In memoriam Kafka: "Alle Leiden um uns müssen auch wir leiden"*
Mit "Der Prozess" und "Die Verwandlung" war der Prager Schriftsteller Franz Kafka zu Weltruhm gekommen. Seine letzten Wochen hatte er in Kierling verbracht. Der daran erinnernde Gedenkraum wurde diese Woche als moderne Ausstellung wiedereröffnet.
KLOSTERNEUBURG (cog). Franz Kafka zählt neben William Shakespeare vermutlich zu den bekanntesten Autoren der Welt. Seine letzten Tage verbrachte er im ehemaligen Sanatorium Hoffmann in Kierling. Im 2. Stock des Hauses befindet sich auch seit 1983 der Kafka-Gedenkraum. Am 90. Todestag des Schriftstellers wurde die neu gestaltete und mit einem modernen Museumskonzept ausgestattete Ausstellung eröffnet.
Tödliche Krankheit
"Wir zeigen hier nicht den letzten Lebensweg eines Kranken, sondern natürlich vielmehr den des Schriftstellers Franz Kafka", so der Germanist Manfred Müller von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und Präsident der Franz-Kafka-Gesellschaft. Trotz seines Leidens widmete Kafka sich in Kierling auch noch den Korrekturen des Erzählbands "Ein Hungerkünstler".
Damals unheilbare Kehlkopf-Tuberkulose hat den Autor in seinem Sterbejahr nach Kierling gebracht. Ob Kafka bei seiner Ankunft im Sanatorium Hoffmann – das mittlerweile längst nur noch Wohnungen beherbergt – schon gewusst hatte, dass er in Kierling sterben wird? So eindeutig die Diagnose, so ungewiss ist, ob er ihr Ausmaß akzeptiert hatte. Immerhin schmiedeten er und seine Freundin Dora Diamant, die ihn nach Kierling begleitet hatte, hier noch Hochzeitspläne. Besuch im Sanatorium erhielt der Kranke übrigens von zahlreichen Freunden, darunter Franz Werfel und Max Brod. ZeitzeugInnen berichten von Spaziergängen Kafkas zum Gasthaus "Grüner Baum".
Notizen als Zeugen des Alltags
Der Aufenthalt am Rande des Wienerwaldes war kurz: am 19. April 1924 bezog Kafka sein Zimmer, am 3. Juni verstarb er im 41. Lebensjahr. Und dennoch war es eine intensive Zeit, deren erhaltene Dokumente viel über den großen Schriftsteller erzählen. So werden in der Kafka-Ausstellung etwa die Originalbefunde wie zum Beispiel die dokumentierte Fieberkurve und der Eintrag ins Kierlinger Totenbuch gezeigt. Da Kafka durch seine Erkrankung kaum sprechen konnte und auch eine Schweigekur verordnet hatte, kommunizierte er mit Notizzettel. Auch diese Alltagsätze sind vor Ort nachlesbar und wirken aus dem Zusammenhang gerissen mal wie Aphorismen, mal wie philosophische Metaphern, mal wie Mini-Gedichte. Außerdem werden Kafkas Briefe aus Kierling an seine Eltern sowie Nachrufe nach seinem Tod gezeigt.
Für Kafka-Fans und Kafka-Neulinge
"Ziel war es, nicht nur einen Ort für Kafka-Liebhaber zu schaffen, sondern dass man Kafka hier auch kennen lernen kann", erklärt Müller. Das Interesse am Sterbeort war bislang schon groß: Rund 15.000 BesucherInnen aus aller Welt – davon zeugen nicht zuletzt Einträge ins Gästebuch – waren in den letzten 30 Jahren nach Kierling gepilgert.
So beklemmend das Eintauchen in die letzten Lebenswochen Kafkas im ersten Raum ist, so versöhnlich ist die Stimmung im zweiten, nun neu geöffneten Raum. Die Wände sind nicht in Grau, sondern in Weiß getaucht und die aneinander gereihten Kafka-Bücher lenken den Fokus auf das, was nach dem Tod des Menschen bleibt: sein großartiges Werk, das eben nicht nur geheimnisvoll und düster, sondern auch surreal und ironisch ist.
ZUR SACHE
Die Kafka-Ausstellung und die Bibliothek (Hauptstraße 187, 3412 Kierling) sind Mo.-Fr. 8-12 Uhr und 14-17 Uhr sowie nach Vereinbarung kostenlos zugänglich – alleine oder geführt. Aufsperrdienst bzw. Info zu hinterlegtem Schlüssel: 0676/4117817.
Der Gedenkort wurde vom Wiener Designer Michael Balgavy nach einem Konzept der Psychotherapeutin Charlotte Spitzer gestaltet.
* Zitat: Franz Kafka: "Er" (Frankfurt am Main: S. Fischer, 1968; In: "Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg"), S. 207
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