir zu zweit. Ich hatte oft Angst wegen dem Krieg. Einer von meinen Kollegen sprach darüber, dass der Krieg ohnehin schon verspielt ist, da hab ich mir Sorgen gemacht und sagte ihm, er soll sich damit zurückhalten, sonst bringen sie ihn nach Dachau.

Wie haben Sie den Krieg erlebt?
Mein Vater hat nach Dachau zweimal ein Lebensmittelpaket, mit Salz, Zucker, Mehl und so weiter, geschickt. Ich weiß nicht, wie er das erfahren hat, aber es ging dort jemandem sehr schlecht, der hatte Zucker. Also hat er die Pakete geschickt. Der bekam dann auch diese Lebensmittel, dieser Dachauer hat seiner Mutter im Mühlviertel einen Brief geschickt, in dem er das bestätige, und die leitete den dann weiter an uns.

Wie hat Sie der Ausbruch vom Krieg betroffen?
Vor 1938 noch hat sich mein Vater die Rede von Hitler angehört und hat damals schon gesagt: Der treibt es noch so weit, dass ein Krieg ausbricht. Das hat er schon ein bis zwei Jahre vorher geahnt. Mit Betrübnis haben wir das alle wahrgenommen, meine Eltern wussten ja, was uns erwartet, weil sie den ersten Weltkrieg erlebt haben, dass die Lebensmittel knapp werden…

Sie waren Kriegsgefangener in Russland, was ist passiert?
Nach dem Arbeitsdienst wurden wir ja sofort zur Wehrmacht überstellt. Zur Panzer-Division. Wir waren da mit dem Zug von Mittag weg bis zum Abend am nächsten Tag unterwegs, da gab es einen Truppenübungsplatz in Wischau. Wir bekamen dort nichts als eine Spinatsuppe zu essen. Seitdem fürchte ich den Spinat!
Wir waren dort vierzehn Tage in zivil. Während wir da schliefen, kamen Partisanen herein, in das Privathaus in dem wir im Stroh schliefen, haben uns aber nichts getan. Es gab da eine Bäckerei, wo man gegen Zigaretten etwas Brot bekam.
Über Nacht wurden wir da praktisch eingekleidet, haben die Uniformen vom Militär bekommen. Mit LKWs fuhren wir dann nach Rohrbach, wo wir in einem Heustall untergebracht waren. Neben der Straße waren teilweise Leute auf Masten aufgehängt, da haben wir uns natürlich gefürchtet. Wenn wir dann über Nacht wegtransportiert wurden, wussten wir nie, wo es hinging, wir wurden ja nicht informiert.
Wir waren dann auf der Nordseite der Donau, in Niederösterreich, die Russen auf der Südseite. Da kamen dann die Flugzeuge von den Russen, die auf unserer Seite Bomben abgeladen haben. Eine Zeit lang war es ruhig bei uns, vor uns war noch eine andere Front.

Mussten Sie mal schießen?
Einmal gab ich einen Warnschuss ab. Da ging einer die Straße entlang, als wäre gerade kein Krieg, ich konnte aber nicht erkennen, ob es ein Russe oder Zivilist war. Mein Vater war stolz, dass er nie auf einen Menschen schießen musste, aber ich musste diesen Mensch warnen. Ich hab auf einen Giebel bei einem Haus geschossen und hab da den Staub gesehen. Ich wusste also, dass ich ihn nicht getroffen habe. Da ist der Mensch dann gerannt und in Deckung gegangen.
Bei der Burg Kreuzenstein in Leobendorf waren wir dann in vorderster Linie, da gab es dann Schützenlöcher. Die waren so tief, dass der Rand im Stehen fast bist zur Nase reichte. Ich war in einem der Löcher, im nächsten Loch war ein Schulfreund von mir.
Ich hatte dann sehr viel Glück, denn gerade als die Russen angriffen, war ich hinter einem Werkzeugschuppen und schaute dann, dass ich es über das freie Gelände zum Loch schaffte. Da bin ich hineingehüpft und genau in dem Moment hat eine Granate eingeschlagen. Wäre ich eine halbe Sekunde später angekommen, hätte sie mich erwischt. Ich wusste nicht, ob in dem Moment die Russen oder die Deutschen schossen. Ich hab meinen Helm dann auf die Seite gedreht, so erkennt man dass es ein deutscher Helm war. Auf einmal kam kein Schuss mehr. Es war Ruhe. Am Abend kamen deutsche Kameraden rüber und haben unsere Stellung bezogen. Ich hab gefragt, was mit unseren Leuten los ist und da wurde mir gesagt, dass die zurück hinter den Sammelplatz sind. Ich bin zurück, da sah ich, dass unsere Kompanie um die Hälfte reduziert wurde bei dem Angriff.

Was geschah, als der Krieg vorbei war?
Ich war dann nicht mehr an der Front und als der Krieg vorbei war, sind wir vor den Russen geflüchtet, Richtung Oberösterreich. Oberdonau, damals. Im Mühlviertel haben wir den ersten amerikanischen Panzer gesehen, der war aber verlassen. Die eine Hälfte war amerikanisch besetzt, die andere russisch.
Drei Kilometer vor Linz wurden wir aufgehalten, die Amerikaner haben gesagt dass die Straßen so überfüllt sind, sie können uns nicht aufnehmen. Wir sind dann nach drei vier Tagen von den Russen gefangen genommen worden, ab da waren wir dann russische Gefangene. Mit einem Lastwagen wurden wir nach Zwettl gefahren.
Von Zwettl sind wir dann 40 Kilometer nach Horn marschiert, entlang der Straße lagen da unzählige Tote, neben uns die Russen mit der Kalashnikov. Dort waren wir ein paar Tage in Zelten untergebracht, am 2. Juni 1945 sind wir in Wagons gekommen, sind drei Wochen gefahren über die Türkei, Ungarn, Jugoslawien, bis nach Rumänien. Dort wurden wir umgeladen, waren zwei Tage in einem Lager. Danach sind wir eine Woche mit dem Zug über Kiew gefahren, bis wir etwa 150 Kilometer von Moskau entfernt waren.
Von einer Sowchose kam ich dann irgendwann ins Lager zurück, ich wusste aber nicht warum. Wir wurden dann in einen Viehwagon gesteckt und Richtung nach Hause gefahren. An einem Grenzort wurden wir umgeladen in eine Schmalspurbahn. In Wien im Ostbahnhof kamen wir dann an und wurden aus dem Wagon gelassen, wir sind dann mit der Straßenbahn durch Wien durch.
Von Wien sind wir in einem Sammeltransport nach Hallein zur Entlassung. Wir sind so spät angekommen dass wir auf den nächsten Tag warten mussten. Wir bekamen dann eine Fahrkarte, wir hatten ja nichts. Mit dem Schnellzug konnte ich nach Attnang fahren, nach Neukirchen. Am 22. August 1946 kam ich nach Hause.

Haben Sie in der ganzen Zeit von Ihrer Familie gehört?

Wir konnten 1946 im Mai vom Roten Kreuz aus eine Karte schreiben, die Karte kam tatsächlich zuhause an. Die Rückkarte erreichte mich und dann wusste ich, dass meine Familie noch lebt! Das war im Juni 1946.

Wir war die Rückkehr nach Hause?
Das kann man sich nicht vorstellen, das kann man nicht beschreiben. Das ist ein Erlebnis, das man nur einmal im Leben hat. Mein zweiter Geburtstag sozusagen. Die Familie saß dann im Kreis, alle um den Tisch herum. Wir saßen beinander, redeten miteinander. Damals traute man sich ja noch nicht, seine Eltern zu umarmen. Ins Gesicht schauen und die Hände geben, das ist Oberösterreicher-Brauch. Damals gab es einen Händedruck und man schaute dem anderen in die Augen. Da kann man sagen, wer das ist.

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