Interview
Landesrat Martin Eichtinger - Die möglichen Auswirkungen des Brexit (+Video)
NIEDERÖSTERREICH. Im Interview mit Landesrat Martin Eichtinger geht es um den Brexit, die möglichen Folgen für Europa und das Vereinigte Königreich.
OSWALD HICKER: Zusatzfrage zum Brexit: Kann es sein, dass das alles nur eine innenpolitische Intrige in London ist und das man eigentlich nur Theresa May versucht hier los zu werden und damit riskiert, ganz Europa in eine Krise zu stürzen?
MARTIN EICHTINGER: Großbritannien hatte in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer ein sehr spezielles Verhältnis zur Europäischen Union (EU), durchwegs auch ein sehr skeptisches. Großbritannien hat ja unter anderem nicht beim Euro mitgemacht, auch nicht beim Schengen-Raum, hat sich auch budgetär einen eigenen Britenrabatt heraus verhandelt. Also Großbritannien hat immer Probleme gehabt, seine klare Rolle mit der EU zu finden und das lag sicher auch an der Wurzel dieses Brexit-Volksbegehren und dem Brexit-Ergebnis beim Referendum. Ich glaube einfach, dass das Land mittlerweile unglaublich polarisiert ist, dass es eine Vielzahl von Meinungen gibt, wie das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU aussehen sollte.
Theresa May hat sich sehr bemüht in der eigenen Partei als Brückenbauerin tätig zu sein und eine gemeinsame Lösung zu finden. Das Abkommen, das sie mit der EU verhandelt hat, ist aus meiner Sicht tragfähig und wäre eine gute Lösung. Es findet aber nicht die Zustimmung von vielen, die einerseits radikaler aus der EU austreten wollen, andererseits viel näher bei der EU verbleiben wollen. In dieser großen Bandbreite liegt das Abkommen in etwa in der Mitte, findet aber vielleicht derzeit nicht genügend Unterstützung im Parlament. Wir müssen darauf hoffen, dass es durch die Gespräche, die die Premierministerin jetzt mit dem Oppositionsführer, mit dem Chef der Labour Partei, Jeremy Corbyn, hat, noch dazu kommt, dass es auch von der Oppositionsseite Unterstützung für dieses Abkommen geben kann.
Hier das gesamte Interview als Video:
Jetzt gibt es ja auch innerhalb Großbritanniens Zentrifugalkräfte. Könnte ein Austritt diese wieder etwas befeuern. (Stichwort: Nordirlandkonflikt; Stichwort: die Schotten liebäugeln damit, sich selbstständig zu machen.) Könnte das wieder neu aufflammen, wenn Großbritannien aus der EU tatsächlich austreten würde?
Nicht auszuschließen. Viel wird davon abhängen, wie der Austritt tatsächlich erfolgt. Wenn man davon ausgeht, dass Großbritannien ohne ein Abkommen auf radikale Weise die EU verlässt, dann würde das sicher zum Beispiel die Situation in Schottland wieder in eine ganz neue Richtung drehen. Denn die Schotten haben schon einmal ein Referendum über eine Selbstständigkeit – eine Unabhängigkeit – gehabt. Dieses ist mit 45 zu 55 für einen Weiterverbleib im Vereinigten Königreich ausgegangen. Es würde sicher die Frage eines zweiten Unabhängigkeitsreferendums sehr schnell wieder am Tisch liegen, wenn es zu einem Austritt aus der EU in ungeregelter Form käme. Ob es dann zu weiteren Diskussionen in den anderen Regionen Großbritanniens käme, das ist nicht unwahrscheinlich.
Das jetzige Abkommen würde sicherstellen, dass die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland offen bleibt und dass man damit das Beste tut, das Karfreitagsabkommen einzuhalten, das damals den Konflikt in Nordirland, mit vielen Todesopfern, beendet hat.
Jetzt sagen Sie Pragmatismus wird sich durchsetzen. Ich sage, es wird sich keine Lösung finden und es könnte zu einem Hard-Brexit kommen. Briten sind auch das Volk der Wetten, trauen Sie sich zu wetten?
Nein, ich glaub' zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist einfach alles offen. Man kann wirklich nichts ausschließen. Wie gesagt, die Hoffnung muss sein, dass es mit Hilfe der Opposition zu einer Verhandlungslösung, also zu einem geordnetem Austritt kommt. Jedoch ist aus meiner Sicht alles offen. Es ist in letzter Konsequenz nicht auszuschließen, dass es ein zweites Referendum über eine mögliche Austrittsvariante oder Neuwahlen gibt.
Die konstitutionelle Krise in Großbritannien ist eine sehr schwerwiegende und wird das Land sicher viele viele Jahre prägen.
Interview geführt von Oswald Hicker
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