Fortsetzungsroman
Geh hin, wo der Pfeffer wächst – Teil 12

Geh hin, wo der Pfeffer wächst entstammt der Feder von Erika Hager und ist im Verlag Bibliothek Provinz erschienen. | Foto: Verlag Bibliothek Provinz
  • Geh hin, wo der Pfeffer wächst entstammt der Feder von Erika Hager und ist im Verlag Bibliothek Provinz erschienen.
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BEZIRK NEUNKIRCHEN. Fortsetzungsroman: Mit der Buchverkauf wird das Projekt "AIDS-Waisenkinder in Theni", Indien, unterstützt.

Morgens und abends esse ich gemeinsam mit den Krankenschwestern im Speiseraum neben der Küche, und sie lachen über meine Art, wie ich versuche, nur mit der rechten Hand Chapatis in mundgerechte Stücke zu zerkleinern und auch von dem herrlich gewürzten Gemüse etwas zu verspeisen. Die linke Hand wird als unrein betrachtet und wird deshalb nicht zum Essen, sondern nur zum Arbeiten verwendet. Am ersten Tag wurde mir Weißbrot gebracht und Besteck, aber die indische Küche schmeckt so gut, besonders wenn sie von der Hand in den Mund gereicht wird. In Südindien ist vor allem die vegetarische Küche daheim, doch an Festtagen wird auch Huhn oder Fisch serviert.
Mit wie viel Eifer und Begeisterung das Lernen aufgenommen wird, zeigen mir die neu dazu gekommenen Schülerinnen: Vier junge Krankenschwestern wollen am Abend eine Stunde, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern, und fünf Novizinnen ziehen ins Hospiz ein, um am späten Nachmittag buchstäblich etwas über Gott und die Welt zu erfahren. Ihre Bereitschaft und Neugierde über Geographie, Geschichte und Literatur etwas zu entdecken, ist schier grenzenlos. Bei Sonnenuntergang auf der Dachterrasse sitzend, erzählen sie mir im Gegenzug aus ihrem Leben, von ihren hoffnungsvollen Vorstellungen, von indischen Mythen.
Jeder Tag birgt Neues. Schon nach ein paar Tagen ruft mich die Direktorin zu sich:
»Die langen Röcke, die du trägst, sehen aus wie ein Dothi oder Lungi, die bei uns nur von Männern getragen werden.«
Dothis sind die langen weißen Tücher und Lungis die gemusterten, bunten Wickelröcke der Männer. Alle Frauen tragen Saris, sogar am Bau, bei Straßenarbeiten oder auf dem Feld. Ich finde sie wunderschön und trage auch gern einen für eine kurze Zeit, aber tagsüber habe ich das Gefühl, dass ich diese seidene Umhüllung verlieren könnte. Also kleide ich mich nun in Chudithars, weite indische Hosen und knielange Hemdkleider, welche vor allem junge Frauen und Mädchen tragen.
An einem Morgen bringen Mädchen der 11. Schulstufe eine frische rote Rose in unsere Stunde, denn es ist der »Tag der Kinder«, Nehrus Geburtstag, der Kinder liebte − und Rot ist meine Lieblingsfarbe. Rosen sind in Indien eine Rarität, denn die Blume verträgt nicht die südliche Hitze, umso schöner und wertvoller ist dieses Geschenk.
Auch ein kleines Mädchen aus den ersten Klassen hat an diesem Tag Geburtstag, erkennbar daran, dass sie nicht die Schuluniform, sondern ihr eigenes Kleid trägt. Im Hof kommt sie auf mich zu und hält mir einen Becher mit kräftig gefärbten Zuckerln hin, von denen ich mir eines nehme. Sie bleibt bei mir stehen und senkt ihren Kopf, dass die glänzend schwarzen Zöpfe nach vorne fallen. Eine vorbeigehende Lehrerin deutet mir an, meine Hände aufzulegen und sie zu segnen.
Der große Innenhof dient als erweiterter Klassenraum, denn nur dort können gleichzeitig über 2.100 Schülerinnen versammelt sein. Offizielle Veranstaltungen, an denen alle teilnehmen, finden hier statt. Mittags sitzen die Mädchen in den weiß-grünen Uniformen auf dem Sand und genießen ihre vegetarische Mahlzeit, die sie in Behältern mitgebracht haben. Es gibt Gemüse, Reis und manchmal ein gekochtes Ei. Obwohl sie so oft auf dem Boden sitzen, ist ihre Bekleidung immer sauber. Hier ist auch der Ort, an dem für Prüfungen gelernt wird und am Boden hockend, Texte auswendig gelernt (learning by heart) werden. Sogar am schulfreien Samstag finden sich die meisten Schülerinnen hier ein, um an einem sicheren, ruhigen Ort lernen zu können.
Selbst wenn indische Kinder sehr lernwillig und motiviert sind, bei so vielen Mädchen in einem kleinen Raum kann die Lautstärke schnell die Obergrenze erreichen. Dazu trägt auch die Bauweise bei, denn die Trennwände der Klassenräume sind oben offen, damit bei sommerlichen Temperaturen von 45 – 50 Grad Celsius auf natürliche Weise durch Zugluft gekühlt wird. An solchen Tagen gehen wir in den Schulhof, doch sind wir dort nicht die Einzigen, die dem Lärm entfliehen wollen. Für unsere Stunden gibt es keine Lehrmittel, weder Buch noch CD. Computer gibt es in der Schule keinen, nur unsere Stimmen und ein Stück Kreide stehen uns zur Verfügung. Das Spiel kurzer Szenen ermöglicht mehreren Mädchen gleichzeitig, sich an einem Stück zu beteiligen. Das sind Szenen aus ihrem Alltag, wie zum Markt gehen, mit Geschwistern reden, im Haushalt helfen.
Es ist eine Freude, mit diesen Mädchen zu arbeiten, sie sind so schnell zu begeistern. Ihr intensiver körperlicher Ausdruck (»I feel, I feel«) ersetzt mein oftmaliges Nicht-Verstehen der gesprochenen englischen Sprache mit ihrem starken Akzent. Sie gestikulieren und lehren mich einige Ausdrücke aus dem Tamil.
»Kali Vanakam« – »Guten Morgen«
»Nalla irkinla?« – »Wie geht es Dir?«
»Ungalai pardedil mahilchi« – »Ich bin glücklich dich zu sehen«.
Das ist schon der Einstieg in ein Gespräch, in dem man dann hoffentlich in der englischen Sprache weiter miteinander reden kann. Aber manchmal geht das Verstehen auch ohne Worte. Da sie gerne tanzen, wollen sie mir einen klassischen indischen Tanz vorführen. Es ist nur Platz für ein Mädchen, das sich in graziöser Weise auf engstem Raum bewegt. Dann ersuchen sie mich, zu tanzen und ich drehe mich im Kreis – im Walzerschritt. Zwei Tage später überrascht mich die Direktorin mit der Bitte, zwölf Mädchen der 11. Klassen den Walzer zu lehren. Es folgt keine Erklärung, warum wir Walzer tanzen sollen, doch wie so manches Unerklärliche wird es mir später klar, an dem Tag, an dem die Schule feiert. Von nun an beginnen die Tage an der Schule mit einer Tanzstunde.

Zur Sache
Geh hin, wo der Pfeffer wächst
Reisenotizen aus Nepal und Indien | A travelogue from Nepal and India
Erika Hager
ISBN: 978-3-99028-491-9
19 x 12 cm, 174 S
€ 18

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