Zeichen der Zeit
Die Überreste des Faschismus an den Fassaden der Stadt
Evelyn Steinthaler und Thomas Kreuz haben einen Audioguide zu Orten in Wien erstellt, die vielleicht manchmal erst auf den zweiten Blick mit den Jahren 1934 bis 1945 in Verbindung gebracht werden. Auch im Neubau gibt es solche Zeichen der Zeit - diese haben wir uns mit der Autorin des Projekts genauer angeschaut.
WIEN/NEUBAU. Alles begann für Evelyn Steinthaler und Thomas Kreuz mit einer Recherche für ein anderes gemeinsames Projekt. Nämlich zu einer Karte für Schülerinnen und Schüler, die geschichtsträchtige Orte in Wien zeigt. Dabei spielte auch die Untersuchung von öffentlichen Kunstobjekten, beispielsweise an Wohnhäusern, eine Rolle.
Mosaike, Statuen und Reliefe stellen an den Gemeindebauten Wiens mit Sicherheit keine Seltenheit dar. Was die Schriftstellerin und der Industriedesigner daran allerdings auffällig finden, ist die Tatsache, dass auch "aus der Zeit 1934 bis 1945 solche Objekte angebracht sind, diese allerdings bis heute nicht kommentiert wurden" so Kreuz.
Das führte die beiden schließlich zu ihrem Projekt "Zeichen der Zeit" und uns auf eine interaktive Reise durch eine dunkle Zeit der Wiener Stadtgeschichte. Bei den Objekten fehlt oft auf den ersten Blick ein klarer ideologischer Bezug zum Austrofaschismus oder Nationalsozialismus. Zeichen der Zeit aber lädt dazu ein, hier vielleicht einmal etwas genauer hinzuschauen und mit dem Audioguide auch zu hören.
Das Projekt Zeichen der Zeit - Fassadengestaltung ist in Kooperation mit der Initiative "Kunst im öffentlichen Raum" entstanden. Es handelt sich um einen Stadtplan, auf dem insgesamt 41 Stationen in ganz Wien verzeichnet sind. Jede Station enthält auf der Karte einen QR-Code, mit dem ein Zugriff auf den dazugehörigen Audioguide möglich ist. Die Texte wurden von Evelyn Steinthaler recherchiert, hinter der Umsetzung steckt Thomas Kreuz. Der Verein Reumannplatz hat den Faltplan produziert. Die Texte sind auf Deutsch und Englisch verfügbar.
Bauwerke aus ideologisch belasteten Zeiten
Um die Bauwerke aus der damaligen Zeit einordnen zu können, ist es wichtig, einen Blick auf die Geschichte des Wohnbaus in Wien zu werfen. Hier denkt man natürlich schnell an das sogenannte Rote Wien. Bis ins Jahr 1934 entstand in Wien eine Vielzahl an Gemeindewohnungen. Aus der Wohnungsnot zu Beginn des 20. Jahrhunderts heraus wurde so leistbarer kommunaler Wohnraum geschaffen. Nachdem Engelbert Dollfuß in Österreich die Macht übernahm, begann die Zeit des Austrofaschismus. Die Demokratie wurde ausgeschaltet und auch die kommunalen Wohnbauambitionen wurden massiv verringert.
Nichtsdestotrotz wurden sowohl im sogenannten "Schwarzen Wien", als auch nach dem sogenannten "Anschluss" zur Zeit des Nationalsozialismus’ Gemeindebauten errichtet. Zur Zeit des Austrofaschismus, also zwischen den Jahren 1934 und 1938 wollte man eine Neuordnung der Stadt schaffen. Hierbei kam ein sogenannter Assanierungsfonds ins Spiel und man legte Wert auf private Teilfinanzierung im Wohnbau.
Das schwarze Wien sollte international ausgerichtet und der Autoverkehr bevorzugt werden, erzählt Steinthaler. Gleichzeitig begann man mit der Errichtung sogenannter Familienasyle, die als Unterkunft für Familien, die in "unverschuldeter Armut lebten" propagiert wurden, allerdings oftmals "schreckliche und menschenunwürdige Orte" waren, so Steinthaler. "Die Wohnungen waren einfacher und kleiner als in den frühen Gemeindebauten. Im Austrofaschismus orientierte man sich an der Definition von Fürsorge im damals bereits nationalsozialistischen Deutschland."
Zwei nackte Männer in der Neubaugasse
Ein Familienasyl gab es im Neubau nicht. Sehr wohl aber sogenannte Assanierunsbauten, wie etwa das Durchgangshaus in der Neubaugasse 17-19. Das private Wohnhaus wurde unter Beteiligung des Assanierungsfonds 1936 und 1937 errichtet. Zuvor stand hier ein Altbau. Dieser wurde in der obig erwähnten Philosophie der damaligen Stadtregierung als Verkehrsbehinderung angesehen und somit abgerissen. Der Innenhof ist öffentlich zugänglich, er bildet einen Durchgang von der Neubaugasse in die Seidengasse. Im begrünten Innenhof findet man an der Hausfassade angebracht eine für die damalige Zeit typische Statue, die im Projekt Zeichen der Zeit ihre Erwähnung findet.
Sie zeigt zwei nackte männliche Personen, unter ihnen ist der Schriftzug "Bauen vertrauen" zu lesen. Die Figuren fassen sich an den Händen, bewegen sich im Gleichschritt. Der eine leuchtet den beiden mit einer Fackel in der Hand den Weg. Laut den Recherchen von Evelyn Steinthaler, kann angenommen werden, dass die beiden Figuren die Verbindung symbolisieren zwischen dem Assanierungsfonds des damals Schwarzen Wiens und dem Bauen für die Bevölkerung.
Der Siegfried in der Mondscheingasse
Weiter geht es in die Mondscheingasse. An der Fassade des Gemeindebaus mit der Nummer 9 prangt, gut sichtbar eine große Bildhauerarbeit mit dem Motiv von "Siegfried im Kampf mit dem Drachen". An der Adresse befand sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg das erste Tröpferlbad Europas. Die Austrofaschisten wollten auch hier einen Assanierungsbau, inklusive katholischer Heiligenfigur an der Fassade errichten. Dazu kam es jedoch nicht. Nach dem sogenannten Anschluss wurde der Gemeindebau von den Nationalsozialisten in den Jahren 1939 und 1940 errichtet.
"Man bringt die geschmückten Gemeindebauten natürlich in erster Linie mit dem Roten Wien in Verbindung. Dabei wurde sogar mitten im Krieg weitergebaut. Ab 1942 wurden dabei viele Zwangsarbeiter im Wohnbau eingesetzt" erklärt Evelyn Steinthaler. An der Fassade ist nun nicht der Erzengel Michael zu sehen, er wurde vom germanischen Sagenheld Sigfried verdrängt, heißt es im Audioguide zur Mondscheingasse. "Das ging sich bei den Nazis dann nicht mehr aus, dass man da einen Heiligen hintut" erklärt Evelyn Steinthaler.
Heiligenfiguren in Gemeindebauten deuten oftmals auf die Position der Kirche im Austrofaschismus hin. In der Ettenreichgasse 42-44 im 10. Bezirk etwa finden wir eine Figur des heiligen Josef. Erbaut wurde das Haus als Familienasyl in den Jahren 1934 und 1935.
Der Bau in der Mondscheingasse wurde anders umgesetzt, als zur Zeit des Autrofaschismus geplant. Die Wohnungen fielen für einen Gemeindebau überdurchschnittlich groß und für damalige Verhältnisse sehr schön und modern aus. Sie waren für NS Parteifunktionäre vorgesehen. Im Erdgeschoss soll eine Niederlassung der Hitlerjugend untergebracht worden sein, erklärt Steinthaler zu ihrer Recherche.
Die Siegfriedfigur stammt von Ferdinand Opitz, der ab 1938 NSDAP Mitglied war und in der Zeit des Nationalsozialismus Referent für Bildhauerei in der Reichskulturkammer für bildende Künste Landesleitung Wien.
Der Umgang mit den Überresten
Ursprünglich wollten Kreuz und Steinthaler lediglich Bauten aus dem Nationalsozialismus in das Projekt inkludieren "und dann haben die von KÖR angefragt, ob man das nicht erweitern kann auf die Zeit des Austrofaschismus." Nun sind sowohl sogenannte "Assanierungsbauten" ab 1934 als auch Gemeindebauten involviert, die eine wichtige Rolle im Bürgerkrieg gespielt haben, wie der Sandleitenhof in Ottakring. Die 40 Stationen "finden sich über die ganze Stadt verteilt", erzählt Steinthaler.
Der Umgang mit Überbleibseln aus der Zeit des Faschismus stellt nach wie vor "eine herausfordernde Diskussion" dar sagt Steinthaler. An einem Haus an der Ecke Faulmanngasse/Operngasse etwa prangt nach wie vor ein übergroßes Zitat Adolf Hitlers. Der Name Hitlers wurde 1945 entfernt, das Zitat blieb, bis heute unkommentiert bestehen. Die Autorin tritt gemeinsam mit Thomas Kreuz mit diesem Projekt für mehr Bewusstsein zur Wiener Stadtgeschichte ein. Diese habe nicht "einfach im März 1934 aufgehört und dann in den 50er Jahren wieder angefangen - da lag ja vielleicht noch etwas dazwischen" merkt sie ironisch an. Durch das Projekt erfahren Interessierte, auch ohne Infotafel der Stadt Wien, näheres zu den geschichtsträchtigen Orten.
Für das Projekt war Evelyn Steinthaler mit "großen Mengen" an Material zu den Bauprojekten Wiens konfrontiert. Im Jänner 2022 wurde das Projekt schließlich eingereicht, im Frühling und Sommer schrieb Steinthaler an den Texten. Dann wurden sie für den Audioguide eingesprochen.
Zur Sache:
Der Faltplan inklusive Links zum Audioguide wird in den nächsten zwei Jahren in Amtshäusern, öffentlichen Bibliotheken, Hotels und diversen Museen verteilt und dort gratis zur Entnahme aufliegen. Eine Projektpräsentation bei Musik, Wein und Brot findet am Donnerstag dem 13.April um 19 Uhr im Bezirksmuseum Neubau statt. Dabei wird es eine Gesprächsrunde mit Cornelia Offergeld (KÖR), Evelyn Steinthaler, Isabelle Uhl (Bezirksvertretung Neubau) und Thomas Kreuz geben.
Kommentar dazu:
Das könnte dich auch interessieren:
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.