Nach erfolgreichen Tests:
Volkshilfe Wels-Kirchdorf startet Petition für Kindergrundsicherung

Erich Fenninger, Petra Wimmer, Johann Reindl-Schwaighofer (v.l.) | Foto: Volksshilfe
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Bei 350.000 Kindern und Jugendlichen, die aktuell in Armut leben müssen, ist es höchste Zeit zu handeln. Erfolgreicher Testlauf des Modellprojekts mit armutsbetroffenen Kindern.

KIRCHDORF. Armut hat viele Gesichter. So etwa können armutsgefährdete Menschen im Winter ihre Wohnung nicht heizen. Sie haben am Ende des Monats nicht genug Essen im Kühlschrank (sofern sie überhaupt einen besitzen) oder sie können ihre Miete nicht bezahlen. Das sind nur einige Lebenssituationen von insgesamt rund 1,5 Millionen armutsgefährdeten Menschen in Österreich. „Besonders gefährdet sind Frauen im Alter, Alleinerzieherinnen, Langzeitarbeitslose, Menschen mit chronischer Erkrankung und – was besonders erschreckend ist – Kinder“, erklärt Johann Reindl-Schwaighofer, Vorsitzender der Volkshilfe Wels-Kirchdorf. Bei 350.000 Kindern und Jugendlichen, die in einem der reichsten Ländern der Erde aktuell in Armut leben müssen, sei es höchste Zeit zu handeln.

Verschärfung durch Corona

Besonders hart getroffen hat armutsbetroffene Kinder und Jugendliche die Corona-Krise. Eine Umfrage unter 100 armutsbetroffenen Familien, die von der Volkshilfe Österreich durchgeführt wurde, zeigt, dass sechs von zehn Kindern (61 Prozent) laut ihren Eltern einsamer als vor der Corona-Krise sind. Mehr als die Hälfte der Mütter und Väter (57 Prozent) schätzen ihre Kinder jetzt trauriger ein. Vergleicht man diese Zahlen mit einer aktuellen Studie der Universität Salzburg, wird deutlich, dass armutsbetroffene Kinder härter durch die Corona-Krise getroffen werden: Während in der allgemeinen Befragung der Uni Salzburg zwei von zehn Kindern trauriger und einsamer sind, liegt der Anteil im Segment
der Armutsbetroffenen drei Mal so hoch. Dazu kommen noch jene 20 Prozent, die angeben, dass ihre Kinder bereits vor Corona traurig waren und sich das durch die Krise nicht verändert habe. Ein Wert, der die bereits vor Corona schlechte Lage von armutsbetroffenen Kindern illustriert. Doppelt so viele armutsbetroffene Eltern wie noch im vergangenen Sommer haben die Lebensqualität ihrer Kinder nach rund einem Jahr Pandemie mit einem „Nicht Genügend“ bewertet. Jede*r fünfte Mutter oder Vater (21 Prozent) sieht die Lage seiner Kinder derart desaströs.

Gesundheitliche Schäden

Aber auch bereits vor der Pandemie hat ein Leben in Armut die physische und psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geschädigt. Kinder aus armutsgefährdeten Familien leiden häufiger an chronischen Krankheiten. Sie sind häufiger übergewichtig, haben ein erhöhtes Unfallrisiko, leiden auch öfter an psychosomatischen Symptomen. Sie fühlen sich zudem weniger gesund und leistungsfähig, was sie auch in anderen Lebensbereichen, etwa in der Schule, benachteiligt.

Modellprojekt Kindergrundsicherung

Aus diesem Grund ist die Volkshilfe im Jahr 2019 mit ihrem in Europa einzigartigen Modellprojekt Kindergrundsicherung an den Start gegangen, um eine eigene Idee einem Praxistest zu unterziehen. „Wir haben 23 armutsbetroffene Kinder aus ganz Österreich dafür zwei Jahre lang finanziell unterstützt und das Projekt wissenschaftlich begleitet“, erläutert Erich Fenninger, Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich. Man wisse aus der begleitenden Forschung, dass dieses Modell der Kindergrundsicherung wirkt. „Und wir wissen auch, dass sich das Modell spätestens nach zehn Jahren für den Staat rechnet – gesündere Kinder und längere Bildungswege bedeuten auch weniger Krankenstände und weniger Arbeitslose in der Zukunft“, so Fenninger.

Minimum 200 Euro im Monat

„Das Modell der Volkshilfe will durch eine staatliche Teilhabesicherung gleiche Chancen für alle Kinder schaffen. Das Minimum sind dabei 200 Euro monatlich, die an Stelle der Familienbeihilfe jedes Kind in Österreich bekommen würde. Danach wird nach Einkommen gestaffelt, mit einem Maximum von 625 Euro pro Kind“, erklärt Petra Wimmer, stellvertretende Vorsitzende des Volkshilfe-Bezirksvereines Wels-Kirchdorf, das Modell.

Mehr Freunde, weniger Mobbing, besser in der Schule

Der Effekt der Kindergrundsicherung auf die 23 Kinder im Projekt ist aus den ersten Forschungsergebnissen, die von der Uni Salzburg wissenschaftlich begleitet wurden, deutlich ablesbar. Die Kinder sind von der temporären absoluten Armut und den Zwangsbedingungen befreit. Sie leben in gesicherten Wohnungen mit verbesserter Wohnqualität, haben ausreichend zu essen und witterungsgerechte Bekleidung. „Die Toastbrotzeit“, wie es ein Kind selber sagt, ist vorbei. „Der permanente existentielle Stress, der die Kinder körperlich und seelisch schädigt, fällt weg. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen nehmen ab. Auch die Anzahl an Freunden hat sich vergrößert und die Konzentration in der Schule hat sich erhöht“, fassen die Vertreter der Volkshilfe die positiven Entwicklungen zusammen.

Österreichweite Petition gegen Kinderarmut

„Wir sind überzeugt, ein effektives Werkzeug für die Abschaffung von Kinderarmut in der Hand zu haben. Jetzt braucht es die Zivilcourage und den Einsatz vieler Menschen, um aus der Idee Kindergrundsicherung politische Realität zu machen. Denn wir alle können dazu beitragen, Kindern in Österreich die besten Chancen auf ein Leben in psychischem und physischem Wohlbefinden zu ermöglichen“, rufen Wimmer, Reindl-Schwaighofer und Fenninger abschließend zum zivilen Aktivismus und Unterschreiben der Petition auf kinderarmut-abschaffen.at auf.

Zahlen zur Armut
• Neun Prozent der österreichischen Haushalte können sich keine Sport- und Freizeitgeräte (z.B. Roller und Fahrrad) für draußen leisten.

• Nur 50 Prozent der armutsbetroffenen Eltern, deren Kinder an Karies leiden, begannen bereits in den ersten zwei Lebensjahren mit dem Zähneputzen.

• Fast 50 Prozent der armutsgefährdeten Haushalte können sich für die Kinder
notwendige Legasthenie-Förderkurse nicht leisten.

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