Leserbrief: Jugend und Politikverdrossenheit

Warum vergangenem Samstag keine Jugendlichen an der Podiumsdiskussion mit den Jugendkandidatinnen und -kandidaten rund um die Gemeinderatswahlen 2016 im Jugendzentrum Imst teilgenommen haben? Experten sind sich einig. Viele Menschen haben genug von Politik, sind enttäuscht, verärgert und interessieren sich deshalb nicht mehr dafür. Den Vorwurf, an Politik überdrüssig zu sein, müssen sich vor allem junge Menschen gefallen lassen. Doch woran liegt diese Abkehr?
Die Antwort ist einfach: In Wirklichkeit wollen wir weder kritische Jugendliche als Wählerschicht noch unabhängige und selbstbestimmte Jugendliche in der Politik. Schuld daran ist ein auf Macht und Herrschaft ausgerichtetes neoliberales Gesellschaftssystem, ein System, das den Menschen zum Stimmvieh, Humankapital und Konsumenten degradiert. Dass Jugendliche durch ihre Sozialisation in einem derartig unfreien Gesellschaftssystem abgestumpft werden, liegt meiner Meinung auf der Hand.

Die Frage „Warum rebelliert die Jugend nicht gegen die öffentliche Verblödung?“ beantwortet der Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier so: „Weil man als blöder Mensch gut leben kann, solange die wirtschaftliche Situation gut ist. Die hohe Attraktivität der Konsumangebote bindet die Energie der Jugend und löst ihre Kritik auf. Die Leute lassen sich lieber unterhalten, als sich kritisch mit den Verhältnissen auseinander zu setzen.“

Unser marktorientiertes Gesellschaftssystem schafft sozusagen den Nährboden für dieses scheinbare Desinteresse junger Menschen an Politik. Insbesondere unser (Aus)Bildungssystem ist darauf ausgerichtet, dass es eben keine freidenkenden, selbstbestimmten und selbstreflektierten junge Menschen hervorbringt, sondern vielmehr ein Interesse daran hat, einen Menschentypus gleichgeschalteter, uniformer und unkritischer Konsumenten zu formen.

In Anbetracht dieser Tatsache stellt sich mir die Frage, wie sich junge Menschen jemals ernsthafte Gedanken über Politik machen sollen und sich kreativ am politischen Prozess beteiligen können, wenn uns von klein auf beigebracht wird, „still sitzen zu müssen“, „keine Fragen zu stellen“ und „schön brav den Mund zu halten“?

Anstatt von Politikverdrossenheit zu sprechen, vermute ich viel mehr eine Art „Parteienverdrossenheit" als ein generelles Desinteresse an Politik. Begünstigt durch ein elitäres Politikverständnis und durch eine parteipolitische Interessensvertretung wird maximal eine tiefere Kluft zwischen "normalen" Jugendlichen und politisch interessierten Jugendlichen, die einer Partei angehören und innerhalb dieser Gruppierungen eine Art Kaderschmiede durchlaufen, hervorgerufen.

Dasselbe in GRÜN, ROT, BLAU, SCHWARZ. Das durchwegs unbefriedigende Resultat ist die Bildung politischer Eliten, einer Klasse an Jungpolitikern, welche meist dieselben politischen Pfade beschreiten, wie die sogenannten „alten Hasen“, wodurch maximal ein verkrusteter und repressiver Politikstil unreflektiert von der neuen Generation übernommen und exakt auf dieselbe Art und Weise fortgeführt wird. Auch die jungen „Berufspolitiker“ können dieses Problem scheinbar nicht lösen, weil scheinbar zu brav, zu konventionell, zu unkreativ und vor allem deshalb nicht, weil sie sich nicht von veralteten Strukturen lösen können.

Was dabei auf der Strecke bleibt sind die Interessen der Jugend. Die Jugend findet keinen Platz in diesem überholten System der Interessensvertretung, sie hat keine „Lust“ sich aktiv zu beteiligen und muss sich dadurch stets den Vorwurf, nicht an Politik interessiert zu sein, gefallen lassen. Junge Menschen sehen sich von den meisten Politikern und Politikerinnen eben nicht verstanden, nicht ernstgenommen und deshalb auch nicht adäquat vertreten. Warum soll ich mich dann als Jugendlicher für etwas interessieren, was ich selbst nicht bin?

Wenn man wirklich Politik für junge Menschen machen möchte, dann sollte man erstens ihre Lebenswelten kennen und verstehen lernen und sich in weiterer Folge von vorgefertigten, gesteuerten Parteiinteressen lösen und Jugendliche unabhängig von sozialem Status, Bildung und ideologischer Ausrichtung ernst nehmen und gleichermaßen ansprechen. Der Jugend muss eine echte Stimme gegeben werden. Und das nicht nur in Wahlkampfzeiten, mit dem Ziel möglichst viele Stimmen auf das jeweilige „Parteikonto“ verbuchen zu können.

Mag. Scheiring Philipp, Leiter Jugendzentrum Imst

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