Barrierefrei durch die Bezirkshauptstadt

Am Bahnsteig in Kufstein: Stephan Kleinekathöfer neben der "Rolli-Bühne" für den Ein- und Ausstieg zum Zug.
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  • Am Bahnsteig in Kufstein: Stephan Kleinekathöfer neben der "Rolli-Bühne" für den Ein- und Ausstieg zum Zug.
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KUFSTEIN (nos). Seit 2006 ist Stephan Kleinekathöfer querschnittsgelähmt und damit auf seinen Rollstuhl angewiesen. Wir treffen uns mit dem 46-jährigen Bad Häringer am Bahnhof Kufstein, dem ersten Testobjekt unserer Tour. "2007 bin ich zum ersten Mal wieder mit dem Zug von Kufstein nach Vorarlberg gefahren", erzählt er. Die Behinderten-Parkplätze sind gleich neben der Schalterhalle. "Uns geht es nicht darum, vor dem Haus zu parken", hält Stephan fest. Wichtig ist aber die Breite des Platzes, Stephan muss die Fahrertür komplett öffnen können, um neben sich seinen Rollstuhl ein- oder auszuladen und sich umsetzen zu können.

Am Bahnhof: Einsteigen mit Hebebühne

Die ÖBB investierten in den vergangenen Jahren hohe Summen in den Aus- und Umbau ihrer Bahnhöfe für mehr Barrierefreiheit, das merkt man auch. Das Behinderten-WC ist großzügig gehalten und lässt sich nur mit dem sogenannten "Euro-Key" öffnen, "den bekommt man zum Beispiel im Zuge der Reha", erklärt Stephan. Eine der herkömmlichen Kabinen könnte er mit dem Rollstuhl nicht nutzen, die Türen sind zu schmal.
Zu den Bahnsteigen führen Lifte, aber wie kommt Stephan in den Zug? "Das ist eigentlich kein Problem", erklärt der Bad Häringer. Am Bahnsteig steht eine Art Hebebühne bereit, Bahnmitarbeiter bereiten sie vor, zumindest ein Waggon hat eine besonders breite Türöffnung, an diese wird die Vorrichtung dann angedockt. "Damit das schnell und reibungslos funktioniert, melde ich mich vor der Reise bei den ÖBB an, das Einsteigen dauert dann keine drei Minuten", so Stephan. Die Anmeldung funktioniert telefonisch und via Internet, unkompliziert und auch recht kurzfristig, wie er aus eigener Erfahrung weiß. Zudem hat der "Railjet" einen eigenen Lift, die "Talent"-Züge im S-Bahn-Nahverkehr einen stufenlosen Einstieg.
Wir machen uns auf den Weg zum Rathaus, die Steigung vom Unteren zum Oberen Stadtplatz ist steil, aber für ihn machbar, meint Stephan. Die neue Pflasterung findet er angenehmer als die alte, sie ist weniger holprig.

Im Rathaus: "Wetten, da ist niemand drin?"

Am Oberen Stadtplatz angekommen geht's ins Rathaus, die Eingangstür öffnet sich automatisch, sobald man ungefähr eine Armlänge weit davon entfernt ist – und anfangs recht schnell. Stephan muss rasch etwas zurück, sonst stößt ihm die Tür gegen die Füße. Drinnen werfen wir wieder einen Blick auf das WC: Die Zwischentür und der dahinter liegende Gang sind schmal, aber ausreichend, das Behinderten-WC ist besetzt. "Das kenne ich schon, da ist sicher niemand drin", grinst Stephan als er ein Taschenmesser aus der Hosentasche zieht. Er klopft kurz – keine Antwort – und öffnet mit dem Schraubenzieher die von innen versperrte Tür. Leer. "Viele sperren die Toiletten, wenn sie nicht mit dem Eurokey gesichert sind, einfach ab", erklärt Stephan. Behinderten-WCs werden von manchen gerne als breitere "Luxustoilette" verwendet und so für die, für die sie gedacht wären, blockiert. "Wir müssten halt jetzt nach vorne an den Info-Schalter, die würden uns aufmachen", meint Stephan. Oder man nimmt eben den eigenen Öffner, so wie er. Mit Blick auf die Liftanlagen im relativ frisch umgestalteten Gebäude findet Stephan das Rathaus schon mal "top". Auch der Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist extra ausgebaut, eine kleine Rampe hilft, die hohe Bordsteinkante zu überwinden. "Früher waren die Gehsteigkanten teilweise extrem hoch, aber es bessert sich immer mehr", stellt Stephan unterwegs fest. Mittlerweile sei Kufstein was dies anbelangt recht angenehm, "aber im Winter ist die Schneeräumung kathastrophal, auch bei uns in Bad Häring". Im Winter ist Stephan so gut wie nie im Freien unterwegs, erzählt er.

Die alte und neue Bezirkshauptmannschaft – "absolut genial"

"Cool, das hätte ich nicht erwartet", freut sich Stephan, als wir zur "alten BH" kommen. An der Seite des Jugendstil-Baus wurde eine Liftanlage installiert, ansonsten wäre das Haus eine einzige Hürde geblieben. Drinnen machen wir uns auf die Suche nach einem Behinderten-WC und finden zufällig eines im ersten Stock. Groß, hell, breit, "absolut genial", findet Stephan. Auch in der "neuen" BH muss man das WC erst kurz suchen, gefunden haben wir es im Gang zum Amtsarzt.
Besonders gefallen hat unserem Tester auch der Parkplatz neben dem Altbau, ein zusätzlicher Streifen markiert genau die Breite, die Stephan braucht, um die Fahrertür komplett zu öffnen.

Beim AMS und im Finanzamt

"Beim ersten Mal habe ich wie alle einfach vorne geparkt", erinnert sich Stephan auf dem Weg zum Ämterzentrum, "dass direkt neben dem Eingang zum AMS zwei Behindertenparkplätze sind, muss man halt wissen." Ins AMS geht's ebenerdig, die Toiletten sind ausgeschildert und auch die PC-Arbeitsplätze aus dem Rollstuhl heraus erreichbar. Wir wechseln ins Finanzamt, eine Rampe und ein Rollstuhllift erschließen den Weg. Auf der Suche nach dem WC scheitern wir erstmal, also wird nachgefragt – am Schalter des Finanzamts, was durchaus dauern kann, je nachdem wie viel dort gerade los ist. Die Schalter sind alle auf normalgroße und stehende Personen ausgelegt. "Du schaust die Leute immer aus der Froschperspektive an, daran gewöhnst du dich", lächelt Stephan. Ein ähnliches Problem haben Rollstuhlfahrer an Geldautomaten: Durch den Blick von unten "verschiebt" sich die Tastenbelegung am Bildschirm, bei älteren Geräten sind die Bedienfelder recht hoch.

Von Arbeiter- und Wirtschaftskammer in die Gastronomie

Die Arbeiterkammer Kufstein ist im Arkadenplatz angesiedelt und nutzt die dort vorhandene Liftanlage. Die Wirtschaftskammer wurde im Zuge ihrer jüngsten Sanierung barrierefrei gestaltet. Sanierung ist dabei ein wichtiges Stichwort: "Wenn ein Bau renoviert wird, hat das nur Vorteile für uns", hält der 46-Jährige fest. Das gelte nicht nur für öffentliche Gebäude, sondern auch für Hotels oder die Gastronomie. Zudem werden die Schwimmbäder immer besser, wie Stephan feststellt. Freischwimmbad und Hechtsee verfügen über eigene Liftanlagen, damit Rollstuhlfahrer ins Wasser kommen. Auch seine Heimatgemeinde Bad Häring sei "furchtbar engagiert". Um die passenden Maßnahmen zu treffen, "brauchen sie halt oft den Anstoß", aber dann werde auch umgesetzt – beispielsweise am Kindergarten, wo Stephan oft seine kleine Tochter abholt.
Wenn Stephan Kleinekathöfer mit Freunden Essen gehen möchte, fährt er lieber nach Wörgl als in die Festungsstadt. "In Kufstein gibt's nur zwei Möglichkeiten, wo ich ohne Hilfe hinein komme und auch auf die Toilette kann", ärgert er sich. Sonst müsse er immer überlegen, ob es sich ohne WC-Besuch ausgehe, "das ist unangenehm". Er hat zwar Verständnis für Gastronomen, gerade in Altstadtbereichen, denn ein Umbau in Sachen Barrierefreiheit sei "eine brutale Kostenzumutung", aber sein Resümmee fällt trotzdem gemischt aus: "Kufstein ist barrierefrei, die Restaurants sind es leider nicht."

Hier finden Sie eine interaktive Österreichkartezur Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude.

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