Interview: Blick in die menschliche Seele
KREMS-STEIN Kürzlich hat der Historiker Dr. Robert Streibel den Roman „April in Stein“ veröffentlicht. Darin geht es um das „Massaker von Stein“ am 6. April 1945. Die BezirksBlätter sprachen mit dem Autoren über seine Motivation für den Roman und seine Erfahrungen bei seinen Forschungen über das Geschehen.
Frage: Herr Dr. Streibel, nach zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten über das „Massaker von Stein“ haben Sie jetzt einen Roman rund um das Geschehen aus dem April 1945 geschrieben. Wie kam es dazu?
Antwort: Wissenschaftliche Arbeit und historische Recherche sind das eine. Ich habe darüber hinaus nach einer Möglichkeit gesucht, die historischen Geschehnisse noch näher an die Menschen heranzubringen. Dabei ging es mir sozusagen um die Innenperspektive der Handelnden, um einen Blick in die menschliche Seele. Und: Es ging mir nicht nur um die Opfer, sondern auch um die Frage, warum die Täter zu Tätern wurden.
F: Ein Roman stellt ja ganz andere Ansprüche als eine historische Arbeit. Da müssen beispielsweise Handlungsstränge konstruiert werden, die es in Wirklichkeit nicht gab. Mussten Sie für Ihren Roman viel erfinden?
A: Nein! Der Roman beruht auf den Fakten, die ich für meine historischen Arbeiten recherchiert habe. 80 bis 90 Prozent des Geschilderten sind historisch belegt. Da ist beispielsweise die Frage, ob eine Figur in einer bestimmten Situation wirklich geraucht hat oder nicht, nebensächlich. Ich kann Ihnen sagen: Gerade die Dinge, die dem Leser am unwahrscheinlichsten vorkommen mögen, sind nicht erfunden!
F: Was hat Sie während Ihrer Beschäftigung mit dem Massaker von Stein am meisten beeindruckt?
A: Für mich war die Bereitschaft der Überlebenden und der Zeitzeugen beeindruckend, über ihre zum Teil schrecklichen Erlebnisse zu berichten. Im Grunde ist jeder dieser Berichte einen Roman wert. Bedrückend war die Tatsache, dass es so viele Jahre gedauert hat, bis auch von offizieller Seite ein Gedenken an die Opfer möglich war. Die Stadt Krems muss in diesem Zusammenhang ausdrücklich gelobt werden.
F: Gibt es etwas, das Sie im Zuge Ihrer Forschungen besonders fasziniert hat?
A: Beeindruckend fand ich die Art und Weise, wie die politischen Gefangenen im Zuchthaus Stein miteinander kommuniziert haben, wie sie Informationen erhalten und weitergegeben haben. Auch das schildere ich in meinen Roman.
F: Herr Dr. Streibel, noch heute gibt es weiße Flecken auf der Landkarte des Gedenkens...
A: Ja, es gibt Orte, in denen nichts an die Morde erinnert, die dort im April 1945 geschehen sind. Das mag noch Jahre dauern, bis es dort soweit ist, aber ich bin sicher, dass das kommen wird. Mir liegen viel mehr die Massengräber aus jenen Tagen am Herzen, die noch nicht gefunden und geöffnet wurden – etwa von Häftlingen, die auf dem Weg nach St. Pölten ermordet wurden. Hier muss noch viel getan werden.
F: Folgt bald ein neuer Roman von Ihnen zu diesem Thema?
A: Da gibt es noch kein Projekt. Ich beschäftige mich allerdings momentan sehr mit den Schicksalen der ausländischen Häftlinge in Stein, vor allem mit denen der vielen Griechen. Das könnte in der Tat das Thema eines neuen Romans werden.
F: Herr Dr. Streibel, Dankeschön für das Gespräch! mke
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.