Die Unverfrorenheit einer kaputten Gesellschaft
Wer oder wie ist der ideale Mann? Einer, der in der Kindheit einen passablen Rorschachtest absolviert hat, liebesfähig ist, genug Zaster nach Hause bringt, ein Netzwerk aufgebaut hat, sich - ohne erwischt zu werden - die eine oder andere Schwindelei geleistet hat, ein ehrenwerter Mann der Gesellschaft geworden ist?
Bei Oscar Wilde in der Übersetzung von Karin Rausch und in der Bearbeitung von Elfriede Jelinek kommt zu Tage, wie schamlos sich die Korruptionisten bedienen. Die Nobelpreisträgerin hat das Stück „Der ideale Mann“ verösterreichert. „Die Lüge hat hierzulande Kultur“, meint die Schweizer Regisseurin Barbara Frey im Profil. In der Tat hat die Wirtschaftskriminalität und politische Korruption ungeheure Ausmaße erreicht. Das Schlimme daran ist, es regt sich kaum jemand auf. Ein paar Wutbürger vom österreichischen Occupy-Wall-Street-Ableger versammelten sich zuletzt am Stephansplatz. Anneliese Rohrer, die scharfzüngige Journalistin, hält regelmäßig Stammtische für Wutbürger ab. Es sind viel zu wenige. „Die Pülcher san eh olle gleich“, ist an den Biertischen zu hören. Journalisten schreiben sich die Finger wund und erzielen dennoch keine höheren Auflagen. Die Justiz schiebt die Verantwortung in die Besenkammer.
Jelinek macht die Komödie zur Polit-Farce. Zu Recht. Aber es wird sich nichts ändern, wenn in Österreich nicht ein Urknall passiert. Gegen die Korruptionisten anschreiben? Gut! Heute sind es die Diplomatenpässe, eine halbe Million für die Schwiegermutter über die Grenze, Lobbying des Grafen für Eurofighter. Und morgen? Kann in Österreich noch etwas vorkommen, das die bisherigen Polit-Skandale überbietet? Die Literatur hat nur wenig Kraft, direkt etwas zu verändern. Ein Aufschrei, mehr nicht. Ist es dann gerechtfertigt, den Spielplan danach zu gestalten? Ja, das ist es. Denn: Wenn einmal das Theater und die Kunst im Allgemeinen ihre kritische, moralische, aufzeigende Funktion aufgeben, ist unsere Gesellschaft verloren.
Oscar Wilde wurde in die industrielle Revolution hinein geboren, ins viktorianische Zeitalter Ende des 18. Jahrhunderts. In eine Zeit, wo liberale Kräfte die Oberhand gewannen. Auch die Korruption. Bei den sexuellen Neigungen des gesellschaftskritischen Autors war aber Schluss. Der Familienvater ging sehr offen mit seiner Homosexualität um. Die Kontakte zu schwulen Prostituierten wurden ihm letztendlich zum Verhängnis. Die Moralisten hatten sich zurück gehalten, solange er nur sexuelle Kontakte zur besseren Gesellschaft hatte. Als er „ungeniert“ seine Sex-Abenteuer zu den unteren Klassen verlagerte, schlugen sie zu. Zwei Jahre musste er einsitzen und schwere Zwangsarbeit leisten.
Im Stück selbst geht es um Liebe, Erpressung, Intrige, Reichtum und Macht. Alles Grundzutaten für die Karriere in der Politik. Das erwartete Ergebnis ist die Bereicherung, die als selbstständiges Nebenprodukt in der Teufelsküche entsteht. „Mit vollen Hosen ist gut stinken“, sagt ein Sprichwort. Wenn es keine oder ausreichende Moralschranken gibt, ist es unwichtig, ob man stinkt oder nicht. Die Gier und vor allem das Geld zählen. Die Salonräuber haben Vorfahrt. Führende Politiker der Ära Schüssel geben beredetes Zeugnis für die Unverfrorenheit der Blender und Nehmer.
Im aktuellen Stück „Der ideale Mann“ im Akademie-Theater steht ein scheinbar integrer Mann mit einigen Schattenseiten im Mittelpunkt der „besseren Gesellschaft“. Am Anfang seiner Karriere hat er sich mit Insider-Geschäften angepatzt. Man kann solche Untaten nicht heimlich machen. Irgendjemand weiß immer davon. So wird Unterstaatssekretär Robert Chiltern (Michael Maertens) von einer weitgereisten Frau, Mrs. Cheveley (Caroline Peters), besucht. Sie weiß vom schwarzen Fleck in seiner Biografie, entlarvt und erpresst ihn. Er solle als Gegenleistung für ihr Schweigen, seinen Widerstand im Kabinett der Regierung gegen die Finanzierung des „Hypo-Alpenkanals“ (!) aufgeben. Dort habe sie investiert und nun droht das Projekt zu kippen. Robert Chiltern hält einen schier endlosen Monolog über die Finanzwelt, die von Frauen, insbesondere von Mrs. Cheveley, „ohnehin nicht verstanden würde“. Wenn man die Augen schließt, könnte man meinen, die Budgetrede des „ultra-sauberen“ KHG über das Nullprozentdefizit zu hören. Er will es nicht wahr haben, dass jemand seine Karriere gefährden kann. Seine ständig Kaugummi kauende Frau beschwört ihn, die Rede wie geplant zu halten. Sie lamentiert über die Schlechtigkeit der Welt. Sie selbst sei so sehr sozial engagiert: in den Arbeiterregionen, den Behindertenregionen, in den Kinderregionen und in der Afrikawelt. Dämmert‘s, von wem die Sätze stammen könnten? Nein? Zweiter Hinweis: die Bühne ist mit Kristallen umrahmt. Na, eben. Um das weitere Wohlergehen des smarten Unterstaatssekretärs zu sichern, wird Lord Goring (Matthias Mitschke) eingeschaltet, ein Tunichtgut, dessen Leben nur so dahin fließt, als ob‘s kein Ende gäbe. Im Dialog der Freunde fällt der Schlüsselsatz: „Man muss immer wissen, wo sich das Kännchen mit dem Schmieröl befindet“.
Die Dame ist gerissen aber dumm. Sie erzählt von einer verlorenen Brosche, derer Lord Goring fündig geworden ist. „Ist das die Brosche?“, frägt er hinterfotzig. Cheveley darauf: „Ja, das ist sie“ und macht damit ein Geständnis. „Die Brosche habe ich vor einiger Zeit einer Freundin geschenkt und sie wurde ihr gestohlen, nämlich von Ihnen“, sagt der Lord. Nun herrscht Patt-Stellung zwischen dem Politiker und der Lady. Sir Chiltern hält wie geplant seine Rede, wird tags darauf einhellig für seine Haltung von der Presse als kommender Politstar bejubelt. Seine Aufgabe sei erfüllt, er trete zurück, sagt er vor dem versammelten Hochadel. Da kann nicht einmal das Angebot des Premierministers locken, eine wichtige Position im Kabinett einzunehmen. Der Vater von Lord Goring (Johann Adam Öst) beschwört ihn, das Amt anzunehmen. Bis 10 Minuten vor dem Vorstellungsende, denke ich „endlich, dieser Mann hat kapiert, dass seine Unverschämtheiten und Malversationen ein Schlusspunkt haben müssen“. Noch ehe der Gedanken zu Ende übergelegt ist, wankt er wieder. Wenn man ihn schon bittet und die Aufforderungen so dringlich seien, werde er sich weiter für das Wohl der Gesellschaft einsetzen. Das Bild erstarrt. Jubel! Selbst von jenen, die an diesen Zuständen mitschuldig sind. Das Amigo-System (©Format) klatscht sich die Hände wund. Auf einem Nebengeleise der politischen Kumpanei lauscht auch einer der Aufführung, der gerade große Schwierigkeiten hatte, einen bestimmten Büroleiter zu installieren. Die Claqueure des Niedergangs sind vereint.
Jelinek hat ein Stück adaptiert, in dem aus der sogenannten feinen Gesellschaft aus Jägern, Golfspielern und Schlossbesitzern gewiefte Betrüger hervor gehen und den Steuerzahler aussackeln. Die Qualitätspartnerschaft auf der Bühne, die auch die Nebenrollen von Maria Happel, Kirsten Dene und dem sprachlich unvergleichlichen Peter Matic umfasst, steht die Regisseurin Frey um nichts nach. Das überzeugende Bühnenbild eines Patrizierpalastes von Bettina Meyer gibt dem Bühnengeschehen einen überzeugenden Rahmen.
Und Thomas Bernhard sitzt auf seiner Wolke im Schriftsteller-Himmel und kommentiert: „Gut gemacht, Elfriede.“
Nächste Vorstellungen: 9./18./24./29.2.
Reinhard Hübl
Freier Journalist
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