Blinder Spaziergang: Purkersdorf mit anderen Augen
Der Barrierefreiheit erneut auf der Spur: Elisabeth Martin zeigt den Bezirksblättern die Stadt aus ihren Augen.
PURKERSDORF. "Bei mir geht sehr vieles über die Akustik", erklärt Elisabeth Martin kurz nach der Begrüßung. Seit rund zwei Jahren ist die Purkersdorferin blind. Als die Bezirksblätter das Purkersdorfer Zentrum auf Barrierefreiheit testeten, wurde Elisabeth Martin aufmerksam und hält fest: "Barrierefrei heißt mehr als 'rollstuhlgerecht'." Und ein gemeinsamer Spaziergang zeigt: So richtig barrierefrei ist Purkersdorf nicht.
Blind in nur drei Monaten
Unser Spaziergang beginnt mit dem Weg zur nächsten Busstation. Bis zur ersten Kreuzung ist das kein Problem. Den Weg kennt Elisabeth Martin auswendig: "Man muss sich gewisse Dinge merken, und das tut man dann auch." Innerhalb von nur drei Monaten ist sie krankheitsbedingt erblindet. Kampflos aufgeben war für sie keine Option, sie absolvierte ein Verkehrs- und Orientierungstraining und lernte die Brailleschrift.
Fahrpläne bleiben ein Rätsel
Um die Bundesstraße B1 zu überqueren, ist genaues Hinhören gefragt, nicht jeder Autofahrer bleibt stehen: "Ich hätte schon vier Mal überfahren werden können, wenn ich gegangen wäre", denn erst das fünfte Auto hält am Zebrastreifen. An der Haltestelle angekommen ist der Fahrplan die nächste Hürde: "Wann fährt der nächste Bus? Das sind Kleinigkeiten die einem erst auffallen, wenn’s nicht mehr geht." Ähnlich geht’s am Bahnhof Untertullnerbach weiter: So ist dieser zwar mit einem Blindenleitsystem ausgestattet, doch auch hier bleibt der Fahrplan ein Rätsel.
Dekoration als Stolperfalle
Ankunft am Bahnhof Purkersdorf Zentrum, besonders gefährlich: Ohne Leitsystem ist es hier reichlich schwer das Ende des Bahnsteigs abzuschätzen. Auch am Hauptplatz ist es nicht ungefährlich: Was Sehende als Dekoration oder Sitzmöglichkeiten betrachten, ist für Sehbehinderte oft eine gefährliche Stolperfalle. Auch rückwärts ausparkende Autos können gefährlich werden, einen Moment nicht hinhören kann schwere Folgen haben.
Vor ihrer Erblindung arbeitete Elisabeth Martin als Sonderschulpädagogin. "Und jetzt habe ich die Seiten gewechselt. Es gibt einige Dinge, wo ich mir denke, 'daran hat niemand gedacht'." Unter anderem Gegensprechanlagen, die für Rollstuhlfahrer oft zu hoch und für Blinde nicht verwendbar sind. Ein Ärgernis ist auch der Mangel an öffentlichen Verbindungen ins Krankenhaus Tulln: "Ich kann nur mit dem Taxi hinfahren."
Mitdenken erwünscht
Verbesserungsvorschläge hätte sie so einige: "Ich würde mir wünschen, dass Architekten verpflichtende Seminare in diese Richtung machen müssen." So auch bei der Fahrausbildung: "Bei der Fahrausbildung eine Stunde mit jemandem verbringen, der nicht gut sieht oder geht, das wäre wünschenswert."
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