Gipfel der Religionen am Arlberg

Dr. Muhamed Fazlovic | Foto: Dietmar Mathis
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ST. CHRISTOPH. In St. Christoph am Arlbeg beschäftigte sich vergangenes Wochenende der "1. Gipfel der Religionen" aus verschiedenen Perspektiven mit den mittelfristigen und langfristigen Folgen der aktuellen Flüchtlingskrise. Bedeutende Vertreter der drei monotheistischen Religionen (Christentum, Islam, Judentum) sowie Künstler und Intellektuelle trafen sich im traditionsreichen Arlberg Hospiz Hotel im neu eröffneten arlberg1800 Veranstaltungssaal, um in einem neuen Veranstaltungsformat die Ressourcen von Religion und Kultur für Krisenbewältigungen auszuloten.
Am 20. November wird das neue 1500 Quadratmeter große arlberg1800 Kultur-Areal um eine neue Kunsthalle erweitert.
Brennende Themen rund um die Flüchtlingskrise, Migration und Integration zogen sich durch die Diskussionen wie ein roter Faden. Im Unterschied zu konventionellen politischen Tagungen verstand sich der Gipfel der Religionen als ein offenes Forum und setzte auf Partizipation. Alle Teilnehmer wurden in Workshops, Lesungen und Gesprächsrunden stark mit einbezogen.

"clash of cultures"

In seinem Einleitungsreferat wandte sich der am Int. Theol. Institut (ITI) in Trumau bei Wien lehrende deutsche Theologe Thomas Möllenbeck gegen das häufige Vorurteil, der vielbe-schworene «clash of cultures» wäre weniger dramatisch, wenn die Religionen schon so erfolgreich "verweltlicht" wären, wie in den westlichen, sogenannten ‚offenen‘ Gesellschaften. "Ihre Säkularisierung kann Religionen genauso gefährlich machen wie ihre Verabsolutierung", so Möllenbeck und spielte damit auf die Vereinnahmung der Religion durch die Politik an.
Der Entwicklungshilfeminister des Vatikans, Prälat Giampietro Dal Toso vom Päpstlichen Rat "Cor Unum" wies am Arlberg darauf hin, dass die Migration immer schon ein zweischneidiges Thema war. "Jesus selbst war als Flüchtling in Ägypten, da er von Herodes verfolgt war. (...) Die Geschichte ist von solchen Erscheinungen durchdrungen, wobei die Begegnung der Völker zwar viel Leid auslösen kann, aber der Menschheit zugleich immer neue Impulse gibt. Ohne Migration wären heute die Schweiz oder Österreich nicht das, was sie sind."
Der hohe Vertreter des Vatikans warnte aber auch vor einer generellen Dämonisierung von Grenzen: "Territorial gesehen, braucht jeder Staat eine Grenze, um überhaupt festzulegen, für wen er da ist. Ein Verfassungsstaat braucht Grenzen, um eine Ordnung stiften zu können, Dienste zur Verfügung zu stellen, Zuständigkeiten zu klären. Eine Grenze ist notwendig, damit der Staat seine Funktion ausüben kann. Selbst im europäischen Bereich werden besonders sensible Fragen den nationalen Regierungen überlassen, im Bewusstsein, dass lokale Kultur und Tradition ebenso entscheidend prägen und zu berücksichtigen sind, wie europäische Interessen grenzüberschneidend sind. Dass also eine Grenze passierbar ist, bedeutet nicht, dass es überhaupt keine Grenzen geben soll. Über jede plumpe Vereinfachung hinaus wird uns also heute in dieser Krise das Spannungsverhältnis zwischen universal und lokal am Beispiel der Grenzen neu bewusst."
Der Vertreter der bosnischen Muslime, Muhamed Fazlovic aus Sarajewo, unterstrich die Bedeutung seiner Gemeinschaft als "Vermittlerin" und als authentisch-europäische Spielart des Islam und nannte die Krise der Familienwerte als eines mehrerer Felder, auf denen eine Zusammenarbeit von Christen und Muslimen in Europa fruchtbar sein könnte. Auch der bekannte liberale Berliner Rabbiner Walter Rothschild brachte spezifische Elemente seines jüdischen Glaubens, wie Selbstironie und Toleranz, bei gleichzeitiger Möglichkeit des Wahrheitsanspruchs zur Krisenüberwindung ein.

Thema Versöhnung

Ein weiterer Schwerpunkt war das Thema Versöhnung, das erfahrungsgemäß für das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener kultureller, ethnischer und religiöser Herkunft zentral ist. Da der Politik hier jedoch klare Grenzen gesetzt sind, erscheint ein diesbezüglicher Beitrag der Religionen umso dringender.
Der vitale und notwendige Beitrag zur Konfliktüberwindung durch Menschen, die fest im Glauben stehen, war auch Thema eines Abends mit dem deutschen Regisseur und Autor Patrick Roth, der davor warnte, zu rasch die vermeintlich klare Grenze zwischen Gut und Böse zu fixieren. Der grundlegende Wert einer Haltung, die sich am Gewissen und Recht orientiert und jenseits von einer sehr leicht kippenden "Symbolpolitik" sich selbst treu bleibt, wurde auch von Filmstar Tobias Moretti hervorgehoben, der sein Engagement gemeinsam mit der Schauspielerin Gabriele Schuchter durch eine Lesung von Texten aus der "Antigone" von Sophokles eindrucksvoll unter Beweis stellte.

Hochkarätige Teilnehmer

Unter den Teilnehmer waren auch die deutsche Religionsphilosophin Barbara Gerl-Falkovitz, der Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer und die österreichische Afrikaexpertin und Diplomatin Andrea Wicke als Vertreterin von Außenminister Kurz.
Die Tagung im Hospiz soll mit dem gleichen Dialog-Charakter und einem weiterführenden Thema im Oktober 2016 fortgesetzt werden und zu einem Fixpunkt geistiger Auseinandersetzung im Westen Österreichs werden. Initiator ist der Hotelier Florian Werner: "Das Format der Veranstaltung hat sich bewährt, da es Zeit für faszinierende Gespräche erlaubte, das Thema ist hochaktuell und ausbaufähig. Wir setzen also fort."

Angst ein Zeichen der Schwachheit

In einem abschließenden Statement erinnerte Giampietro Dal Toso als enger Mitarbeiter des Papstes daran, dass die Angst ein Zeichen der Schwachheit ist. "Ja: wir fühlen uns schwach. Somit wird der Andere zu einer Bedrohung für uns. Seit der Gründung der Europäischen Union wiederholen wir, dass Europa eine Seele braucht. Europa scheint sich jahrzehntelang nur um Fragen der Wirtschaft gekümmert zu haben, also nur um Fragen eines gesicherten Wohlstands. Wir haben die Wirklichkeit allein mit der betäubenden Droge des Wohlstands wahrgenommen. Aber dies bedeutet, dass wir nur um uns selbst kreisen, um unsere authentischen oder vermeintlichen Bedürfnisse, um Interessen, Rechte, Positionen, wo es im Grunde nur um das eigene Ich geht. Wir haben aber ein viel größeres Potenzial. Die Europäer sind über unbekannte Meere hinausgesegelt, haben die Größe einer sinngebenden Synthese vermittelt, haben eine globale Kultur ermöglicht. Dessen sollten wir uns neu bewusst werden."

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