Kommentar
Geisterfahrer

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Als Falschfahrer – umgangssprachlich auch Geisterfahrer – bezeichnet man Benutzer einer Autobahn oder einer Straße mit geteilten Richtungsfahrbahnen, die entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung fahren. Dabei ist diesen Fahrern oft nicht bewusst, dass sie falsch fahren. Es gibt ja den Witz, dass ein Geisterfahrer sich aufregt, dass alle anderen falsch fahren. Der russische Präsident ist derzeit so ein Geisterfahrer.

Gewalt, Waffengewalt und damit verbunden Krieg oder Terrorismus sind die schlimmsten Stufen, die Menschen einnehmen, um ihre Ideologien gegen andere durchzusetzen. Diese Stufen müssen verurteilt werden – überall und jederzeit!

Aktuell sehen wir auf allen medialen Informationsträgern Bilder von verzweifelten Menschen in der Ukraine. Einzelne Schicksale werden genauer beleuchtet und mit einem regionalen Bezug in Form von Verwandten, die im Ausland leben, hergestellt. Jedes Medium versucht über die Onlinekanäle 24 Stunden-Livestreams zu generieren. Updates über die Lage in der Ukraine erfolgen daher minütlich. Ähnlich wie bei einem Unglück will man nicht hinsehen, aber man muss. Diese Livestreams sind die neuen Corona-Dashboards. Zahlen, Daten, Fakten und Kommentare von ausgewiesenen Experten oder die, die es noch werden wollen. Immer wieder ist dabei die Rede, dass das Herz Europas angegriffen wird. Der Frieden in Europa sei damit vorbei. Was genau wird mit diesen Worten und Bildern generiert und warum springen wir so sehr und so schnell auf diesen Zug der Schreckensbilder auf? Warum werden die Regierungen in Europa, die sich jetzt geeinte EU nennen, so schnell weich in Fragen von Waffenlieferungen, Aufrüstungen und in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen? Warum gehen hunderttausende Menschen in Europa auf die Straßen, um gegen den russischen Präsidenten zu demonstrieren? Ist es wirklich so, dass wir alle so solidarisch für das ukrainische Volk sind oder sind andere Themen wie Corona und Co. einfach nicht mehr gut genug? Eine sehr, sehr provokante Frage. Warum ich mir diese Frage stelle? Weil ich mir den Eindruck nicht verwehren kann, dass gerade die reiche EU und seine Bevölkerung mit zweierlei Maß misst. Was ist mit Afghanistan oder Syrien passiert? Das sind nur zwei Beispiele, die medial eine Zeitlang en vogue waren, aber derzeit überhaupt keine Rolle spielen. Die Taliban haben das Land Afghanistan quasi ins Mittelalter zurückversetzt. Rechte und moralische Instanzen für Frauen gibt es nicht mehr. In Syrien herrscht nach wie vor Krieg und bittere Armut. Das Thema Flüchtlingsaufnahme in die EU wurde mit viel Geld abgeschmettert. Menschen, die aus diesen beiden Ländern zu uns fliehen mussten, haben jeden Tag Angst um Freunde und Verwandte, die noch dort leben – müssen. Bieten Mobilfunkanbieter diesen geflüchteten Menschen auch Sondertarife an, damit sie ohne Roaming in ihre Heimat Kontakt halten können?

Die Gründe um den Krieg und den Konflikt in der Ukraine ist nur schwer bis gar nicht zu verstehen. Wenn es am Ende nur um Geld und Macht geht und dies medial inszeniert wird, dann ist das moralisch der falsche Weg von Solidarität. Menschen sterben aktuell, egal auf welcher Seite und egal in welchem Land, durch Krieg und das ist schrecklich genug. Jeder getötete Mensch hat eine Geschichte, ein Schicksal, eine Familie.

Darum ist es wichtiger denn je über Frieden zu reden, diesen zu bewahren und dafür einzustehen. Für jeden Menschen auf dieser Welt. Vielleicht bin ich mit meinen Gedanken auch ein Geisterfahrer inmitten dieses Konfliktes und Kriegs in der Ukraine. 84 Millionen Menschen sind derzeit weltweit auf der Flucht. Lasst uns diese Menschen nicht vergessen, bei all den schrecklichen Bildern aus einem Kriegsgebiet.

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