Von Leitmeritz nach Tirol

12. April 1938, 8:00 Uhr in der Früh. Die Wehrmacht wartet auf den Befehl in Kufstein einmarschieren zu dürfen. | Foto: ÖNB/Hoffmann H.
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  • 12. April 1938, 8:00 Uhr in der Früh. Die Wehrmacht wartet auf den Befehl in Kufstein einmarschieren zu dürfen.
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Die Geschichte der Familie Pickert - Teil 2: Vom Anschluss ins Konzentrationslager und der Weg in die 2. Republik

KUFSTEIN (hube). 12. März 1938, 8:00 Uhr in der Früh. Die Schlagbäume an der Grenze Kiefersfelden standen offen. Die Soldaten der Wehrmacht warteten auf den Befehl, dass sie die Grenze überschreiten dürfen. Der sieben Jahre dauernde Anschluss der „Ostmark“ an das „Großdeutsche Reich“ wurde mit diesem Akt welchem eine Farce, genannt „Volksabstimmung“ vorausging vollzogen.

1938 der Anschluss Österreichs
Gerade als glorreich konnte man den waffenstrotzenden Einmarsch in Kufstein nicht bezeichnen. Eine Feldküche, die sogenannte „Gulaschkanone“ die von Pferden gezogen wurde schaffte die Steigung vom Unteren- zum Oberen Stadtplatz nicht. Die Pferde stellten das Gefährt quer, die Parade stockte und kam somit aus dem Rhythmus.
Für die Familie Pickert begannen ab diesem Tag die Schrecken, Ängste und die Ungewissheit welche diese unsagbare Zeit Millionen von Menschen brachte. Noch im April 1938 wurde Karl Pickert mit anderen Kufsteinern von der Geheimen Staatspolizei (GeStaPo) in sogenannte „Schutzhaft“ nach Innsbruck genommen. Kurz darauf wurde er in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Hier sollte er bis 1940 als „politischer Häftling“ bleiben. Grund der Verhaftung: Seine öffentlichen Vorträge gegen den Nationalsozialismus. In Kufstein wurden zwischenzeitlich seine Rechtsanwaltskanzlei, das Wohnhaus, sowie alle beweglichen Güter enteignet. Auch die Zulassung als Anwalt wurde ihm entzogen. Seine Frau Dolores zog zu ihrer verheirateten Tochter Irmtraud nach St. Anton am Arlberg. Zwei Jahre dauerte seine Haft im KZ Theresienstadt. Bei der Freilassung erhielt er die Auflage, mit niemandem über die Zeit im Lager zu sprechen. An Körper, Geist und Seele schwer erkrankt ging er die knapp 5 Kilometer in seinen Geburtsort Leitmeritz. Im dortigen Krankenhaus wählte er den für sich einzigen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit, er stürzte sich aus dem 4. Stock in den Tod.

6 Jahre in 3 Konzentrationslagern
Sein Sohn Harald zog im Jahre 1928 von Kufstein nach Leitmeritz. Der 27 jährige musste aus familiären Gründen die Druckerei und den Verlag als Geschäftsführer übernehmen. Auch er heiratete wie sein Vater ein Mädchen aus Leitmeritz. Diese Ehe welche Sohn Guntram (1937) hervorbrachte sollte keine Beständigkeit haben. Auch Harald verurteilte auf das Schärfste den Nationalsozialismus und seinen „Führer“ Adolf Hitler. Seine Möglichkeit des aktiven Widerstandes bestand im gedruckten Wort. Als Herausgeber und Verleger etlicher regionaler und überregionaler Zeitungen achtete er stark darauf, dass in diesen gegen die Unmenschlichkeit des Regimes und gegen seine Absicht der Kriegsführung publiziert wurde. Am 15. März 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in der "Rest-Tschechei" ein. Die Besetzung wurde zum Auftakt für den anstehenden Weltkrieg und legt die Weichen für die spätere Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus dem Sudetenland. 31. Oktober 1939, Harald Pickerts Büro in Leitmeritz wird durch Angehörige der SS (Schutzstaffel) und der GeStaPo gestürmt.

Als Kunstfälscher mißbraucht
Damit begann sein 6 Jahre andauernder Weg durch die Hölle von 3 Konzentrationslagern . Von 1939 bis 1945 in den „Schlachtfabriken“ Mauthausen, Sachsenhausen und Dachau wurde der Grafiker als Kunstfälscher missbraucht. Messbar werden diese 2.190 Tage in der von Menschen gemachten Hölle durch die täglich zugewiesenen 700 Kalorien an mehr oder minder genießbaren Lebensmitteln. Am 29. April 1945 wird das KZ Dachau durch die US- Armee befreit. Der 1,83 Meter große einst 80 kg schwere Hobbysportler magerte zu einem Skelett von knapp 40 kg ab. Auf dem rechten Ohr ist er durch Keulenschläge taub geworden. Aber er hat überlebt. Über seine Erlebnisse als KZ- Häftling wollte er auch Jahrzehnte nach den traumatischen Jahren nicht sprechen.

Das Zeichnen half ihm das Schreckliche zu verarbeiten
Seine persönliche Verarbeitung des Erlebten und Erlittenen war und ist die Sprache des Künstler. In den letzten Wochen vor Kriegsende herrschte in Dachau das Chaos und die einst so „gut organisierten Herrenmenschen“ der SS, welche „Treue bis in den Tod auf ihren Führer“ schworen suchten ihr Heil in der feigen Flucht. Da begann Pickert zu Zeichnen. Er skizzierte seine Gefühle, Gedanken und Emotionen auf alles was ihm als Unterlage diente, so z.B. auf die Rückseite des Lagerkommandatur Briefpapieres, auf Kartonstückchen, auf Butterpapier...... .

Harald Pickert hatte ein erfülltes Leben, dass er gemeinsam mit seinen Angehörigen verbrachte. Beruflich wurde sein Schaffen über die Grenzen seines Umfeldes hinaus honoriert und geschätzt. 1983 starb er friedlich im Kreis seiner Familie. 10 Jahre nach seinem Ableben wurde durch Stadtratsbeschluss eine Wohnstraße in Kufstein nach ihm benannt. Noch heute sind etliche seiner Kunstwerke im öffentlichen Bereich Zeugen seines Schaffens. Die Jahre in den Konzentrationslagern in welchen er der Willkür, der Gewalt und der Tyrannei unterworfen war blieben aber sein Geheimnis.

Der Fund der Zeichnungen aus dem KZ
Aber Ende Jänner 2015 fanden sein heute 78 jähriger Sohn Guntram und seine 72 jährige Schwiegertochter Ursula im Zuge der Aufarbeitung seines umfangreichen künstlerischen Nachlasses ein Mappe, die 70 Jahre verborgen war. Darin Dutzende von Grafiken die als eindringliche Dokumente der Zeitgeschichte angesehen werden können und das „niemals Vergessen“ in die Gegenwart bringen.

Eine Bilderreihe der „Zeichnungen aus dem KZ“ von Prof. Harald Pickert sehen sie unter:
http://www.meinbezirk.at/kufstein/chronik/kufsteiner-kuenstler-dokumentierte-das-grauen-in-den-konzentrationslagern-d1264455.html

Teil 1 dieser Reportage unter:
http://www.meinbezirk.at/kufstein/chronik/von-leitmeritz-nach-tirol-d1250270.html

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