Berührende Befreiungsfeier mit Misstönen danach
Mit Vielfalt gegen den Hass

- Schwarz und weiß, jung und alt, Christen, Juden und Muslime aus der ganzen Welt - die Vielfalt der Welt als starkes verbindendes Motto gegen Hass, Intoleranz und Menschenverachtung wurde beim Rundmarsch von rund 2.000 Besuchern eindrucksvoll demonstriert.
- Foto: Eckhart Herbe
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Die Vernichtung der Vielfalt bildete das zentrale Thema der vom Mauthausenkomitee Österreich (MKÖ) mustergültig und sehr würdig organisierten Gedenkfeier am Sonntag, dem 16. Mai. Zwischen 1.500 bis 2.000 Besucher waren vor Ort dabei, Millionen bei der internationalen Übertragung in ORF III und per Livestream in den sozialen Medien. Polizei und Rotes Kreuz lobten gute Vorbereitung und hohe Disziplin bei der heuer europaweit größten internationalen Befreiungsfeier, die ohne größere Zwischenfälle verlief. Für heftige Empörung beim MKÖ sorgte ein Statement des Wiener ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg am Montag im ORF-Radio, in dem dieser die Gedenkfeier als "von einem Maiaufmarsch nicht mehr auseinander zu halten" bezeichnete.
MAUTHAUSEN. Anstatt der üblichen offiziellen Gedenkfeier am Appellplatz begaben sich coronabedingt reduzierte Abordnungen aus der ganzen Welt, Vertreter verschiedenster Religionen, Ethnien Organisationen und - mit Ausnahme der FPÖ - Repräsentanten der politischen Parteien Österreichs auf einen Gedenkmarsch durch das Lagergelände. Auffällig war die bewusst demonstrierte Harmonie und vor allem die Zahl junger Menschen, die ihrerseits selbst tief beeindruckt von Ambiente und inhaltlicher Aufbereitung des diesjährigen Leitmotivs "Vernichtete Vielfalt" waren. "Ihr tragt den Lagerschwur, das 'niemals wieder' weiter. Ihr seid Hoffnung und positives Beispiel, aber auch Gewissen. 130 Jugendliche waren für unsere Feier geplant, gekommen sind 900! Aus unzähligen Staaten, Christen, Muslime, Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten ebenso wie der Mittelschüler-Kartellverband und eine Vielzahl sozialer und gesellschaftlicher Initiativen. Eure Vielfalt und Gemeinsamkeit an diesem Ort machen Mut", freute man sich bei den Organisatoren vom MKÖ.
Leitthema "Vernichtete Vielfalt"
In mehreren voraufgezeichneten Beiträgen reflektierten Opfer und Zeitzeugen während des unter peniblen Masken- und Abstandsvorschriften durchgeführten Zugs durch das Lager, was Gleichschaltung, die Stigmatisierung des "Andersseins", die aufgedrückte Weltsicht einer selbsternannten "Herrenrasse" mit Tätern und Opfern macht. Egal ob die öffentliche Demütigung vor lauter Angst bettnässender Kinder in NS-Umerziehungslagern, als "Perversion und Abartigkeit" verfolgte Homosexualität, Sinti und Roma als "minderwertige Volksschädlinge" oder die "falsche Religion", welche ein atheistisches Terrorregime als Anlass für Mord und Misshandlungen nahm. Mehrfach wurde in Statements auch der Konnex zu den aktuellen gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Krise hergestellt. Das solidarische Miteinander der Anfangsmonate würde zunehmend Hass, Ausgrenzung, Neid und einer durch politische Brandstifter missbrauchten Grundrechtediskussion, die in Wahrheit Faschismus und Nationalismus beschwören würde, weichen.
Ein trauriges und beschämendes lokales Beispiel bildete zwei Tage vor der Befreiungsfeier das Abspielen einer Hitlerrede samt in den Staub getretener Israel-Flagge bei einer dann sofort polizeilich aufgelösten Anti Corona Kundgebung von rund 30 Aktivisten in Mauthausen. Sie konterkarierten Bundespräsident Alexander van der Bellen und Landeshauptmann Thomas Stelzer, die für das offizielle Österreich zeitgleich einen Kranz im KZ niederlegten.
Empörung über Vergleich mit Maiaufmarsch
Was den sonntäglichen Besuchern vor Ort, aber ebenso auch in der virtuellen Übertragung auffiel, war die praktisch vollständige Abwesenheit hochrangiger ÖVP-Repräsentanten der Bundesebene. Erwiesen etwa gleich drei grüne Minister - Vizekanzler Werner Kogler, Umweltministerin Leonore Gewessler und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein, der rote LH Stv. Franz Schnabl aus Niederösterreich oder NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper der Befreiungsfeier ihren Respekt, so fehlten türkise Vertreter dieser Ebenen neben der vom Mauthausenkomitee weiterhin offiziell ausgeladenen FPÖ völlig.
Mit ungewohnter Heftigkeit postete das MKÖ am Montagmittag: "Schämt euch!" Eine Reaktion auf Aussagen des Wiener ÖVP-Abgeordneten Martin Engelberg im Ö1-Mittagsjournal, der sich an aus seiner Sicht zu vielen roten Flaggen verschiedener linker Jugendorganisationen gestoßen hatte, der Befreiungsfeier ihre Überparteilichkeit absprach und in ihr eine "angemeldete Demo" sah. Die ÖVP-Regierungsmitglieder hätten daher in individuellen Zeremonien gedacht.
In einem Video und mit dem Faksimile der Veranstaltungsanmeldung wies MKÖ-Vorsitzender Willy Mernyi jede parteipolitische Vereinnahmung heftig zurück und sprach von einer Beleidigung aller nationalen und internationalen Teilnehmer, zu denen neben Katholischer, Evangelischer oder Muslimischer Jugend auch der ÖVP-geprägte Mittelschüler-Kartellverband gehört hätten.
Posting des MKÖ:
www.mkoe.at/oevp-verbreitet-unwahrheiten-ueber-die-befreiungsfeier-in-mauthausen
ORF-Beitrag in Ö1:
https://oe1.orf.at/player/20210517/638538/1621246139000
Russischer Orden für Zeitzeugin Anna Hackl
Bereits am Tag vor der Internationalen Befreiungsfeier überreichten der russische Botschafter in Österreich Dmitri Ljubinski und MKÖ-Vorsitzender Willi Mernyi Zeitzeugin Anna Hackl stellvertretend für ihre Mutter Maria Langthaler den Tapferkeitsorden der Russischen Föderation. Die Familie Langthaler versteckte im Zuge der "Mühlviertler Menschenhatz", trotz Todesgefahr zwei sowjetische Kriegsgefangene, die aus Mauthausen geflüchtet waren, und rettete ihnen damit das Leben. Sie überlebten durch diese Zivilcourage als nur ganz wenige der über 500 Geflohenen. Anna Hackl ist trotz ihrer mittlerweile 90 Jahre unermüdliche humanitäre Botschafterin, die ganzen Schülergenerationen die NS-Zeit aus Sicht einer damals 14-Jährigen authentisch nahegebracht hat.
Film und Nachlese zu den Befreiungsfeiern
Eine ausführliche Nachlese der gesamten Befreiungsfeierlichkeiten inklusive eines 94minütigen Videos und zahlreicher Rahmenbeiträge ist auf der Homepage des Mauthausen Komitees Österreich zu finden:
https://www.mkoe.at/
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