Ein "Heimatgefühl zum Lesen" ...

- hochgeladen von Hildegard Stauder
Heimatroman: "Für immer dein" - 5. Kapitel
Es war so vieles liegen geblieben
und es gab viel zu tun in den nächsten Tagen.
Das Gehörte war bald in Vergessenheit geraten
Wie konnte ich denn auch ahnen,
dass gerade diese Nachricht des Toten
mein ganzes bisheriges Leben umkrempeln sollte?
Auch machte die Mutter mir so viele Sorgen,
denn sie lag seit Wochen entkräftet und krank danieder
und wollte nicht genesen.
Sie hatte sich in dem nassen Frühjahr
eine schwere Lungenentzündung
geholt, von der sie sich nicht so recht erholen konnte.
Endlich konnte das Vieh auf die Alm getrieben werden,
aber dieses Mal ging mit Rosa nicht ich,
sondern Franz, der Knecht mit.
Ich wollte und konnte die Mutter nicht alleine lassen,
sie wurde immer schwächer und wollte nicht genesen.
Auch das Fieber wollte nicht weichen.
Der anhaltende Huste quälte sie sehr
und meist lag sie erschöpft danieder.
Der Doktor kam regelmäßig, um nach ihr zu schauen,
doch heute war er auf einer Ärztetagung in Salzburg
und das fiebersenkende Medikament war verbraucht.
So schickte ich die Magd nach Heiligenblut
in die Apotheke, um die Medizin zu holen.
Der Vater war schon zeitig in der Früh
aus dem Haus gegangen,
er hatte im Hochwald zu arbeiten.
Derweil ich der Mutter aus einem Buch vorlas,
das sie so sehr liebte,
wartete ich schon ungeduldig auf die Rückkehr der Magd.
Mal wieder wurde mir bewusst
wie unterschiedlich schnell die Zeit vergeht.
Natürlich ging die Uhr immer im gleiche Takt
und Rhythmus, doch heute kam mir die Zeit endlos vor.
Doch endlich eilte die Magd ganz atemlos und mit
erhitzten Wangen zur Stube herein und drückte mir
geschwind das Apotheken-Sackerl in die Hand.
Noch nach Luft ringend sprudelte aus ihr heraus,
dass die Leute im Dorf erzählten,
dass die männliche Leiche
schon vor über zwanzig Jahren in die Gletscherspalte
gefallen sein musste.
Nur die heißen Sommer der letzten Jahre
und der heurige, anhaltende Regen
machten es möglich, dass der Gletscher ihn,
den Toten, freigab.
Sein eisiges Grab hat den Verwesungsprozess aufgehalten.
So war seine Kleidung relativ gut erhalten.
Sogar einen Ausweis hat man in seiner Jackentasche gefunden
sowie ein verschnürtes Schmuck-Päckchen,
ein Goldkettchen mit Anhänger in Herzform.
Im Herz, so redeten die Leute, soll eingraviert sein:
"Meiner Elfe - für immer dein."
"Nein, nein, nein!", schrie plötzlich die Mutter auf
und ihre Hände griffen zum Herzen.
Mit weit aufgerissenen Augen
starrte sie verwirrt im Raum umher
und flüsterte unaufhaltsam:
"Mein Gott, er war auf dem Weg zu mir
und ich musste doch annehmen,
dass er ein Abenteurer war und sich davongeschlichen hat.
In Schmach und Schande ließ er mich zurück,
so viele böse Gedanken habe ich ihm nachgesagt,
derweil mein Herz sich nach ihm sehnte."
Fassungslos hörte ich meiner Mutter zu
und sagte dann verstört: "Mein Gott sie fiebert so,,
dass sie nicht mehr weiß, was sie redet",
schrie ich die Magd an. "Geh", sagte ich hastig,
"und schau, dass du den Bauern im Hochwald findest",
und schob sie zur Tür hinaus.
Die Mutter lag nun mit geschlossenen Augen in den Kissen,
ihre Hände bewegten sich unruhig hin und her.
Immer wieder flüsterte sie die Worte:
"Er wollte zu mir. Er wollte zu mir!"
Dann umklammerte sie meine Hand und sagte flüsternd:
"Marlene, er wollte mich nie verlassen;
so, wie ich es glauben musste.
Nachdem er ging und ich ihm zuvor sagte,
dass unsere Liebe gesegnet sei
und ich ein Kind erwartete, ging er mit den Worten:
"Wir werden uns schon bald wiedersehen."
Er blickte noch einmal zurück und sagte:
"Wenn die Bergrosen in Blüte stehen,
bin ich wieder bei dir!"
Aber ich sah ihn nie wieder.
Ich war so verwirrt, wie nie zuvor in meinem Leben
und sagte hastig: "Mutter, du sprichst im Fieberwahn,
ich höre deine Worte, aber ich verstehe sie nicht.
Bitte nimm von der Medizin, sie wird dein Fieber senken
und dann wirst du zur Ruhe kommen."
Damit reichte ich ihr von dem Medikament,
aber sie wehrte es ab.
Wieder flüsterte sie:
"Er wollte zu mir und mich nicht in Schande zurücklassen."
"Nein, nein", sagte ich und hielt mir die Ohren zu.
Ich wollte ihre Reden nicht mehr hören
und wunderte mich, wo der Vater nur blieb.
Schwer atmend lag Muter da
und ich fühlte mich hilflos und allein.
"Bitte, Marlene, bestelle den Pfarrer zu uns,
ich trage so schwer an meiner Schuld."
"Ach Mutter, was ist nur geschehen?
Wie ist es möglich, dass dich der fremde Tote
so einen Unsinn reden lässt?"
"Mein geliebtes Kind",
sagte dann die Mutter ruhig und klar,
"der Tote ist kein Fremder für uns",
und dann zögerte Mutter mit ihren Worten.
"Er ist dein Erzeuger", sprach sie dann weiter.
Aber dann sagte sie mit einem Lächeln um den Mund:
"Aber später habe wir beide dann Vater gefunden"
Atemlos sprang ich auf,
aber Mutter ließ meine Hand nicht los
und sprach weiter: "Er war lange vor deiner Geburt
hier im Tal und war damit beauftragt,
auch die Großglocknerstraße zu vermessen,
denn sie sollte weiter ausgebaut werden.
Wie auch heute nahm der Tourismus ständig zu.
Er kam von weit her, aus Wien.
Unsere Begegnung war so unwirklich - wie im Märchen.
Ich war droben beim Wasserfall,
um dort die seltene Pflanzenwelt zu skizzieren.
Ich war so in meine Aufzeichnungen vertieft,
dass ich nicht die Gestalt wahrnahm,
die unterhalb auf dem Felsen saß
und mich filmte.
Das Wasser übertönte jedes Geräusch,
doch irgendetwas ließ mich aufblicken
und unsere Augen trafen sich.
Ich sah gleich an seiner Kleidung,
dass es ein Fremder war.
Langsam stieg er dann zu mir hinauf
und rief mir dabei entgegen:
"Hallo, schöne Elfe, bist du Wirklichkeit oder Traum?"
Mit dem Arm groß ausholend sagte er dann:
"Im Hintergrund der brausende und schäumende Wasserfall
und darüber ein farbenprächtiger Regenbogen
in den schönsten Farben und darunter eine Elfe;
da muss man ja ins Träumen kommen.
So anmutig mit deinen gelösten,
offenen, goldenen Haaren.
Du bist so gegenwärtig und doch unwirklich!"
"So, wie Großmutter es mir immer erzählte",
flüsterte ich fast tonlos,
derweil ich Mutters Worten lauschte.
Dann sprach Mutter weiter:
"Keines seiner Worte habe ich je vergessen.
Unsere Blicke fanden sich
und wir konnten nicht mehr voneinander lassen.
Über drei Monate war er im Dorf, bis seine Arbeit getan war.
Als Vermessungstechniker war er hier im Dorf tätig,
auch mit der genauen Erfassung der Pasterze beauftragt,
denn auch sie sollte als "Gletscherweg"
für die Touristen wieder neu erfasst werden.
Wodurch ihm damals Skepsis und Ablehnung entgegen schlugen.
Und dann mussten wir Abschied nehmen.
"Marlene, für uns beide ist es kein Fremder!"
"Nur weg hier", dachte ich
und riss die Stubentür auf, um hinauszustürzen.
Dort rief ich noch Anna, der alten Magd zu:
"Rufe das Pfarramt an, und sag,
die Bäuerin bittet um den Besuch des Pfarrers" ....
Hildegard Stauder
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