So "xund" kann unsre Hausmannskost sein

"Lebensmittel hatten früher andere Eigenschaften", erklärt Angelika Kirchmaier im Gespräch mit BB-Redakteur Sebastian Noggler. | Foto: Haberl
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BEZIRK (nos). Ernährungsberaterin Angelika Kirchmaier ist gebürtige Kufsteinerin, wohnt und arbeitet mittlerweile von Hopfgarten aus. Ihre Kochbuch-Reihe rund um die "xunde" Küche ist ein Verkaufsschlager und eines der heimischen Aushängeschilder des Tyrolia-Verlags. Dennoch nennt sich die Diätologin selbst "Hobbyautorin".

In ihrem neuesten Werk setzt sie sich mit der "Xunden Tiroler Küche" auseinander – nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, wie Kirchmaier schon im Vorwort erwähnt.
"Das ist trügerisch", erklärt die Autorin im Gespräch mit den BEZIRKSBLÄTTERN, "wenn man in die älteren Rezepte schaut, wird bei weitem nicht so fettig gekocht." Und auch nicht so stark gesüßt – kocht man das komplette Buch von vorne bis hinten durch, braucht man nicht einmal ein viertel Kilo Zucker. "Zucker gibt's in den alten Rezepten überhaupt nicht und mit Honig wurde auch nur beim Backen gesüßt, Lebkuchen zum Beispiel", erzählt Kirchmaier.

"Mehl, Eier, Butter – das hatte früher andere Eigenschaften"

Spannend war für die Diätologin nicht nur die Recherche der alten, oft handgeschriebenen Rezepte, sondern auch das Nachkochen und Optimieren. "Ich musste bald feststellen, dass die Zubereitungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert meist überhaupt nicht mehr funktionieren", so Kirchmaier, "weil die Zutaten heute tatsächlich andere Eigenschaften haben. Heutiges Mehl hat andere Gluten-Eigenschaften und auch die Eier müssen früher viel besser aufgegangen sein." Einen Grund, warum das Mehl früher anders klebte, sieht die Ernährungswissenschafterin in durch Zucht und Kreuzung optimiertem Saatgut: "Früher hatte eigentlich jeder Hof sein eigenes Getreide, hat sein Saatgut selbst vermehrt. Je nachdem, wie die jährliche Ernte ausfiel, war die Mehlqualität mal besser, mal schlechter. Die Bäuerinnen haben auch ihre Rezepte darauf anpassen müssen." Das wäre heute in dieser Form nicht denkbar, wer im Geschäft einen Kilo Mehl kauft, will und braucht die selben Kleber-Eigenschaften wie vor zwei Wochen. Warum offenbar auch Hühnereier heute anders "funktionieren", dürfte ebenso an der Zucht liegen.
Aber auch heute gibt es massive Unterschiede zwischen nur oberflächlich identischen Produkten, wie Kirchmaier betont: "Wenn man sich die chemische Struktur von handelsüblicher (Mastmilch-)Butter und etwa Heumilchbutter ansieht, sind das eigentlich zwei unterschiedliche Lebensmittel!" Die Molekülketten von "Industriebutter" sind länger, bilden stärkere Netze, das macht sie fester. Cholesteringehalt und die Anteilverhältnissee von gesättigten zu ungesättigten Fettsäuren machen eklatante Unterschiede aus. "Das Gelbe in der Heumilch- oder Grasbutter ist Beta-Carotin und wichtig für unseren Körper. Das künstliche Beta-Carotin, das von der Industrie eingesetzt wird, steht im Verdacht Krebs erregend zu wirken", erklärt Kirchmaier.

Durch die Bücher der Hauswirtschafterinnen

Um auf die "klassischen" Tiroler Rezepte zu kommen, machte Kirchmaier zuallererst einen Aufruf über Facebook. "Alte Küche aus neuen Medien", schmunzelt die Autorin. Über tausend Einsendungen bekam sie daraufhin retour und musste diese durchforsten. Darunter fanden sich auch alte, handgeschriebene Koch- und Hauswirtschaftsbücher. "Die muss man erst mal lesen können, das war sehr schwierig", wie Kirchmaier erzählt, "zum Glück kann meine Mutter das und hat mir sehr geholfen."
Eine weitere Schwierigkeit war es, dem Publikum gerecht zu werden, denn es geht ja um "Tiroler Küche": "Die regionalen Besonderheiten haben mir den meisten Respekt eingeflößt. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie viele Knödel- oder Brennsuppenrezepte es in Tirol gibt. Und alle sind 'echt', das war eine irrsinnige Auswahl." Diese zu treffen war nicht leicht, darum versuchte Kirchmaier einige Varianten und Abänderungsmöglichkeiten in ihr Buch einzuarbeiten, alle konnte sie aber niemals anführen, "das hätte jeden Rahmen gesprengt".

30 bis 50 Gerichte am Tag

In Sachen Versuchsküche ist Kirchmaier mittlerweile ein Profi, die "Xunde Tiroler Küche" ist ja nicht ihr erstes Kochbuch diser Art. "Ich habe ungefähr drei Monate dafür gebraucht, alles durchzuprobieren und zu kochen. da steht man dann freilich schon mal über acht Stunden täglich in der Küche, kocht schon mal 30 bis 50 Gerichte pro Tag", erzählt die Autorin. Zumindest war es abwechslungsreicher, als beim Kekse- oder Kuchen-Backbuch, stellt sie augenzwinkernd fest.
Ein Lieblingsrezept habe sie keines, "das ist oft tages- und stimmungsabhängig, ich mag eigentlich alles – außer Leber." Der für sie überraschendste Rezeptfund ist nicht im Buch und das hat einen guten Grund: "Das war eine Art Nudel-Rezept aus Wasser und Mehl, gefüllt mit Marmelade, aufgerollt und dann gekocht. Geschmeckt hat das überraschend gut, aber die Optik ...", erinnert sich Kirchmaier.

"Nicht mein Medium"

Eine Kochsendung mit Angelika Kirchmaier werde es so bald keine geben, denn "das ist nicht mein Medium. Ich liebe Radio, das gefällt mir, aber Fernsehen ist nicht so das Meine." Eventuell ein oder zwei Beiträge, damit könne sie gut leben, aber dauernd im Bild präsent zu sein ist eine Vorstellung, die für sie eher abschreckend wirkt. "Dann erkennt dich plötzlich jeder, du wirst angesprochen, im Guten wie im Schlechten, das ist nichts für mich", erklärt die Diätologin. Zudem sei die Arbeit an Büchern für sie noch immer "ein Hobby", wie sie meint.

Diskussionsabend im "Studio 3"

Kirchmaiers "Xunde Tiroler Küche" ist ab dem 8. März in den heimischen Buchhandlungen erhältlich, am 1. April findet zum Jubiläum der ORF-Reihe eine Diskussionsrunde im "Studio 3" des Landesstudios Innsbruck statt, wo sich neben der "Grande Dame der Tiroler Küche",Maria Drewes, unter anderem auch der Thierseer Bio-Metzger Anton Juffinger, Björn Rasmus (Bio vom Berg), und Elisabeth Anker (Haus der Begegnung) der Frage stellen: „Wohin entwickelt sich die Tiroler Küche und hat sie im 21. Jahrhundert überhaupt eine Überlebenschance?“ – 1.4., 19.30, ORF Landesstudio Tirol; Anmeldung via Formular.

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