Industrieviertel
Geh hin, wo der Pfeffer wächst – Teil IV

Geh hin, wo der Pfeffer wächst schrieb Erika Hager. | Foto: Hager
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INDUSTRIEVIERTEL. Fortsetzungsroman: Mit der Buchverkauf wird das Projekt "AIDS-Waisenkinder in Theni", Indien, unterstützt.

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Die Ärmlichkeit des Dorfes wird aufgewogen durch die Freundlichkeit der Bewohner und den herrlichen Blick auf den Annapurna. Nagdaanda liegt auf einem schmalen Bergrücken, der Name bedeutet so viel wie »wie ein schmales Nasenbein«. Eine sehr passende Bezeichnung, denn fast unmittelbar neben dem Weg und den Hütten beginnt der Steilhang. Auf der einen Seite blickt man hinunter zum Phewa See, auf der anderen Seite hat man bei klarer Sicht die Annapurna Gipfel und Machhapuchhre im Blickfeld. An regnerischen Tagen kann sich der Weg zur Wasserstelle in einen Schlammpfad verwandeln, dann ist das Wasser untrinkbar, auch nach dem Abkochen.
Nach einer Woche erscheint die Polizei, um sich nach dem Grund meines Aufenthalts in der Schule zu erkundigen. Die Lehrerkollegen versuchen sie zu überzeugen, dass ich nichts anderes tue, als Englisch zu unterrichten. Um die Loyalität zum Königshaus zu unterstreichen, nehmen wir einen Tagesmarsch nach Pokhara auf uns, um an einer Kundgebung für den König teilzunehmen.
An den Abenden im Dorf begleite ich Durgar und einen anderen Lehrer in die kleine Wirtsstube, wo durchziehende Wanderer ein warmes Essen bekommen können. Die beiden arbeiten dort, um sich zu ihrem äußerst geringen Lohn ein Zubrot zu verdienen und ein »chang«, das nepalesische Gerstenbier, zu bekommen.
Als die Polizei wieder auftaucht, in Uniform, schwarzen Stiefeln und mit Knüppeln, wird mir die Botschaft klar. Ich hatte gehofft, vier Monate an der Schule zu sein, doch zu diesem Zeitpunkt habe ich hier nichts verloren. Die Vermutung ist wohl, dass die Revolution von Ausländern angezettelt wurde, und öffentliche 
Institutionen stehen in besonderem Verdacht. Ehe ich die Kollegen und mich in Gefahr bringe, muss ich fort von Nagdaanda und aus Nepal.
Vor meiner Abreise frage ich die Lehrer, was sie sich am dringendsten für die Schule wünschen. Ihre Antwort ist bescheiden: Genug Geld, um zwei Toiletten aus Stein zu bauen an Stelle der Bambusmatten, die jetzt am Abhang stehen. Der Ausblick auf die Berge ist zwar einzigartig, aber der Hang ist oft rutschig und führt tief hinunter ins Tal. Dieses Versprechen gebe ich gern und halte es auch. Nach dem Abschied von den Kindern und Lehrern steige ich hinunter nach Pokhara und fahre mit Bussen über Kathmandu weiter nach Indien. Enttäuscht und traurig verlasse ich das Land der mächtigsten Berge der Welt und seine friedvolle Bevölkerung.

Indien − der Norden – Frühling 1990

Sich Indien über Darjeeling zu nähern, ist wie das Betreten eines übermächtig großen, fremdländischen Palastes durch ein englisches Vorzimmer. Eine Schmalspurbahn führt mich hinauf auf über 2.000 Meter Seehöhe, inmitten von Teeplantagen, sehr angenehmen Temperaturen, zwischen den europäisch aussehenden Chalets wirkt sogar der kleine Hindu-Tempel fremd. Weit entfernt von den indischen Großstädten genieße ich hier Gelassenheit und Ruhe. Am Nachmittag wird in den Hotels – Jahrzehnte nach der Kolonialzeit – sogar noch »five o’clock tea« serviert.
Nach dem abrupten Verlassen von Nepal bin ich vorerst einmal fasziniert von der »Zauberberg«-Atmosphäre dieser »hillstation«. Die Engländer haben das moderate, heilsame Klima auf 2.200 Meter sehr geschätzt, und Darjeeling als Erholungsort ausgewählt. Noch immer bin ich im Bann der Himalayas. Vom höchsten Punkt in der Umgebung, vom Tiger Hill aus, gibt es die herrlichsten Sonnenaufgänge über den dritthöchsten Berg – Kanchenjunga − zu erleben. Jetzt beneide ich keinen Bergsteiger, der über Eisspalten gehen muss, denn dieser Anblick hier ist »embrujadar«, Verzauberung – ein treffendes Bild einer hingerissenen mexikanischen Touristin. Darjeeling ist ein Ort zum Verweilen, zum Wandern, zum Stöbern in Romanen von Anita oder Kiran Desai (The Inheritance of Loss), zum Entscheidungen treffen. Es war von mir weder Absicht noch Wunsch, in diesem Land unterwegs zu sein, doch – obwohl ich kein ängstlicher Mensch bin – hatte ich die Vorstellung, dass es für eine allein reisende Frau hürdenreich sein könnte. Ich erinnere mich an die 70er-Jahre, in denen viele Hippies nach Indien zogen, um ungehindert Drogen zu konsumieren und »frei« zu sein. Auch aus meinem Dorf ging damals ein junger Mann nach Indien und kam monatelang nicht zurück, sodass seine Eltern sich in ihrer Not an eine Österreicherin wandten, die seit vielen Jahren in Bombay verheiratet war. Die Frau wusste, wo sie suchen musste, um ihn zu finden: in den Müllhalden der Großstadt. So kam er zurück, nur wenige Monate später starb er.
Was sollte ich nun tun?
Leider war Nepal zu dem Zeitpunkt für Ausländer gesperrt und die Rückkehr nach Europa konnte noch warten.
Also entschloss ich mich, zuerst einmal von Darjeeling nach Sikkim zu fahren, ein kleines Fürstentum in unmittelbarer Nähe der nepalesischen Grenze und Tibets. Was sich mir eingeprägt hat, sind nicht die Bürokratie, die für Sikkim zum Indien-Visum noch eine zusätzliche Bewilligung verlangt, auch nicht die Landschaft der rollenden, hügeligen Teeplantagen, sondern die Mitreisenden: Indische Touristen aus wohl­habenden, gebildeten Schichten und aus den verschiedensten Teilen des Landes. Auf Grund der Vielfalt der Sprachen unterhielten sie sich auf Englisch, um einander zu verstehen. Ein junges Paar aus Mumbai erzählt mir ganz stolz, dass sie keine arrangierte Ehe führen, sondern aus Liebe geheiratet haben. Die Frau kommt aus Kerala, ein Staat im Süden Indiens, dessen politische, kulturelle und klimatische Verhältnisse mich bei späteren Aufenthalten noch überraschen werden.
Im Gegensatz zu dem dominanten patriarchalischen System im Norden herrscht dort das Matriarchat, das heißt, dass eine Tochter den Besitz der Mutter erbt. Und sollte es nur einen Sohn geben, der aber zwei Töchter hat, wird der Besitz gedrittelt. Also eine Facette mehr in der Fülle der Möglichkeiten und ein neuer Mosaikstein im bunten Bilde Indiens.
Meine Neugierde steigt und ich beschließe, im Land zu bleiben und weiter ins Landesinnere des Subkontinents zu reisen, entlang der klassischen Touristenroute über Varanasi, Fatehpur Sikri, Delhi, Agra, Jaipur und vielleicht noch Pushkar. Über die staunenswerten Sehenswürdigkeiten kann man in jedem guten Reiseführer nachlesen. Die Berichte sind vergleichbar zu Schwarz-Weiß-Fotos. Erst durch den Filter der eigenen Wahrnehmung und Gefühle wird das Bild Indiens ­koloriert und lebendig.
Die Zugfahrt von Darjeeling beginnt im »toy train«, einer Schmalspur-Bergbahn, die in einer siebenstündigen Reise ins Tal führt. Nach Varanasi dauert es noch etwa 36 Stunden, Zeit genug, um in Gespräche ver­wickelt zu werden. Es ist für die meisten Inder völlig unbegreiflich, wie eine Frau allein unterwegs sein kann. Deshalb kommen zuerst zwei unausweichliche Fragen: »Wo ist dein Mann? Und wie viele Kinder hast du?« Um das Unverständnis nicht noch zu vergrößern, erzähle ich von »meinem« Mann, der zuhause ist, um seiner Arbeit nachzugehen. Und ich ernenne zwei meiner Großnichten und -neffen, Sophie und Benedikt, zu meinen Kindern.
»Das ist die Demoralisierung Europas!«, erregt sich einer der Männer, der mit seiner Frau mir gegenüber sitzt. Die indischen Frauen im Abteil schweigen, und ich schließe mich an, denn das ist wohl am klügsten. Ein zweiter Inder entgegnet dem Streitsüchtigen und zeigt sich über meine Reisefreiheit begeistert. Es ist der Beginn eines Wortgefechtes zwischen den beiden Männern, das in Handgreiflichkeit übergehen könnte. Um dem zu entkommen, klettere ich ins Gepäcksnetz und versuche neben meinem Rucksack einzuschlafen. Der Zug rollt durch Bihar, einer der ärmsten Bundesstaaten Indiens. Als ich wieder aufwache, ist es ruhig im Abteil. Wir nähern uns der Stadt Patna, wo der Passagier, der mich verteidigte, aussteigt. Er will mich zu seiner Familie mitnehmen, eine Einladung, die ich freundlichst ablehne.
An jedem Bahnhof drängen sich kleine Buben an die vergitterten Fenster des Zuges oder stürmen in die Waggons, um Tee, Samosas oder Früchte zu verkaufen. Der Tee, süß und milchig, wird in winzigen Tonschalen gereicht, die, wenn geleert – zum Recycling – aus dem fahrenden Zug geworfen werden, zerbrechen und wieder zu Tonerde werden. Wie sinnvoll diese nachhaltige Form der Entsorgung war, wird mir erst wirklich bewusst, wenn ich heute anstatt der Tonschalen Plastikbecher sehe, die vom Wind durch die Landschaft getragen werden.
Mit der Ankunft in Varanasi, dem früheren Benares, tauche ich ein in das wirkliche Indien. Es ist die heiligste und chaotischste aller Pilgerstätten, das Ziel der frommen Hindus. Lärmendes Durcheinander begrüßt die Ankommenden am Bahnhof, wo sich zahllose Rikschafahrer um die Fahrgäste buchstäblich raufen. Nun setzt sich ein undurchschaubares Netzwerk in Bewegung, in welchem der ahnungslose Tourist als potentielle Geldquelle weiter gereicht wird. Zuerst ist man froh, in einem Transportmittel Zuflucht gefunden zu haben, und am Weg zu einem Budgethotel zu sein, das im »Lonely Planet «-Reisebegleiter empfohlen wird. Stattdessen landet man in einem ganz anderen Stadtteil in einer anderen Unterkunft. Vergeblich versucht man, seinen Wunsch erfüllt zu bekommen, denn es wird nicht sehr glaubhaft versichert, dass das gewünschte Hotel geschlossen wäre oder gar nicht existierte.
Der kommende Tag beginnt noch in der Dunkelheit, um beim Morgengrauen schon an den Ghats zu sein, den Stufen, die zum Gangesufer hinunterführen. Dort brauche ich nicht zu suchen, denn ein Boot mit Fährmann, der mich auf den Ganges hinaus rudert, wartet bereits auf mich. Breit und gemächlich fließt der Strom. Allmählich füllen sich die Ghats. Frauen und Männer stehen dicht aneinander gedrängt, die Männer halb ­ entkleidet, ins Wasser eintauchend, sich waschend und trinkend. Es bleibt mir nur das Staunen, wie dieser heilige Fluss, der alles Menschliche, von der Asche zum Abwasser, mitführt, nicht zur Kloake verkommt, ­ sondern für die Inder zur seelischen und körperlichen Reinigung dient.

Zur Sache
Geh hin, wo der Pfeffer wächst
Reisenotizen aus Nepal und Indien | A travelogue from Nepal and India
Erika Hager
ISBN: 978-3-99028-491-9
19 x 12 cm, 174 S
€ 18

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