Regen, Kälte und Angst auf allen Seiten

Doraja Eberle verteilt Deutsch-Lernunterlagen und erklärt den Freiwilligen, wie der Unterricht abläuft.
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  • Doraja Eberle verteilt Deutsch-Lernunterlagen und erklärt den Freiwilligen, wie der Unterricht abläuft.
  • hochgeladen von Stefanie Schenker

Es ist kurz vor neun Uhr morgens, die Wolken lockern auf, ein bisschen Blau blitzt durch und spiegelt sich in den Regenpfützen, die sich auf dem verdichteten Erdboden neben den Zelten gebildet haben. Auf dem Zaun, der die „Zeltstadt“ vom restlichen Kasernengelände abtrennt, hängen T-Shirts, Handtücher und Socken in der noch kühlen Morgensonne zum Trocknen. Drinnen, in den Zelten, liegen nur mehr vereinzelt Männer auf den Feldbetten, die meisten befinden sich schon in einer großen überdachten Halle, in der es das Frühstück und später Deutschunterricht gibt.

„In der Masse macht ihr Angst“

„Nachts tropft es durch die Zelte durch, und es ist kalt, wir können kaum schlafen“, erzählt ein junger Syrer. Er spricht perfekt Englisch, ist aus Damaskus und IT-Techniker. Dass er, seine Landsleute und alle anderen Flüchtlinge aus den Krisengebieten dieser Welt hier in Österreich, in Salzburg, in Wals, nicht willkommen sind, weiß er. Doraja Eberle hat es den rund 220 Asylwerbern auf dem Kasernenareal in Wals kurz davor erklärt. „They“, sagt Doraja Eberle, und meint damit die Österreicher, „they are not scared of you of course, but in the big mass you are scary. So don‘t go around in groups of 50 people, don‘t sit on children‘s playgrounds. But you can always say ‚Guten Morgen‘, ‚Guten Tag‘ and ‚Danke, mir geht es gut.‘“ Was denn die Flüchtlinge selbst gegen die Angst der Österreicher vor ihnen tun könnten, wird später ein Mann aus Damaskus eine Journalistin fragen.

Sie wollen helfen? Unter „Wals-Siezenheim we help“ gibt es eine Reihe von Freiwilligen, die helfen. Infos unter wswh@wals-siezenheim.at oder telefonisch im Sekretariat des Bürgermeisters: 0662 851181-35.

Den Deutschunterricht im Zeltlager organisiert Doraja Eberle – 29 freiwillige Walserinnen und Walser kommen eine Viertelstunde vor zehn Uhr zur Vorbesprechung in einem kleinen Nebenraum der Allzweckhalle. „Wer ist zum ersten Mal hier?“, fragt Doraja Eberle, vier Frauen heben ihre Hände. „Ihr bleibt zuerst in meiner Nähe, ich werde euch an eure Tische und euren Schülern zuteilen. Alle anderen setzen sich wieder dorthin, wo sie glauben, das letzte Mal auch gesessen zu sein.“ Und dann geht es los, mit vorbereiteten Lernunterlagen, Bildwörterbüchern und viel Enthusiasmus legen die „Lehrer“ – die wenigsten von ihnen sind übrigens „echte“ Lehrer – los.

Pullis, Hosen, Schuhe

Doraja Eberle organisiert aber nicht nur den Deutschunterricht, sondern auch Ständer für die Müllsäcke, 200 Pullis mit Kapuzen und 200 schwarze Jogginghosen, die im Lauf der kommenden Woche geliefert werden. Dringend gebraucht wurden Schuhe. Viele der Flüchtlinge tragen Flipflops, andere Turnschuhe, aus denen die Fersen herausragen. „Schuhe muss man probieren, die kann man nicht einfach so austeilen wie eine Jogginghose mit Gummibund“, sagt Doraja Eberle. Und dann ist ihre „Bauern helfen Bauern“-Assistentin am Telefon. „Susi, wir brauchen Geld für Schuhe, ich habe gerade 300 Paar Schuhe gekauft, das Paar um acht Euro“, sagt sie. Geliefert wurden sie drei Tage später.

Jede Menge Damenbinden

Die ehemalige Landesrätin organisiert aber auch Decken, denn: Zwar wurden vor mehr als einer Woche warme Decken beim Innenministerium bestellt, nur dauerte es dann tagelang, bis sie geliefert wurden. In der Zwischenzeit hat Doraja Eberle welche bei Ikea besorgt. Dafür liegen neben Toilettenpapier jede Menge Damenbinden für die allesamt männlichen Flüchtlinge zur Abholung bereit. Die 200 aus Ungarn gelieferten Spinde – in denen die Flüchtlinge ihre wenigen Habseligkeiten versperren sollten – verfehlen ihren Zweck, denn ein Mitarbeiter des Innenministeriums hat alle Schlüssel abziehen lassen. Nach zwei Wochen „Puzzle-Spiel“ konnten die Schlüssel wieder zugeordnet werden.

Bürgerinformation zum Flüchtlingslager: 3. September, 19.00 Uhr, Walserfeldhalle.

Das Innenministerium ist offiziell selbst der Betreiber des Zeltlagers, andere Hilfsorganisationen hatten abgewunken. Seit Kurzem sind drei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes Siwacht statt nur einem als Aufsicht vor Ort, dazu kommen drei „dienstzugeteilte“ Mitarbeiter der Exekutive. Mehr Personal ist nicht da, es gibt weder eine Rechtsberatung noch eine Rechtsauskunft, es gibt keinen Arzt, keinen Dolmetscher und keine Möglichkeit, Dokumente oder andere Schriftstücke auszudrucken und es gibt auch sonst nichts. Es gibt kein Licht, das den Männern nachts den Weg von den Zelten zu den Toiletten zeigen würde, denn dafür gibt es keinen Strom. Es gibt keine Bustickets, mit denen die Flüchtlinge einen Arzt aufsuchen könnten. Ja, es gäbe nicht einmal Putzzeug, um Toiletten oder Waschräume notdürftig zu säubern, hätte nicht auch hier Doraja Eberle etwas besorgt.

Kein Licht, kein Busticket

Wenn sie nicht vor Ort wäre, dann würde hier alles zusammenbrechen, sagen die Mitarbeiter der Exekutive hier, allerdings hinter vorgehaltener Hand. „Wir dürfen nicht mit Journalisten sprechen“, winkt ein Sicherheitsdienst-Mitarbeiter das Gespräch mit einer Journalistin ab. 17 bis 18 Stunden seien die Dienstzugeteilten pro Tag hier im Einsatz, berichtet ein Mitarbeiter. Ihre Aufgabe wäre es, die fachliche Aufsicht für jene zu übernehmen, die die Flüchtlinge betreuen. Nur gibt es niemanden, der die Flüchtlinge betreut. Das Essen wird vom Bundesheer gestellt und ist das einzige, was reibungslos funktioniert. „So kann es hier definitiv nicht weitergehen“, sagt ein Mitarbeiter des Innenministeriums.

Keine Information

Gegen Ende des einstündigen Deutschunterrichts stellt sich Doraja Eberle auf eine der Bierbänke und verschafft sich Gehör. Sie erzählt von dem Fußballplatz, den die Gemeinde den Asylwerbern zur Benützung zur Verfügung stellt. Dafür gibt es Applaus für den Walser Bürgermeister Joachim Maislinger. Und es gibt noch mehr Neuigkeiten: Am kommenden Morgen würde in Wals eine Hochzeit gefeiert – und die Tradition will es, dass dabei Böller abgeschossen werden. „Kein Grund, sich zu fürchten, es ist nur eine Hochzeit, das ist hier so Tradition“, erklärt sie den traumatisierten Asylwerbern. Ob es alle verstanden haben, weiß sie nicht. Für viele von ihnen war die Sirene samstagmittags oder die am Zaun mit Maschinengewehr im Anschlag patroullierenden Bundesheersoldaten ein Schock. „Niemand hat ihnen gesagt, dass die Sirene samstagmittags immer läutet, niemand hat ihnen gesagt, dass sie sich hier auf militärischem Gelände befinden. Aber es hat ihnen auch niemand gesagt, dass sie hier in Österreich das Leitungswasser trinken dürfen.“

Beispiellose Desorganisation

Eine der freiwilligen Helferinnen ist Rosemarie Drechsler, die ehemalige Pinzgauer Bezirkshauptfrau. „Diese Desorganisation ist das Schlimms-te“, sagt sie. „Wir haben in diesem Land viele Menschen, die Erfahrung im Krisenmanagement haben. Aber die werden hier nicht eingesetzt.“
Zwei der Mitarbeiter aus der Exekutive sind an dem Tag zum ersten Mal da. Eigentlich sollte das ihr zweiter Arbeitstag in dem Lager sein, aber die Information über ihren neuen Einsatzort haben sie erst um 14.30 Uhr erhalten. Sie stehen unsicher etwas abseits. Sie wissen nicht genau, was ihre Aufgabe in dem Lager ist. Eine Einschulung? Haben sie nicht bekommen. Es ist nicht einmal klar, wer das Lager offiziell leitet. „Einen offiziellen Auftrag dazu habe ich bisher nicht bekommen“, sagt ein Mitarbeiter der Exekutive. Er ist ebenfalls den ersten Tag hier und hat das Büro bezogen, in dem die 200 abgezogenen Spindschlüssel liegen. Das Schloss an der Tür zwischen Halle und Büro wurde mittlerweile ausgetauscht. Die Mitarbeiter können dem Ansturm der verschiedenen Anliegen der Lager-Bewohner sonst nicht mehr standhalten.
„Alles Gute“, verabschiedet sich ein Leiter des Bundesamtes für Asyl- und Fremdenwesen von Doraja Eberle. Er war für ein paar Stunden hier, „nur als Gast“, wie er gegenüber einer Journalistin betonte.

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