Filmland Kärnten 2019
Sitcom-Produzenten: Das politische Kino bringt Regierungen zu Fall.

Mailand, Medienviertel, 2015 | Foto: Die Autorin
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  • Mailand, Medienviertel, 2015
  • Foto: Die Autorin
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Können Sie sich folgendes Szenario vorstellen:

  • Sie haben eine Regierung, die fest im Sattel sitzt. Sie besteht aus einer Koalition von konservativ-fortschrittlich-neoliberal und konservativ-hemdsärmelig, beide sind bereit zu politischen Abenteuern, die normaler Weise in diesem Land unüblich sind.

Was tun?

Ganz einfach. Man miete ein geeignetes Objekt als Produktionsort und richte dort mit mehreren Kameras und Mikrofonen sowie einem guten Catering das Set für eine Sitcom im Reality-Format ein.

Der Wahl der Darsteller ist schon etwas pikanter, geeignet erscheinen Personen mit einem Drang zu Selbstdarstellung, weiters kann ein übersteigertes Ego für so einen Job vor der Kamera nur förderlich sein.Nach einigem Hin und Her, Besetzungsprobleme gibt es im TV- und Filmgeschäft immer, das ist bekannt, finden sich doch zwei geeignete Protagonisten, die Aussicht auf hohe Gagen fördert das Vertrauen in die listig-dialektisch agierenden Produzenten.

Die Sache steigt. Doch es wird nicht im Heimatland gedreht, nein, man weicht auf einen exotischen Drehort aus, denn für das Kostüm ist wenig Geld budgetiert und es kommt einfach besser beim Publikum an, wenn die Darsteller sommerlich locker gekleidet sind.

Ebenfalls gespart haben die Produzenten am Drehbuch, Dialogbuch gibt es auch keines, die Regie vertraut voll auf das Improvisationstalent der begnadeten Selbstdarsteller.

Kamera! Sound! Action! Die Darsteller legen los und es läuft perfekt! So gut, dass die Sitcom in einer Einstellung abgedreht werden kann. One Shot only ist das Gebot der Stunde, mit so einem ausgezeichneten Verlauf der Dreharbeiten hat niemand gerechnet.

Sehr zur Freude der Produzenten spielen die Darsteller mit überzeugender Natürlichkeit und geben sich unbefangen, hier zahlt sich wieder aus, dass man doch etwas Geld für das Catering in die Hand genommen hat.Die Postproduktion und der Vertrieb der leicht überlangen Folge stellt sich zunächst als schwierig heraus, die Protagonisten waren in so ausgezeichneter Spiellaune, dass es schade wäre, das wertvolle Material zu kürzen, was aus filmkünstlerischer Sicht sowieso verwerflich ist, schließlich entscheidet man sich doch noch für einen Director’s Cut und platziert die Sendung termingünstig via ausländischer Medien im Internet.

Jetzt kann der Produzent nur abwarten was passiert und sich vor dem PC auf die Lauer legen, um die Quoten abzuwarten.

Siehe da, völlig unerwartet schlägt die neue Sitcom wie eine Bombe ein, die Besucherzahlen explodieren und untertitelt wird die Sendung weltweit über die Sozialen Medien verbreitet, es wäre ja wirklich Schade die beherzt agierenden Darsteller durch die Synchronisation zu beschneiden.Gleich am nächsten Tag kündigen die Hauptdarsteller ihre bisherigen Jobs, nach dem Masseninteresse wäre es geradezu fahrlässig nicht in die Filmbranche einzusteigen und, jetzt kommt das eigentliche, völlig unerwartete Filmwunder: die bisher sattelfeste Regierung tritt zurück, der Regierungschef schlägt Neuwahlen und ein Übergangskabinett vor.Größtmöglicher Erfolg bei kleinstmöglichem Aufwand. Eine echte Erfolgsgeschichte.

Aber nicht nur Sitcoms sind geeignet um eine Regierung ins Schwitzen zu bringen.

1960 wird in Frankreich auf Initiative des ehemaligen Generals und aktuell amtierenden Staatspräsidenten Charles de Gaulle die Filmzensur wegen des Algerienkriegs verschärft und der Film „Der kleine Soldat“, von Jean-Luc Godard beschlagnahmen. Der Film, in der neutralen Schweiz gedrehte, erzählt unverschlüsselt von den zweifelhaften Praktiken des französischen Geheimdienstes. Erst nach dem 25. Jänner 1963, dem Tag des offiziellen Endes des Algerienkrieges kann „Der kleine Soldat“ in den französischen Kinos aufgeführt werden.

Charles de Gaulle wähnt sich in Sicherheit, die französische Filmzensur funktioniert perfekt und die Proteste dagegen sind vorerst erfolglos, aber am 18. April 1962 schießt sich de Gaulle ein schweres Eigentor. Charles de Gaulle hält am Abend des 16.4. im französischen Fernsehen eine leidenschaftliche Rede in der er die Eltern warnt mit ihren Kindern die Verfilmung des Jugendbuchklassikers von Louis Pergaud „Der Krieg der Knöpfe“, Regie: Yves Robert, anzusehen, da der Film seiner Meinung nach die Wehrkraft der französischen Armee im Algerienkrieg herabsetzen kann.De Gaulle, fordert keine Zensur, aber sein Kalkül ist, dass nach diesem Weckruf an die Nation, sowieso niemand den Film ansehen wird und der Film daher gleich wieder vom Programm abgesetzt und nicht mehr aufgeführt wird.

Doch es kommt anders. Am 18. April 1962 trifft völlig unerwartet Angelo Giuseppe Roncalli, der sich Papst Johannes XXIII. nennt, in Paris ein und erklärt einer staunenden Öffentlichkeit, dass er nur nach Frankreich gekommen ist, um ins Kino zu gehen und die Verfilmung von „Der Krieg der Knöpfe“ zu sehen. Johannes XXIII. begründet sein Interesse an dem Film damit, dass seine Kindheit und Jugend in der Provinz Bergamo nicht anders war, als die der Kinder in der französischen Provinz, wie sie das Louis Pergaud in seinem Buch erzählt, schlimmer noch, Angelo Roncalli vergleicht seine Kinderstreiche mit denen des „Aztec“, dem größten Halunken im Buch. So eine Verfilmung könne sich der Papst natürlich nicht entgehen lassen und deshalb ist er am Erstaufführungstag nach Paris gekommen.Das Interview im französischen Radio schlägt wie eine Bombe ein. Der Erzkatholik Charles de Gaulle ist schockiert, er lässt alles liegen und stehen und eilt ins Majestic Cinema um den Schluss des Films gemeinsam mit dem Papst ansehen zu können. Noch am selben Abend tritt Charles de Gaulle im französischen Radio auf und widerruft alles! Im Gegenteil, er empfiehlt nachdrücklich den Film „Der Krieg der Knöpfe“ anzusehen.

1969 erscheint in Frankreich der Film „Le chagrin et la pitié“ (dt. Trauer und Mitleid, dt. Verleihtitel: Das Haus nebenan − Chronik einer französischen Stadt im Kriege) von Marcel Ophüls. Der 251 Minuten lange Dokumentarfilm greift ein heikles Thema auf: Widerstand und Kollaboration der französischen Bevölkerung sowie des Vichy-Regimes während der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg.Da man in Frankreich stehts bemüht ist, seine Rolle während dieses Zeit als heldenhaft darzustellen ist die französische Öffentlichkeit über den ausführlichen Dokumentarfilm geschockt, denn es stellt sich (historisch richtig) heraus, dass von 1940 bis 1942 nur 8 Personen in Frankreich im Untergrund waren, zwei davon sind auch heute noch bekannt: Der Autor und Philosoph Jean-Paul Sartre und der Komiker Louis de Funés, beide haben in Paris Untergrundtheater gegen die Besatzung gemacht). Die sogenannte französische Exilregierung mit Charles de Gaulle an der Spitze sitzt (ebenfalls historisch richtig) in London im Kaffeehaus herum und diskutiert die Zukunft.Der Film löst eine 12 Jahre anhaltende Staatskrise in Frankreich aus, nach langen und umfangreichen Diskussionen wurde in Frankreich die Geschichtsschreibung angepasst und Marcel Ophüls Film konnte 1981 im französischen Fernsehen gezeigt werden.

Auch der Kirchenstaat ist nicht vor Krisen gefeit, wenn er sich ins italienische Kinoprogramm einmischt. 1961 tritt der Mailänder Kardinal Giovanni Montini auf den Plan, um den spanisch/mexikanischen Spielfilm „Viridiana“, Regie: Luis Bunuel, wegen vielfacher Blasphemie beschlagnahmen zu lassen, doch die italienische Presse lässt sich diese klerikale Einmischung nicht bieten und rät Kardinal Montini sich an seine zwielichtige Vergangenheit während der Jahre 1922 bis 1944 zu erinnern. Sofort kann Luis Bunuels Film ungeschnitten in Italien erscheinen.

12 Jahre später, Giovanni Montini nennt sich inzwischen Papst Paul VI. versucht er es Kraft seines prominenten Amtes noch einmal. Dieses Mal wettert er öffentlich gegen den Sittenverfall und verdammt Salvatore Samperis frivole Satire „Malizia“, Italien 1973, in Grund und Boden und erwirkt auch die Beschlagnahme des Films, der via Gerichtsbeschluss schließlich in ganz Italien verboten wird.Doch der steinreiche Filmproduzent Augustino „Dino“ De Laurentiis, normaler Weise bibelfest und kirchenstreng, lässt sich diese Geschäftsstörung nicht bieten und macht mit Hilfe der linken, aber auch der bürgerlichen Presse wieder mobil gegen den Vatikan, nach heftigen Polemiken, die auch die Verwicklung von Giovanni Montini in der Fluchthilfe von europäischen Kriegsverbrechern zwischen 1945 und 1960, sowie noch einmal seine Rolle während des italienischen Faschismus von 1922 bis 1944 thematisieren, wird die Sache für den Kirchenstaat doch zu heiß. Das Verbot fällt, „Malizia“ startet in den italienischen Kinos und wird zum Sensationserfolg.

Manchmal sind die Herren der Zensur auch überaus innovativ in der Auslegung der Gesetze eines Staates, besonders dann, wenn es sich um eine relativ junge Demokratie handelt, die noch ein schweres politisches und gesellschaftliches Erbe aufzuarbeiten hat.

Im April 1979, die spanische Demokratie ist gerade 4 Jahre alt, dreht die spanische Regisseurin Pilar Miro ihren zweiten Spielfilm „Das Verbrechen von Cuenca“, der einen historischen Kriminalfall aus dem Jahr 1910 thematisiert. Ein Mann ist spurlos verschwunden, die Indizien sprechen gegen zwei Verdächtige, die in der Untersuchungshaft von der Guardia Civil schwer gefoltert wurden, um die Geständnisse zu erpressen. Schließlich wurden die beiden Delinquenten zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. 1926 stellte das vermeintliche Opfer einen Antrag auf Ausstellung einer Geburtsurkunde, damit ist die Unschuld der Verurteilten bewiesen.Die Guardia Civil ist empört und weißt das Código de Justicia Militar an, den Film beschlagnahmen zu lassen. Begründung des Militärs ist: so hätte man sich die neue politische Gesellschaftsordnung nicht vorgestellt.Vorsichtshalber wurden das Negativ und die Tonmischung des Films schon zuvor nach Frankreich gebracht, sodass das Material nicht vernichtet werden kann.In Spanien entspinnt sich ein 19 Monate andauerndes hartes Gerichtsverfahren, das schließlich zu einer schwere Staatskrise führt und im versuchten Militärputsch vom 21. Februar 1981 mündet, der jedoch fehlschlägt.In der Zwischenzeit nimmt der Film im Februar 1980 am internationalen Filmfestival von Berlin teil und kann am 17. August 1981 in Spanien in den Kinos aufgeführt werden.Pilar Miros Film „Das Verbrechen von Cuenca“ bleibt der letzte in Spanien beschlagnahmte Film, anlässlich des 40. Jahrestages der Beschlagnahmung hat der spanische Filmemacher Víctor Matellano den wirklich sehenswerten Film „Regresa el cepa“ (dt. Die Beschuldigungen werden wieder erhoben) über den Kampf des spanischen Militärs gegen Pilar Miro gedreht, der Film gibt auch einen sehr guten Einblick in die Mechanismen der staatlichen Zensur.

Gibt es aber auch Fälle in denen sich Politiker mit zweifelhaftem Ruf für einen Film eingesetzt haben, die dem Staat unliebsam waren?

Gibt es!

April 1973: Der spanische Filmproduzent Elías Querejeta und sein Regisseur Carlos Saura seit über zehn Jahren im Dauerstreit mit der staatlichen Zensur haben ein Problem. Ihr Film „Ana und die Wölfe“ soll am 20. Mai 1973 im Hauptbewerb des Filmfestivals von Cannes gezeigt werden, doch die spanische Zensur kann sich nicht entscheiden ob sie den Film nicht ganz verbieten und verbrennen lassen soll. Angriff auf Kirche und Staat wird von der Zensur geortet. Der Streit eskaliert und schließlich wird dem Diktator General Francisco Franco der Film vorgeführt und er entscheidet wie folgt: „Die Schauspieler sind vorzüglich. Die Fotografie ist hervorragend und die Handlung versteht sowieso niemand.“ (Francisco Franco am 20. April 1973 in Madrid). „Ana und die Wölfe“ konnte wie geplant in Cannes gezeigt werden und kam am 4. Juni 1973 in die spanischen Kinos.

Und auch Silvio Berlusconi, lässt es sich am 23. März 2006 nicht nehmen persönlich bei der Premiere des Films „Il caimano“ von Nanni Moretti zu erscheinen und anschließend im italienischen Fernsehen kräftig die Werbetrommel für das, seiner Meinung nach, gelungene Portrait eines italienischen Medienunternehmers zu rühren. „Il caimano“ ist eine treffende und vor allem auf historischen Fakten beruhende Satire über den politischen und geschäftlichen Aufstieg von Silvio Berlusconi bis zum Amt des Ministerpräsidenten. Der Film konnte am 26. März 2006 problemlos in den italienischen Kinos starten.

Gibt es ein Fazit aus dieser Geschichte, durchaus auch auf die Produktion von zeitgenössischen Sitcoms zutreffend? Gibt es! Es sei mir gestattet den großen Jean Cocteau zu zitieren: „Die Republiken vergehen. Die Imperien fallen. Nur die Dummköpfe bleiben“. (Jean Cocteau am 1. Juni 1958 anlässlich der Ausrufung der 5. Republik in Frankreich durch Charles de Gaulle)

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