Klagenfurt
Komplexe Gebilde gesellschaftlicher Zustände
Das künstlerische Schaffen von Nataša Sienčnik ist so grenzenlos und vielfältig wie ihre kulturelle Identität.
KLAGENFURT. Was Nataša Sienčnik künstlerisch beschäftigt, sind politisch-soziale Fragestellungen. Als Medienkünstlerin begibt sie sich in Schnittstellen unterschiedlicher Disziplinen, die von skulpturalen Objekten über Foto- und Videoarbeiten bis hin zu Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum reichen. Wobei es der in Klagenfurt/Celovec geborenen und zweisprachig aufgewachsenen Künstlerin zu wenig ist, sich rein an der Form abzuarbeiten, weshalb sie stets tiefer in Gefilde gesellschaftlicher Zeitprobleme mit Aktualitätsbezug vordringt. Der Betrachter vollendet dabei das Kunstwerk erst durch seine Anwesenheit und unmittelbare Reaktion.
Die Gegenwart fest im Blick
Als Ultima Ratio liegt es wohl am Betrachter selbst, den künstlerischen Projekten von Nataša Sienčnik ein Leben einzuhauchen. Bewusst lässt die in Wien und Kärnten lebende Künstlerin Dinge in Schwebe und interveniert nur punktuell und äußerst behutsam. Ohne das Publikum in eine Richtung drängen zu wollen, gleichzeitig aber auch ohne Nachsicht, zeigt sie auf, wie das Leben so spielt. Es sind Abbilder sozial-gesellschaftlicher Gegebenheiten, die Sienčnik aufgreift und nicht selten auf herausfordernde Manier ohne Belehrung wiedergibt. Direkte Antworten verwehrt sie alleine deshalb, weil ihre Kunst als Reflexionsfläche zu sehen ist, die den Betrachter triggern und aus seiner passiven Rolle herausreißen soll: „Meine künstlerischen Projekte können vielmehr als Abbilder verstanden werden, die pointiert aufzeigen, wie die Gesellschaft mit Menschen und Ressourcen umgeht“, betont die Multi-Media Artistin. Selbst agierend, begibt sich der Betrachter vielmehr in Interaktion mit dem Objekt und soll darauf basierend für sich selbst ableiten, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Die Kunstschaffende präsentiert vielmehr die schonungslose Realität politischer und sozialer (Miss)Verhältnisse, die in ihrer Radikalität entschleiert das abbilden, was um uns herum passiert: „Als Spiegel der Gesellschaft kommentieren die Arbeiten häufig, was in der Welt los ist.“ Wobei sich die Künstlerin nicht anmaßt, Lösungsansätze aufzutischen, schließlich obliegt dies dem Publikum selbst. Durch ihre Kunstprojekte möchte sie lediglich für Themen sensibilisieren, die sich gegenwärtig abspielen und welche Kontroversen auslösen können oder in anderen Fällen marginalisiert werden: „Kunst soll mehr als Ornament und Dekoration sein und zumindest den Anstoß geben, Gesellschaft zu reflektieren.“
Doppelbödige Installationen
Viele ihrer Projekte behandeln Themen wie Migration, politischen Widerstand und Aufbegehren. Toleranz und Offenheit ist ihr ein großes Anliegen. Unter anderem findet sich dabei eine Installation mit dem Titel „Micro-Mobile for Migrant Workers“, die im Rahmen des Projektes PULL:FAKTOR des UNIKUM entstand und die beschwerliche Situation von Pflegekräften reflektieren soll. Widrigsten Bedingungen ausgesetzt, müssen diese oft auf engem Raum arbeiten und sich mit einem kargen Lohn fernab ihrer Familie durchschlagen. Dass dieses Gefährt mit seinen Stangen, Futtertrögen und Legenestern auch als Hühnerstall genutzt werden kann, verleiht der grundsätzlichen Aussage zusätzliche Brisanz. Unter einem doppelten Boden versteckt sich dabei ein Notlager als privater Rückzugsort für die genügsamen Gastarbeiterinnen, der gleichzeitig mit voller Intensität auf die erschütternden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte verweist.
Grenzen(lose) Kunst
Ferner nimmt die Künstlerin Bezug auf die Art und Weise, wie sich die Gesellschaft Strukturen der Umwelt einverleibt. In diesem Zusammenhang steht auch die Dauerinstallation „How to draw a border in the sky“, die Parallelitäten der Zugströme zwischen Asylsuchenden und Zugvögeln aufzeigt. Als kleine architektonische Räume konzipiert, die als Vogelhäuschen und Nistplätze dienen, können diese Gebilde abgeriegelt werden, ähnlich wie den Migranten das Asyl verweigert wird. An den Begriffen „Grenze“ und „Verweigerung“ abarbeitend, demonstriert sie, in welch großem Ausmaß die Anderen über das Schicksal von Individuen oder bestimmter Gruppen entscheiden. Abermals ist es das Publikum, das in die Intervention radikal eingreifen darf, indem es die Türen öffnet oder schließt und so im wahrsten Sinne des Wortes interveniert und für Beschlüsse sorgt. Unmittelbar Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nimmt die Künstlerin in ihrer Arbeit „Come Closer/Komm näher/pridi bliže“ vor, die den Besucher geradezu auffordert, aktiv zu werden. Es setzt bei dem uns allen bekannten Phänomen des „Social Distancing“ an und damit einem Thema das uns buchstäblich nahe geht. Wie weit darf man in Zeiten der Pandemie Menschen kommen? Wo sind die Grenzen des privaten und des öffentlichen Bereiches? Ein Flip-Dot Display mit schwarzen und weißen Punkten zeigt dabei Distanz und Nähe an und wirkt aufgewühlt, wenn sich die Besucher über die Abstandsregeln hinwegsetzen.
Partizipationsgedanke
Sensibel und pointiert geht Sienčnik vor, um Analogien aufzuzeigen und Situationen auf künstlerische Weise augenscheinlich zu machen. Sie gibt dabei nichts vor, sondern zeigt Gesellschaftsbilder, die mit anderen Zuständen wie Ressourcen- und Umweltproblemen verwoben werden und wo der Mensch als ein Teil der Natur fungiert. Ihre Arbeiten sind partizipativ angelegt und fordern den Betrachter geradezu auf, Teil des Kunstprojektes zu werden. Nicht zuletzt hinterlässt auch jeder Einzelne von uns seine Spuren in der Gesellschaft.
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