Schicksalstage in Andau
Die Brücke in die Freiheit
ANDAU (ft). 38 Jahre nach ihrer Gründung sollte die Republik Österreich einen ihrer vielen Schicksalstage erleben: Im Zuge des Ausbruchs des Ungarnaufstandes am 23. Oktober 1956 flüchteten über 200.000 Ungarn über die burgenländische Grenze – rund 70.000 davon schafften das über eine davor relativ unbedeutende kleine Holzbrücke am Einser-Kanal.
Die alte Hilfsbrücke
„Die Brücke von Andau“, wie sie schließlich in die Geschichte eingehen sollte, diente bis 1956 Landwirten im Seewinkel als eine Art Hilfsbrücke zu Erreichung ihrer Felder, die oftmals auf beiden Seiten der Grenze bestellt wurden. Doch das Schicksal hatte andere Pläne für die Holzkonstruktion: Nachdem am 5. November 1956 sowjetische Truppen den Ungarnaufstand niedergeschlagen hatten, wurde die Brücke für tausende Menschen zum letzten verbleibenden Weg in die Freiheit. Oder wie es der 1997 verstorbene, US-amerikanische Schriftsteller James A. Michener in seinem Buch „Die Brücke von Andau“ formuliert: „Es war vielleicht die unbedeutendste Brücke Europas. Allein die Laune des Schicksals wollte es, dass sie einige Wochen hindurch zu einer der wichtigsten Brücken der Welt wurde.“
Das Drohnen der Panzer
Die Geschehnisse jenes Sonntages werden in der Andauer Ortschronik beschrieben: „ Am Sonntag, dem 5. November hörte man wieder das Dröhnen der Panzermotoren und das Rasseln der Ketten der Panzerfahrzeuge, die sich der Staatsgrenze näherten. Die Bevölkerung hielt den Atem an und fragte sich, was geschehen würde. Unsere Feuerwehrmänner zogen zur Grenze und markierten diese mit rot-weiß-roten Fahnen (…). In den nächsten Tagen kamen die ersten Flüchtlinge. Von Tag zu Tag schwoll der Flüchtlingsstrom an. Zu Tausenden kamen sie aus ganz Ungarn über den Einser-Kanal nach Andau, in die Freiheit des Westens.“
Brücke gesprengt
Doch die Brücke sollte den Flüchtenden nicht lange als Weg in die Freiheit dienen können: Am Nachmittag des 21. November 1956 wurde sie von ungarischen Soldaten gesprengt. Der Weg in die Freiheit war somit abgeschnitten.
Jene Ungarn, die es nach Andau geschafft hatten, wurden von der Gemeinde mit offenen Armen empfangen, wie in der Ortschronik von Andau zu lesen ist: „Die Schulen, der Kindergarten, das Kino und alle öffentlichen Räume wurden für die Unterbringung der Flüchtlinge bereitgestellt. Die Gemeinde Andau und die Bevölkerung haben in diesen Tagen und Wochen große humanitäre Leistungen erbracht, die heute nicht mehr vorstellbar wären.“ Davon konnte sich auch der einstige US-Präsident Richard Nixon überzeugen, der kurz vor Weihnachten 1956 als damaliger Flüchtlingsbeauftragter nach Andau gekommen war, um sich vor Ort ein Bild machen zu können.
Symbol für Toleranz
Heute steht die Brücke von Andau wieder: Zum Gedächtnis wurde die "Neue Brücke von Andau" in Zusammenarbeit ungarischer und österreichischer Soldaten errichtet und am 14. September 1996 feierlich eröffnet. 2006 erfolgte dann eine weitere Neuerrichtung. Heute ist die Brücke von Andau nicht nur ein Denkmal jener Schicksalstage – sie ist auch ein Symbol für eine grenzenlose Hilfsbereitschaft und Toleranz, die im heutigen Europa leider ihresgleichen sucht.
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