Hormayr: "Erinnerungskultur gibt es in Kufstein nur in Ansätzen"

Historikerin Gisela Hormayr informierte über die Geschichte des Widerstands in der NS-Zeit, besonders im Tiroler Unterland. GR Andreas Falschlunger lauschte gespannt.
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KUFSTEIN. Zum mittlerweile 35. Mal luden die Kufsteiner Grünen gemeinsam mit ihrer "Bildungswerkstatt" zum "Philosophischen Café" in der Festungsstadt. Zu diesem kleinen Jubiläum kamen sie "zurück zu unseren Wurzeln", die Gemeinderat Andreas Falschlunger feststellte, denn seit 1999 versuchen sie, die NS-Zeit und den Widerstand in und um Kufstein aufzuarbeiten.
Geladen war diesmal die Historikerin und BHS-Lehrerin Gisela Hormayr, selbst in der Stadt aufgewachsen, die jüngst das Buch "Ich sterbe stolz und aufrecht –
Tiroler SozialistInnen und KommunistInnen im Widerstand gegen Hitler" veröffentlichte und am 8. Mai ihr nächstes Werk, diesmal über den katholisch-konservativen Widerstand in der NS-Zeit in Tirol, präsentieren wird. Dieser Band entstand unter der Projektleitung von Horst Schreiber und der Gaismair-Gesellschaft im Auftrag des Landes.
Hormayr ging in ihrem kurzen Vortrag, der auch für das Freie Radio Innsbruck ("freirad") aufgezeichnet wurde, primär auf den linken Widerstand in der Region ein, spannte aber den Bogen auch hin zum katholischen Widerstand, den Zeugen Jehovas und Deserteuren. Im Grund ging es um Opfergeschichte und ihre Aufarbeitung. Die anschließende Diskussion war geprägt von einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gedenkkultur in der Region und besonders in der Festungsstadt.

Widerstand in Tirol: Schulung statt Aktion
In ihren Nachforschungen stieß die Historikerin vor allem auf zwei Gruppen linken Widerstands im Bezirk, den der "Revolutionären Sozialisten" und den kommunistischen, wobei hier die Trennlinie nicht allzu scharf zu ziehen sei, besonders da nach 1941, als der Angriff auf die Sovietunion erfolgte, "Linke" vom Regime mit Kommunisten begrifflich gleichgesetzt waren.
Stützen kann sie ihre Thesen einerseits auf Berichte und Verhörprotokolle der GeStaPo Innsbruck, die im Gegensatz zu einem Großteil der Akten nicht im Frühjahr 1945 vor dem Heranrücken der Alliierten vernichtet wurden. Andererseits waren es "die ungeheueren Schätze des Fritz Kirchmair", ehemaliger Leiter der Volksschule Schwoich, der über Jahre hinweg Daten und Fakten über die NS-Zeit in der Region zusammengetragen hatte und zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen führte.
"Was den linken Widerstand in Tirol anbelangt waren die Opfer beträchtlich", stellte Hormayr fest. Sowohl die Gruppe um das Wörgler Ehepaar Josefine und Alois Brunner, als Sozialdemokraten bereits im Austrofaschismus verfolgt, als auch jene um die Kufsteiner Kommunistin Adele Stürzl wurden von der GeStaPo gesprengt, zahlreiche Mitglieder wurden vom Regime hingerichtet.
Eines hatten die beiden Gruppen, denen basierend auf den Protokollen der GeStaPo beinahe keine Verbindungen miteinander nachgewiesen werden können, gemeinsam: Ihr Widerstand war nicht aktionistisch, sie planten keine Attentate oder Sabotageakte, nur selten wurden auch nur Flugblätter vervielfältigt. Eher sahen sie ihre Aufgabe darin, Mitglieder zu schulen und weiterzubilden, um nach dem Niedergang des Dritten Reichs bereit zu sein, Aufgaben in öffentlichen Funktionen wahrzunehmen.

Naturfreunde und Konsumgenossenschaft
Die Gruppe um das Ehepaar Brunner war bereits vor dem sogenannten Anschluss Österreichs an Hitlerdeutschland aktiv, knüpfte Verbindungen mit den seit 1933 arg in Bedrängnis geratenen Sozialdemokraten in Bayern und dem restlichen Reich. Ihr – bescheidenes – Netzwerk spannte sich vorallem um ehemalige Mitglieder der Arbeiterjugend, der Kinderfreunde, Naturfreunde und der Konsumgenossenschaft. "Viele Linke im Unterland kannten sich über ihre Mitgliedschaft bei den Naturfreunden", erklärt Hormayr. Von dort kam auch die Verbindung zu den Bayern, gemeinsame Wanderungen im Kaisergebirge oder auf die Hohe Salve wurden genutzt, um vermeintlich ungestört planen zu können – die GeStaPo bespitzelte allerdings trotzdem, nahm 1942 zuerst eine Gruppe in Salzburg, dann die Wörgler hoch. In Innsbruck wurde das Ehepaar Brunner, von dem erschütternde Briefe aus der Haft erhalten blieben, von einem Volksgerichtshof-Prozess gemeinsam mit Erich Frieb wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zum Tod verurteilt. Die Anklage wegen "gewaltsamen Umsturzes" gilt als stark vom Regime konstruiert, nur einmal hatte Josefine Brunner sechs Pistolen aus Bayern nach Wörgl geschmuggelt, diese aber rasch nach Wien weiterverbracht. "Zu radikaleren Methoden haben eher die Salzburger geneigt", verweist Hormayr auf die erhaltenen Quellen.

"Flintenweib" Adele Stürzl
Das bekannteste "Aushängeschild" der Kufsteiner Gruppe ist die Kommunisitin Adele Stürzl, an die heute ein Weg in der Festungsstadt erinnert. Im Vergleich zum eher braven "Landmädel" Josefine Brunner, wurde Stürzl von der GeStaPo beinahe gefürchtet, galt als "Flintenweib". Auch dieses Widerstandsnest stützte sich primär darauf, Mitglieder zu schulen. "Ihre Idee war nicht die Aktion", erklärt Hormayr. Die Kufsteiner hatten recht enge Kontakte ins Brixental und nach Kitzbühel sowie relativ regen Austausch bis nach Berlin, wohin etwa der Hopfgartner Alois Graus geschickt wurde, um sich ausbilden zu lassen. Als Mitglieder der Kitzbüheler Gruppe im Februar 1942 verhaftet wurden, arbeiteten die Kufsteiner zuerst einfach weiter: "Offenbar haben die Kufsteiner gedacht sie sind sicher", merkt Hormayr an. Ihnen schloss sich auch der katholisch-konservative ehemalige Heimwehrfunktionär Thomas Sappl an, der "notfalls auch mit den Linken" gegen das Regime kämpfen wollte. Auf einer Hütte der Familie am Winterkopf kam es zu einigen Treffen.
Im Juni 1942 wurde Stürzl verhaftet und ins Innsbrucker Landesgefangenenhaus gebracht, im März 1944 nach München-Stadelheim überstellt und zum Tod verurteil. Ende Juni 1944 wurde Adele Stürzl in München hingerichtet.

Zeugen Jehovas, Katholiken und Deserteure
Elf von 100 Tiroler Zeugen Jehovas wurden während des Dritten Reichs in Konzentrationslager verbracht, weil sie jegliche Zugeständnisse an das Regime ablehnten, wie etwa den Eid auf Reich und Führer oder den Militärdienst zu leisten. In Relation gehören sie zur größten Opfergruppe im Land.
Auch einige Priester, Nonnen und Mönche stellten sich gegen die Nationalsozialisten und mussten dies mit dem Leben bezahlen, zahlreiche wurden in KZ verbracht und schwer misshandelt. "Von allen Weltpriestern in Tirol ist jeder fünfte in Haft gewesen", so Hormayr, "viele sind durch Mißhandlungen zu Grunde gegangen." Gegen sie gab es nur selten Gerichtsurteile, mindestens 43 starben ohne jegliche Anklage in den Lagern der Nationalsozialisten.
Karg ist die Aktenlage auch bei den Wehrmachtsdeserteuren, von den Divisionsgerichten in Innsbruck sind bislang keine Unterlagen mehr gefunden worden, lediglich zwölf Namen von Opfern sind bekannt. Weiters schätzen Historiker, dass es mindestens 1000 Feldgerichte gegen Deserteure gegeben habe, genaue Zahlen zu eruieren ist unmöglich. "Man kann sagen wie viele vor einem Volks- oder Oberlandesgericht gestanden sind, es gibt Zahlen aus den KZ", erklärt Hormayr, aus der Militärgerichtsbarkeit sei wenig erhalten geblieben.

Wie und wo erinnern?
Das "Befreiungsdenkmal" vor dem Landhaus am Innsbrucker Eduard-Wallnöfer-Platz, an dem 2011 die Namen einiger Tiroler Widerständler, die Opfer des NS-Regimes wurden, angebracht sind sowie die kleine Gedenktafel für die beiden Cimbern Walter Caldonazzi und Ernst Ortner sind zwei der spärlichen Erinerungen an den Widerstand gegen die Nationalsozialisten in Tirol. Am Bundesgymnasium Kufstein etwa erinnert nichts an die zwei ehemaligen Schüler, die später vom Regime ermordert wurden, auch in der Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum wird dieses Kapitel nicht erwähnt. "Kufstein ist mit diesem Denkmal und dem Adele-Stürzl-Weg eh gut dran", fasst Historikerin Gisela Hormayr etwas bitter die Gedenkkultur im Land zusammen. 2008 stellten die Kufsteiner Grünen im Gemeinderat den Antrag auf Errichtung einer Gedenktafel für Adele Stürzl, der allerdings abgelehnt wurde.
"Wenn die Stadt Schwaz ein dickes Buch zur Zeitgeschichte hat und Kufstein garnichts, dann sagt das auch etwas", so Hormayr.
Neues Wasser auf die Mühlen der Erinnerungskultur in der Festungsstadt könnte ein für den 27. Mai geplanter Vortrag des Heimatvereins und des Katholischen Bildungswerkes mit sich bringen. Dietmar Wieser referiert in der Landesmusikschule mit beeindruckenden Bildern und Daten aus der Sammlung Fritz Kirchmairs über "Kufstein in der Zeit des Nationalsozialismus".

Historikerin Gisela Hormayr informierte über die Geschichte des Widerstands in der NS-Zeit, besonders im Tiroler Unterland. GR Andreas Falschlunger lauschte gespannt.
Im intimen Rahmen des "philosophischen Café" bekamen Interessierte spannende Einblicke in ein dunkles Kapitel Zeitgeschichte serviert.
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