1914
Als 7.350 Menschen aus der Ukraine nach Wolfsberg flüchteten
Schon vor über 100 Jahren suchten Ukrainer – damals Ruthenen genannt – in Österreich Schutz. In Wolfsberg waren 7.350 Kriegsvertriebene untergebracht, damit bestand die Hälfte der Wolfsberger Gesamtbevölkerung aus Flüchtlingen.
WOLFSBERG. Wie heute, so auch vor 108 Jahren, ergoss sich ein Strom von hunderttausenden Kriegsflüchtlingen von Galizien und Lodomerien, dem damaligen Kronland der K.u.K.- Monarchie, der heutigen Westukraine, gegen Westen. In beiden Fällen waren Kriegsereignisse der Auslöser. 1914 überrannte die Armee des Zaren als Folge des bisher größten Spionagefalls der österreichischen Geschichte um Oberst des Generalstabes, Alfred Redl, die Verteidigungslinie der K.u.K-Armee an der Ostfront und löste dadurch eine riesige Flüchtlingswelle der betroffenen Zivilbevölkerung aus.
Wolfsberg wurde zur Lagerstadt
„Damals wurden in der Donaumonarchie an mehreren Stellen Auffanglager für die Flüchtlinge errichtet, zum Beispiel in Niederösterreich, der Steiermark und in Kärnten“, berichtet der Lavanttaler Historiker Walter Richter. „Auch im Süden von Wolfsberg, in der Lavantau, im heutigen Ortsteil Reding, westlich der Bahnlinie und nördlich der Südtangente. Wolfsberg wurde somit erstmals Lagerstadt und mit dem Kriegsgefangenenlager der Nazis Stalag XVIII A 1939 und dem britischen NS-Interniertenlager Camp 373 1945 darüber hinaus noch weitere zweimal.“
Das Ruthenenlager
Die Kärntner Landesregierung errichtete ab Oktober 1914 und in den Monaten danach für letzten Endes 7.350 Flüchtlinge, in der Masse ruthenische (heute ukrainische) Frauen, Kinder, aber auch für Polen und Juden, das sogenannte Galizianerlager bzw. Ruthenenlager. Neben den 62 Wohn- und Schlafbaracken gab es für die an Typhus, Ruhr und Cholera Erkrankten Isolier- und Krankenbaracken, weiters eine Entlausungs- und Badebaracke, drei große Zentralküchen mit Versorgungsmagazinen und diverse Werkstätten. Sogar einen eigenen Kindergarten, eine Schule, kleine Geschäftslokale, ein Postamt, ein aus Ziegeln errichtetes Verwaltungsgebäude und für die ukrainisch-griechisch-orthodoxen Flüchtlinge eine Holzkirche, deren 17 Meter hoher Glockenturm weithin sichtbar war.
Katastrophale Versorgung
Die so entstandene Flüchtlingsstadt, zahlenmäßig gleich groß wie die Bevölkerung der Stadt Wolfsberg, stellte die Verantwortlichen vor gewaltige Probleme, da die Ernährungslage in den letzten Kriegsjahren immer katastrophaler wurde. Von den 925 an Unterernährung und verschiedenen anderen Krankheiten Verstorbenen wurden 883 (563 waren jünger als fünf Jahre) in St. Johann im eigens errichteten Galizianerfriedhof bestattet. Daran erinnert heute noch ein verwitterter Grabstein mit kyrillischer Inschrift. Im 2. Weltkrieg erweitert diente er auch als letzte Ruhestätte für Kriegsgefangene, vor allem Russen aus dem Stalag XVIII A. Seitdem wird er Russenfriedhof genannt.
Viele gingen zurück
Nachdem sich die militärische Lage in Galizien entspannt hatte, zogen viele der Insassen von Wolfsberg wieder in ihre alte Heimat zurück und das Ruthenenlager wurde ab Herbst 1917 langsam aufgelassen. Die abgebauten Baracken wurden ins Kanaltal verfrachtet und dienten im kriegszerstörten Land als Unterkunft. Auf dem Areal des ehemaligen Flüchtlingslagers errichtete die Stadtgemeinde Wolfsberg 1927 zwei Wohnhäuser, die noch bis zur Jahrtausendwende bewohnt waren. Der Ruthenenweg in Reding erinnert heute noch daran, dass einst tausende Flüchtlinge im Lavanttal Zuflucht gefunden haben. Am Friedhof in St. Johann ist zudem ein Ruthenen-Denkmal zu besichtigen.
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Im Portrait
Walter Richter ist Historiker und unterrichtete an der HAK Wolfsberg Geschichte. Sein Wissen über die Vergangenheit Wolfsbergs gibt er im Rahmen von Stadtführungen an Interessierte weiter. Anfragen beim Museum im Lavanthaus unter 04352/537333 oder museum@wolfsberg.at.
Fotos dankenswerterweise zur Verfügung gestellt vom Historiker Christian Klösch.
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