Theaterforum Humiste spielt „Vergessen, dass …“
Diagnose Alzheimer – familiäre Zerreißprobe zwischen Erinnern und Vergessen

Das Ensemble spielt sich eindrücklich durch das familiäre Tauziehen rund um die Alzheimer-Erkrankung des Vaters und Ehemanns. vorne: Nicole Müller und Julia Amprosi, hinten: Maximilian Heiss und Roswitha Matt.
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  • Das Ensemble spielt sich eindrücklich durch das familiäre Tauziehen rund um die Alzheimer-Erkrankung des Vaters und Ehemanns. vorne: Nicole Müller und Julia Amprosi, hinten: Maximilian Heiss und Roswitha Matt.
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IMST(alra). Am 11. Oktober feierte das Theaterforum Humiste in der Stadtbühne Imst die Premiere von „Vergessen, dass …“, einem Stück von Jan Neumann unter der Regie von Madeleine Weiler. Das Werk widmet sich dem Thema Alzheimer – mit einer überraschenden Balance aus Menschlichkeit, groteskem Humor und schmerzhafter Wahrhaftigkeit. Dem Ensemble – Roswitha Matt, Julia Amprosi, Nicole Müller, Maximilian Heiss und Siegmar Riha – gelingt es gleich zum Auftakt, das sensible Thema mit Leichtigkeit und Tiefe auf die Bühne zu bringen und das Publikum zu begeistern.

Inhalt und Dramaturgie

Im Mittelpunkt steht eine Familie, die mit der Alzheimer-Diagnose des Vaters konfrontiert wird. Doch wer in ihm den sichtbar dominierenden Mittelpunkt vermutet, irrt: Siegmar Riha ist als Vater und Ehemann nur kurz auf der Bühne zu sehen. Diese dramaturgische Entscheidung besitzt Symbolkraft – er verschwindet zunehmend auch von der „Lebensbühne“ der Familie. Was zunächst wie alltägliche Vergesslichkeit eines alternden Mannes wirkt, entpuppt sich als unumkehrbarer Prozess – und als Zerreißprobe für die Angehörigen.

Zwischen Verantwortung und Verdrängung

Die studierende Tochter Lisa, nahbar und intensiv von Julia Amprosi gespielt, erkennt früh die ersten Anzeichen der Krankheit. Ihre Sorgen verhallen jedoch beim Rest der Familie, der zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Konsequente Verdrängung ist angesagt, Realität wird verweigert, kostbare Zeit verstreicht. Mutter Claudia, authentisch und souverän von Roswitha Matt übernommen, sucht Freiheit und Selbstverwirklichung in Vulkanwanderungen und Astrocoaching statt in Verantwortung. Sohn Frank, alias „Magic Lars“, flüchtet sich als angehender Kleinkünstler in Auftritte mit Dorfbühnencharme und in die Illusion des Erfolgs. Maximilian Heiss überzeugt hier einmal mehr mit hoher Professionalität und Wandlungsfähigkeit – vom Möchtegern-Showstar zum zerrissenen Sohn, vom Pfleger bis hin zum Schauspieler, der jede Szene mit voller Präsenz und klarem Timing trägt. Noemi, die gutsituierte Halbschwester, nuanciert und gefestigt von Nicole Müller dargestellt, versucht ihr schlechtes Gewissen mit finanziellen Gesten zu beruhigen – schmerzfreie Überweisungen zwischen Loftleben und Botox-Biennalen.

Zusammenhalten oder auseinanderbrechen?

So entsteht ein bitterkomisches Familienpanorama: Alle suchen nach Entlastung, flüchten in Ersatzhandlungen – und übersehen, dass das eigentliche Drama längst nicht mehr der Verfall des Vaters ist, sondern das schleichende Auseinanderfallen der Familie. Neumann entlarvt die Abwehrmechanismen mit messerscharfem Humor, der ins Absurde kippt. Gespräche zur Lösungsfindung enden in einem Reigen aus Ausreden und Zuständigkeitsfragen: Wer hat weniger Zeit, mehr Verpflichtungen, mehr Recht auf Mitbestimmung oder weist höhere Kompetenz auf? Wer ist dem Vater näher, wichtiger oder wird gar mehr geliebt – Ehefrau, Tochter, Sohn, Stieftochter?

Emotionale Zerreißprobe

Lisa bleibt die Einzige, die konsequent für die Interessen des Vaters eintritt – und dabei auf Dauer emotional auf der Strecke bleibt. Die Zerrissenheit aller zwischen Pflichtgefühl und Selbstschutz zieht sich wie ein roter Faden durch die Handlung. Das eigentliche Scheitern liegt nicht im Vergessen, sondern im Unvermögen, gemeinsam zu erinnern und entsprechend zu handeln – die Situation gemeinsam anzunehmen, statt gegeneinander anzutreten. Mit Zeitsprüngen durch fortschreitende Krankheitsphasen – von der häuslichen Pflege bis zum Heim und letztendlich darüber hinaus – zeigt das Stück weniger die Chronologie des Krankheitsverlaufs, sondern primär den schleichenden Verlust familiärer Solidarität. Der Vater bleibt das abwesende Zentrum, um das sich alles dreht, während längst ohne ihn und über ihn hinweg entschieden wird. Die verbleibende Zeit mit ihm bleibt lange ungenützt, permanent durchdiskutiert und sehr spät reflektiert.

Schauspiel und Inszenierung

Das Ensemble – Roswitha Matt, Maximilian Heiss, Julia Amprosi, Nicole Müller und Siegmar Riha – überzeugt mit differenziertem, charakterstarkem Spiel. Zwischen Komik und Tragik entfalten sie die emotionale Ambivalenz der Figuren prägnant. Regisseurin Madeleine Weiler entwickelte eine Inszenierung, die mit Anspruch unterhält, fordert und überrascht. Besonders stark wirkt die Metaebene, auf der Schauspieler*innen scheinbar aus ihren Rollen treten, Szenen unterbrechen oder Textpassagen „vergessen“ – und so das Vergessen selbst zum Theaterprinzip machen. Diese „Hänger“ und Live-Diskussionen sind bewusste Irritationen, die eine lebendige Spannung zwischen gespieltem Echt und echtem Spiel erzeugen – das Unerwartete wird zur Regel.

Alzheimer – mehr als eine Diagnose

Alzheimer – die häufigste Form der Demenz – betrifft Millionen Menschen weltweit. Sie verändert nicht nur das Leben der Erkrankten, sondern auch das ihrer Nächsten. Neumanns Stück legt die sozialen und psychologischen Bruchstellen dieser Realität offen: Schuld, Überforderung, emotionale Distanz, Verdrängung. Es fragt nach Verantwortung und Verständnis – und findet auch im Humor eine mögliche Überlebensstrategie oder zumindest eine Antwort, die im eigentlichen Drama des Vergessens nicht vergessen werden darf.

„Erinnerungen aus der Müllkiste des Vergessens ausgegraben“ – dieser Satz bleibt im Ohr. Letztlich geht es um das, was bleibt: Gefühle, Verbindungen, Spuren von Liebe, von gemeinsam Erlebtem. Auch wenn Betroffene im Verlauf der Krankheit die Welt und ihre Nächsten vergessen – für das Umfeld bleibt eines unverändert bestehen: die Chance sich daran zu erinnern, wer dieser Mensch war – und so wiederzuerkennen, wer er im Grunde immer noch ist.

Stilles Plädoyer, laut gedacht, gut erspürt

Eine Premiere, die das Publikum beeindruckte und bewegte. Roswitha Matt: „Unserer Erwartungen wurden bei vollem Haus übertroffen – wir haben sehr berührende Rückmeldungen bekommen!“ Ein Abend zum Mitdenken, Mitfühlen und Mitlachen. Kein Stück nur über Krankheit, sondern über das Leben selbst: über Veränderung, Akzeptanz und Erinnerung. Ein stilles Plädoyer für Empathie, Perspektivwechsel und Achtung. Denn der Mensch definiert sich letztendlich nicht über die Summe seiner in ihm abgespeicherten Erinnerungen, sondern bleibt wertvoll in dem, was er im Hier und Jetzt ist – und in dem, was von ihm in der Erinnerung anderer weiterlebt.

Was: Theaterforum Humiste - "Vergessen, dass..."

Wann: Premiere Samstag, 11. Oktober 2025, 20 Uhr

Weitere Termine: 19., 24., 26., 30., 31. Oktober und 7., 9., 13., 16. November, 
An Sonn- und Feiertagen: 18 Uhr, an allen anderen Tagen 20 Uhr

Kartenreservierung erforderlich! www.humiste.at oder www.stadtbuehne.at oder +43 664 6360646

Wo: Stadtbühne Imst

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