Zwei deutsche Komponisten auf Dienstreise
Beide deutschen Komponisten haben eines gemeinsam: Sie waren ausgesprochen reiselustig. Den einen – Felix Mendelssohn Bartholdy – trieb es nach England und weiter nach Schottland, wo er sich zur Symphonie Nr. 3 in a-moll - die auch als "Schottische Symphonie" bekannt ist - inspirieren liess. Der andere – Johannes Brahms – besuchte während seiner Wanderjahre mehrmals Italien und auch Wien, wo er sich später endgültig niederliess.
Ich las nach, was Musiktheoretiker über die beiden schrieben. Da ging es um stimmungsmordende Pausen, Kadenzen, Kontrapunkt – aber das alles ist für den Zuhörer völlig uninteressant.
In Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr. 3 sah ich, wie Braveheart gegen Unrecht, Tyrannei und Unterdrückung zu Felde zog. Ich hörte das Schnauben der Pferde, das Kriegsgetümmel, spürte das nasse vom Regen getränkte grüne Gras. Ich dachte auch an Maria Stuart, den Verrat, den Kerker. Das alles höre ich - ohne Zweifel beeinflusst durch andere Medien - in diesem Werk. Maestro Bertrand de Billy leitet die Wiener Symphoniker durch die anfangs düstere Stimmung, die von Nebel, Wind und Gewitter geprägt ist. Der 2. Satz bringt mich auf ein Volksfest mit tänzerisch folkloristischen Melodien. - Großartig, wie die Klarinette den Dudelsack mimt! Danach befinde ich mich inmitten der schottischen Literatur -kleine Fehden, aber auch Kriege, Gemetzel und Schrecken verdichten sich zu einem Trauerspiel. Das Finale endet in einer festlichen Apotheose.
Der zweite Teil des Konzerts ist einem weiteren Romantiker gewidmet: Johannes Brahms. Das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in B-Dur zeichnet sich vor allem durch den beeindruckenden Solistenpart aus. Gleich zu Beginn ein romantisches Hornsolo, aus dem sich eine ausgedehnte Klavierkadenz entwickelt. Und im langsamen Satz ein Solocello, das zum Partner des Klaviers wird. Der Tonsetzer machte seine ersten Skizzen dazu auf einer Italienreise, und ich spüre, wie sehr ihn das beeinflusst hat. Sein Freund, der berühmte Chirurg und ausgewiesene Musikkenner Theodor Billroth, schwärmte, als er die Partitur des Andante zum Lesen bekam, von einer „Mondscheinnacht in Taormina“. Ich denke dabei eher an die weiche Amalfiküste, an Capri. Diese Musik kommt bei mir so an.
Ein Wort noch zur Pianistin Khatia Buniatishvili: Die hübsche junge Frau aus Georgien mit dem unaussprechlichen Namen dominiert die Brahms‘sche Komposition mit allen Finessen. Sie spielt ohne Partitur eine ergreifende Performance, die man nicht oft in einem Konzertsaal hört. Sie harmoniert mit dem Orchester und lässt es trotz ihrer hervorragenden Soli beim Publikum voll zur Geltung kommen. Im roten Paillettenkleid bildet sie einen erfreulichen Kontrast zu den schwarz gekleideten Damen und Herren des Orchesters.
Furios auch die beiden Zugaben, einmal bis zur körperlich totalen Verausgabung bei der Sonate Nr.7 B-Dur von Sergej Prokofjew, die unter Experten als eine der größten Herausforderungen für PianistInnen gilt, und dann noch das Menuett g-moll von Georg Friedrich Händel. Sie spielt es zart, leise, sensibel, gefühlvoll, verinnerlicht. Der Applaus vom begeistertem Publikum wollte kein Ende nehmen.
Schweren Herzens trenne ich mich von diesem bezaubernden Anblick, aber schließlich siegt mein Hungergefühl und der reservierte Tisch im Gmoakeller.
Reinhard Hübl
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