Synagoge Linz
Wie eine Achtjährige die Reichspogromnacht überlebte
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Der Nationalsozialismus kostete sechs Millionen Jüdinnen und Juden das Leben, die im Holocaust systematisch von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerung an jüdisches Leben vor dem Krieg aufrechterhalten möchte die Autorin Verena Wagner. Sie präsentierte Ende März ihr neues Kinderbuch "Marie – Ein jüdisches Mädchen aus Linz".
LINZ. In der Reichspogromnacht 1938 kam es auch in Linz zu gewaltvollen Übergriffen der Nationalsozialisten auf die jüdischen Bevölkerung: Die Nazis brannten von 9. auf 10. November die alte Synagoge in der Bethlehemstraße gänzlich nieder. Im Anbau dieser Synagoge hatte die achtjährige Marie Donner (geborene Spitz) zuvor Zuflucht gefunden. In der Rabbinerkanzlei befand sich ein Notquartier, in dem auch das jüdische Mädchen auf ihrer Flucht nach Amerika untergekommen war. Erst in letzter Sekunde gelang es, die verriegelte Tür zu öffnen und den Flammen zu entkommen. Marie fand in den Trümmern lediglich ihr Fotoalbum wieder, das wie durch ein Wunder verschont blieb. Jahre später zeigte sie es der evangelischen Theologin Verena Wagner, die im Rahmen ihrer Forschungen auf Marie aufmerksam geworden war.
Brandspuren auf dem Fotoalbum
"Auf dem Fotoalbum waren die Brandspuren noch deutlich zu erkennen. Das war für mich der Auslöser, die Geschichte schriftlich festzuhalten", erklärt Wagner. Im Jahr 2013 hat sie Marie in Kalifornien besucht, zurück in Österreich folgte für die Autorin ein intensiver Arbeitsprozess, indem sie Maries Geschichte in einer Biographie festhielt. Fünf Jahre später wurde Frau Donner dann von der Stadt Linz eingeladen. "Marie war trotz ihrer Erfahrung nicht verbittert. Sie hat sich sehr gefreut, dass ihre alte Heimatstadt an sie denkt", weiß Wagner. Im Rahmen dieses Besuchs fragte Charlotte Herman, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, die Theologin, ob sie die Biographie auch in ein Kinderbuch umwandeln möchte.
Kinder an schwieriges Thema heranführen
"Besonders in einer Zeit, in der die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen nach und nach sterben, der Antisemitismus gleichzeitig aber steigt, ist es enorm wichtig, die Erinnerung aufrechtzuerhalten", weiß Wagner. Sie unterrichtet in der Körnerschule sowie bei den Kreuzschwestern evangelische Religion und empfiehlt "Marie – Ein jüdisches Mädchen aus Linz" ab der vierten Klasse Volksschule. "Die Lehrpersonen können aber am besten einschätzen, ob sie ihre Schülerinnen und Schüler schon an das Thema 'Holocaust' heranführen können", so die Autorin. Insgesamt hat sie rund ein Monat an den Texten geschrieben. Die Illustrierung übernahm sie selbst: Daran arbeitete Wagner im zweiten Lockdown Tag und Nacht. Rund dreieinhalb Monate entwarf sie mit den Bildern von Marie Collagen und legte einzelne Ebenen übereinander. In dem Buch können die Kinder Maries Geschichte anhand von bekannten Plätzen nachvollziehen: So hat Wagner die alte Nibelungenbrücke, den jüdischen Friedhof und das Haus in der Schillerstraße 46 in ihr Werk integriert.
Erinnerung aufrechterhalten
"Der Fokus liegt auf den Geschehnissen vor 1938. Marie berichtete im Gegensatz zu vielen anderen, davor in Linz keinen Antisemitismus gespürt zu haben", erklärt Wagner. Deshalb sei sie auch vor den Kopf gestoßen worden, als sie plötzlich die Schule nicht mehr besuchen durfte. Liest man Wagners Kinderbuch, merkt man, dass die Autorin viel Erfahrung mit der Aufarbeitung von Lebensgeschichten von Jüdinnen und Juden mitbringt. Auch die Kurzbiografien für die Stelen im Gedenken an die Opfer des Holocaust auf "Linz erinnert" schreibt sie. Mit ihrem neuen Kinderbuch verfasst Wagner abermals einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung an die Shoah – Und das anhand des Schicksals der Linzerin Marie Donner, die 2020 in Amerika starb.
Ein Klassensatz Bücher je Klasse und pädagogische Einrichtung kann kostenlos bei der Israelitischen Kultusgemeinde Linz angefordert werden.
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