Landesgericht St. Pölten
Prozess um 135.000 Euro Sozialbetrug
Ein, laut Richter, oberflächliches Gutachten brachte einen 48-Jährigen aus dem Bezirk Tulln auf die Anklagebank am Landesgericht St. Pölten. Der sichtlich schwer angeschlagene Mann soll von 2014 bis Mai 2019 Sozialversicherungsleistungen in Höhe von rund 135.000 Euro zu Unrecht bezogen haben, indem er bewusst eine gravierende psychische Erkrankung vorgetäuscht habe.
ST. PÖLTEN (ip). „Ich habe große Angst, weil da so viele Menschen sind“, erklärte er zitternd auf die Frage des Richters nach seinem Befinden und berichtete mit wenigen Worten und weinend von seinem Schicksal. Er war nach dem Krieg in Bosnien nach Österreich gekommen. Nach einiger Zeit bekam er psychische Probleme, vermutlich eine posttraumatische Belastungsstörung. Als Depressionen und Angstzustände sich massiv verschlimmerten, suchte er Hilfe bei Ärzten und Therapeuten. Neben stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken wurde er auch medikamentös behandelt. Ab 2014 stellte er Anträge bei PVA und NÖGKK und erhielt unter anderem eine Unterstützung für die Pflegestufe 4.
Erkrankung vorgetäuscht
Weil er beobachtet worden war, als er sein jüngstes Kind gelegentlich zum 500 Meter entfernten Kindergarten begleitete und im Dezember 2018 an der Hochzeit seines Bruders in Montenegro teilgenommen hatte, nahm man an, dass er seine Erkrankung nur vortäusche, um an das Geld der Sozialversicherung zu kommen. Die St. Pöltner Geschäftsstelle erstattete Anzeige und legte ein entsprechendes Gutachten vor.
„Die Ärzte haben gesagt, ich muss raus“, begründete der Beschuldigte, der sich die meiste Zeit zuhause in seinem Bett verkroch, seine „Ausflüge“, zu denen er sich hin und wieder überwand. Verteidigerin und Erwachsenenvertreterin Birgit Harold untermauerte mit zahlreichen Rechnungen für entsprechende Medikamente, dass es sich tatsächlich um eine schwere Erkrankung ihres Mandanten handelt, der darüber hinaus Bestätigungen mehrerer Ärzte und Therapeuten vorweisen konnte. Dass es zwischendurch kurze Phasen gab, in denen es ihm auch besser ging, sei nachvollziehbar, meinte eine Sachverständige vor Gericht. Den Schweregrad könne man jedoch nicht genau feststellen, zumal es bei derartigen Erkrankungen keine messbaren Laborwerte gebe.
Freispruch
Auch Staatsanwalt Karl Fischer meinte in seinem Schlussplädoyer bezugnehmend auf einige „komische Umstände“, dass es für eine Verurteilung sicher nicht reiche. Dem schloss sich Harold an, die sich zuletzt für den rechtskräftigen Freispruch des empathisch auftretenden Richters bedankte.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.