Ausverkaufter Saal bei Wiesers Zeitreise

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KUFSTEIN (nos). Über 200 Interessierte fanden am Mittwoch, dem 27. Mai, den Weg in den Saal der Landesmusikschule zum bereits im Vorhinein restlos ausverkauften Vortrag "Kufstein in der Zeit des Nationalsozialismus", veranstaltet vom Heimatverein und dem Katholischen Bildungswerk (KBW).
Im Mittelpunkt des Abends stand Pädagoge Dietmar Wieser, Leiter des KBW und Vorstandsmitglied des Heimatvereins in der Festungsstadt, der in den vergangenen Jahrzehnten hunderte Fotos, Ansichtskarten und Kuriositäten aus der Geschichte Kufsteins zusammen sammelte. Gespickt mit Material aus der vom 2010 verstorbenen Fritz Kirchmair akribisch zusammengestellten, umfangreichen Chronik, gestaltete Wieser eine etwa zweieinhalbstündige "Zeitreise in Bildern", die ein Großteil des Publikums so noch nie zu Gesicht bekommen hatte.

"Es gibt nichts zu fürchten, alles, was ich heute vorstelle, beruht auf Fakten", eröffnete NMS-Lehrer Wieser zu Beginn den gespannten Anwesenden und gab einen kurzen Abriss darüber, wie er selbst zu seiner Sammelleidenschaft und besonders auf das Thema NS-Zeit gekommen ist.
Zum Sprung in die Zeitgeschichte setzte er dann anhand der Biografie eines Mannes an, der von Kufstein aus im Nationalsozialismus Karriere machte: Hartmann Lauterbacher (1909 - 1988). In Reutte geboren, verbrachte dieser seine Schul- und Lehrzeit in Kufstein (1918 - 1927), wo er als Drogistenlehrling beinahe die gesamte "Prominenz" der Nationalsozialisten in Kufstein und im Kaisergebirge getroffen hatte. Diverse Anekdoten beschreibt der spätere Gauleiter von Süd-Hannover und Braunschweig recht freimütig in seiner Autobiographie, aus der Wieser einige Sätze zitierte. Etwa auch, wie nach dem "Marsch auf die Feldherrenhalle", dem gescheiterten Hitler-Putsch 1923 in München, Kufstein zum beliebten Zufluchtsort für die in Bayern polizeilich gesuchten Nationalsozialisten wurde. Lauterbacher gründete in Kufstein noch in den Zwanzigerjahren eine Jugendorganisation, die als Vorgänger der Hitlerjugend (HJ) bezeichnet werden kann. Später stieg er zum zweiten Mann in der HJ auf, wurde Gauleiter, war nachgewiesenermaßen an der Deportation von 1.200 Juden beteiligt und lebte nach dem Krieg recht unbehelligt bis 1988 am Chiemsee. "Lauterbacher an den Anfang zu stellen war mir ganz wichtig, weil er einen Prototypen darstellt", erklärte Wieser, "er ist das Beispiel eines Jugendlichen, der in Kufstein ideologisiert und radikalisiert wurde."
Anhand zahlreicher Fotos und Chronikeinträgen rekonstruierte Wieser Stimmungsbilder aus den späten Zwanziger- und frühen Dreißigerjahren. Eindrucksvoll konnte er dabei belegen, wie früh und freimütig die NSDAP in der Festungsstadt und ihrer Bevölkerung Fuß fassen konnte und wie selbstverständlich die Idee "Großdeutschland" gerade an der bayerisch-tirolerischen Grenze angenommen wurde. Schon die Einweihung der Heldenorgel 1931 wurde als "großdeutsches Fest" gefeiert, 1933 saßen zwei Nationalsozialisten im Gemeinderat.
Mit der "1000-Mark-Sperre" (1933 - 1936) verfinsterte sich die Stimmung in Kufstein, Heimwehr und Nationalsozialisten lieferten sich regelrechte Straßenkämpfe in Kufstein. "Der Austrofaschismus war schon auch nicht ohne, in der Verfolgung der politischen Gegner", hielt Wieser dabei fest. Die "Penz-Platte" war beispielsweise ein in ganz Tirol bekannter und gefürchteter Heimwehr-Schlägertrupp aus Innsbruck, der auch nach Kufstein "angefordert" wurde. Am 28. Juni 1934 verübten Nationalsozialisten Sprengstoffanschläge auf Wasserspeicher und -leitungen rund um die Stadt, um diese zu destabilisieren.

Der "Anschluß" selbst und die Vorbereitungen dazu unterfütterte Wieser mit Zitaten aus historischen Quellen, darunter dem Originalton der deutschen Wochenschau, der den Einmarsch der Wehrmacht nach Kufstein beschreibt. Das noch heute beherrschende Bildmotiv, die Festung, nutzten die Nationalsozialisten in ihrer Propaganda eindrucksvoll, wie sich anhand der verschiedensten Druckwerke zeigen ließ, auf die Wieser in seiner Sammelleidenschaft stieß. Beeindruckend sind allerdings auch die mehr oder weniger alltäglichen Aufnahmen, die in jeder Zeit entstanden. Einen kleinen "Ausflug" machte Wieser dabei auch in die Geschichte der Südtiroler Siedlung in Sparchen.

Den Abschluss des kurzweiligen Abends bildeten dann Szenen aus den letzten Kriegsjahren und dem Einmarsch der "Rainbow-Division" der US-Armee. Hier wurde auch das Schicksal des Widerstands in Kufstein und dessen Rolle bei der Befreiung der Stadt angesprochen.

Dietmar Wiesers Vortrag war eine Premiere in mehrerlei Hinsicht. Noch nie war eine solche Fülle von stadtbezogenen Bilddokumenten aus dieser Zeit öffentlich präsentiert worden, noch dazu Teile der "Kirchmair-Chronik", die außerhalb eines Kreises von Fachleuten weitgehend unbekannt ist. Wieser spickte die eindrucksvollen Bilder mit Informationen und Anektdoten ohne dabei dozierend zu wirken und hielt mit seinem lebendigen Stil sein Publikum über die gesamte Dauer bei der Stange. Historisches aus der Heimatstadt kommt in Kufstein gut an, wie andere Vorträge und Vorführungen bereits bewiesen haben, diese "Zeitreise in die braune Vergangenheit" ist darüber hinaus allerdings ein längst überfälliger Schritt hin zur Aufarbeitung der Stadtgeschichte, den Wieser bravourös auf sich nahm.
Am 1. Juli wird es eine zweite Chance auf den Vortragsabend geben, dann bitten Heimatverein und KBW in die Wirtschaftskammer Kufstein.

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