Von der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit treten

Interviewsituation Edith Hessenberger und Jytte Klieber. | Foto: Hessenberger/ Haupt
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  • Interviewsituation Edith Hessenberger und Jytte Klieber.
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Anne Marie Perus aus Norwegen, Kazim und Snjezana Bajrić aus Bosnien, Mehmet und Eşe Şahan aus der Türkei. Trotz unterschiedlichster Herkunftsländer, Kulturen und Wertesystemen haben diese Personen dennoch viele Gemeinsamkeiten. Eine davon ist, dass sie alle in Telfs eine neue Heimat gefunden und mit ihren individuellen Migrationsgeschichten die Telfer Geschichte über Jahrzehnte geprägt und mitgestaltet haben.

Das Interviewprojekt

Im Oktober 2013 wurde ein Interviewprojekt gestartet, das die große Vielfalt an Lebensgeschichten und -erfahrungen in Telfs abbilden sowie durch das Aufzeigen von Perspektivenwechsel Zugewanderten eine Stimme verleihen soll. Im Juni dieses Jahres präsentierte die Telfer Integrationsbeauftragte Dr. Edith Hessenberger die Ergebnisse des Projekts in ihrem Buch mit dem Titel „Alte Neue TelferInnen. Migrationsgeschichten und biographische Erinnerungen“.

Individuelle Migrationsgeschichten

Die Heimat zu verlassen und in ein fremdes Land zu gehen erfordert sehr viel Mut. Vor allem dann, wenn die Zukunft in der neuen Heimat ungewiss ist. Mit den unterschiedlichsten Ängsten sowie Hoffnungen verließen Menschen aus 84 Nationen ihr Zuhause. Ob Liebe, finanzielle Bedingungen oder Flucht, die Gründe für die Entscheidung, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen, sind verschieden.
Anne Marie Perus hat ihre Heimat Norwegen im Jahr 1974 verlassen und ist nach Österreich gekommen, um hier die deutsche Sprache zu lernen und zu arbeiten. Obwohl sie zunächst eine Einschulung in London machen und anschließend als Reiseführerin in Andorra arbeiten wollte, führte sie ihr Schicksal ins Hotel Tirol in Obsteig. „Ich weiß noch, als mich ein Angestellter abholen kam und zum Hotel brachte, es war grausiges Wetter, und als wir durch Telfs gefahren sind, habe ich mir gedacht: „Na! So ein Kaff. So schnell wie möglich heim.“ Im Hotel hat auch mein heutiger Mann Roland Schwimmunterricht gegeben, und ich habe mich in ihn verliebt. Und so bin ich hängen geblieben.“

Kazim und Snjezana Bajrić verließen Bosnien bevor der Bosnienkrieg ausbrach. Ihr Leben ist geprägt von Krieg und harter Arbeit. Obwohl Kazim in die Schweiz emigrieren wollte, um dort als professioneller Fußballspieler seinen Traum zu verwirklichen, endete seine Reise in Telfs. In der Hoffnung auf bessere Lebensumstände und dem Angst vor dem Kriegsausbruch flüchteten er und seine Familie schließlich nach Österreich. Kurz nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat wurden die Grenzen gesperrt. „Wir haben das Nötigste in einen Koffer gepackt, den Rest haben wir zurückgelassen. All diese Dinge – Fotos, Erinnerungen, Lieblingssachen – sind später komplett ausgebrannt“, erzählt Snjezana Bajrić.

Mehmet Şahan war langjähriger Arbeiter der Fa. Schindler in Telfs und kam 1971 im Rahmen des Gastarbeitererwerbs aus der Türkei nach Österreich. Obwohl er zunächst seine Reise nach Deutschland geplant hatte, wurde ihm schließlich eine Stelle in Österreich angeboten. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Telfs bekam auch seine Frau eine Arbeit in der Firma, weshalb sie fern von ihren Kindern versuchten für diese hier eine Zukunft aufzubauen. 1978 konnten sie schlussendlich ihre Kinder auch nach Telfs holen. Allerdings mussten sie zu sechst in extrem beengten Verhältnissen leben, weil sie lediglich nur ein Zimmer mieten konnten und keine Wohnung bekamen. Heute erinnert sich Eşe Şahan zurück: „Wir sind aus finanziellen Gründen hergekommen. Wir haben gesagt, wir arbeiten eine Zeitlang und gehen dann zurück. Aber das Geld reichte nicht, also arbeiteten wir weiter […] Und während wir so weiter planten, sind wir geblieben.“

Neuanfang und der Wunsch nach Akzeptanz

Migration ist eng mit den Biographien der Menschen verbunden. Erst im Zuge des Migrationsprozesses wird jeder Person innerhalb der Gesellschaft eine Rolle zugeschrieben. Denn nur so können gewohnte soziale Stellungen, die bei der Ankunft in der neuen Heimat verloren gegangen sind und das Gefühl der gesellschaftlichen Isolation überwunden werden. Dafür müssen zunächst Schwierigkeiten wie Sprachbarrieren bewältigt, Vertrauen aufgebaut wie auch den Menschen Akzeptanz entgegengebracht werden. Denn nur auf diese Weise erlangen Person mit Migrationshintergrund Sichtbarkeit und werden als Teil der Gesellschaft sowie als Bereicherung für die Geschichte wahrgenommen.

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