Ein Journalist auf der Flucht

Salih war als Journalist im Irak tätig. Die IS hat es auf ihn – wie auch auf andere Berichterstatter – abgesehen. | Foto: privat
  • Salih war als Journalist im Irak tätig. Die IS hat es auf ihn – wie auch auf andere Berichterstatter – abgesehen.
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  • hochgeladen von Agnes Czingulszki (acz)

"Eines Abends im August 2014 hielt ein seltsames Auto vor meiner Haustüre. Mehrere bewaffnete Personen stiegen aus. Ich saß gerade in meinem Wohnzimmer und sah sie durch mein Fenster kommen. An ihren Kleidern erkannte ich sofort, dass es Männer des gefürchteten Isis (Islamischer Staat) waren. Ich musste blitzschnell reagieren. Isis-Männer läuten selten an der Haustüre und warten, bis ihnen wer aufmacht... Ich rannte die Stiegen hinauf auf das Dach meines Hauses. Von dort konnte ich über die Terrasse meines Nachbars flüchten.

Aber beginnen wir mit dem Anfang ...
Ich wurde 1983 in Mosul, der zweitgrößten Stadt des Iraks, geboren. Ich war 20 Jahre alt, als Saddam Hosseins Regime gestürzt wurde und sich das politische System veränderte. Damals begann ich, als Journalist zu arbeiten.
2003 gründete ich die unabhängige Zeitung "Iraqi Youth Voice" für junge Journalisten, deren Chefherausgeber ich wurde. Zu dieser Zeit war ich auch sehr aktiv in der Vertretung von Journalisten in Mosul. Ich war Mitglied des Verbands Irakischer Journalisten und der "Union der Schriftsteller", sowie des Irakischen Jugendparlaments und des Kulturvereins der Jugend.
Schließlich fungierte ich auch eine Zeit als Obmann des Komitees für PR und Medien in Mosul. Während dieser Zeit schrieb ich viele Artikel in verschiedenen Tageszeitungen, aber auch in Internetplattformen, wie zB. die deutsche Website "mict", die Artikel in und über Krisengebiete in mehreren Sprachen veröffentlicht.

Die Situation verschlechtert sich

So lebte und arbeitete ich 10 Jahre, also zwischen 2003 und 2013, als Journalist in Mosul. Aber 2013, als ich 30 wurde, begann sich die Situation hier sehr zu verschlechtern. Mosul wurde damals schon fast zur Gänze von den Einheiten des Islamischen Staates kontrolliert. Die Regierungstruppen und die Polizei hatten nach und nach immer weitere Gebiete des Nordirak an den Isis abtreten müssen. Sie wurden entweder umgebracht oder mussten vor dem Isis flüchten.

Der Islamische Staat in Mosul
Die internationalen Medien berichteten vermehrt über die schlimme Situation. 2013 wurden die Städte Mosul und Tekreet von internationalen Institutionen zur Medienbeobachtung als die zwei gefährlichsten Städte für Journalisten bezeichnet. Seit dem 10. Juni 2014 hat diese Gefahr allerdings ihren Höhepunkt erreicht. An diesem Tag wurde Mosul von den IS-Kämpfern eingenommen, und kurze Zeit später fiel die gesamte Provinz Mosul unter ihre Kontrolle.

Journalistenkollegen von Isis ermordet
Die irakischen Streitkräfte waren fast vollständig abgezogen, das Sicherheitssystem und die meisten anderen staatlichen Institutionen waren de facto nicht mehr existent. In ihren Verwüstungszügen töteten die Isis auch gezielt Duzende Journalisten mit Pistolen und Bomben. Auch der Leiter des Jugendvereins, zu dem ich gehörte, und einer meiner engen Reporterkollegen der Zeitung "Youth Voice" wurden ermordet.

Wahllose Zerstörung
Nach dem 10. Juni wurden die gezielten Angriffe im Irak auf Journalisten und Aktivisten noch intensiver betrieben. Seitdem wird öffentlich getötet, denn dadurch will Isis noch mehr Horror verbreiten. Es sind ja auch keine Sicherheitskräfte mehr da, die einschreiten könnten. Die Terroristen können sich frei bewegen mit enthüllten Gesichtern. Sie fahren auf ihren 4-Rad angetriebenen Jeeps mit geschwungener Fahne und hochgehobenen Maschinengewehren, und nehmen alle fest, die sich ihnen in den Weg stellen. Sie töten auch einfach Zivilisten, die ihnen zufällig über den Weg laufen. Sie konfiszieren Eigentum, sprengen Gebäude, zerstören heilige Stätten und archäologische Plätze genauso wie öffentliche und private Institutionen und Häuser, Radio- und Pressegebäude.

Die Todesgefahr verfolgte mich als Journalist schon seit einiger Zeit. Wirklich ins Auge schaute ich ihr aber erst an jenem Augustabend, als eine Gruppe von ISIS Männern mein Haus aufsuchte....

Flucht mit Hilfe der Nachbarn
Ich konnte nur durch die Hilfe meiner Nachbarn fliehen, die mich über ihre Terrasse in ihr Haus ließen, von wo aus ich wegrennen konnte, ohne von den Isis-Leuten gesehen zu werden. Als diese ins Haus kamen, fanden sie nur meinen jüngeren Bruder vor, der schlief, und den ich aufzuwecken keine Zeit mehr gehabt hatte. In dieser Nacht musste ich ins Unbekannte fliehen, alles zurücklassen, meinen Bruder, mein Haus, mein Heimatland. Ich konnte nur hoffen, dass die Isis-Männer meinem Bruder nichts tun würden, da er jünger ist als ich und nicht als Aktivist und Journalist tätig war.

Am Weg nach Europa
In derselben Nacht konnte ich mich bei einem Freund in einem Viertel am anderen Ende der Stadt verstecken. Ich schlief trotzdem keine Minute. Ich hatte große Angst, und ich wusste, dass ich nun fliehen musste, weit weg. Am nächsten Tag half mir mein Freund, einen PKW zu finden, der mich von Mosul bis zur Grenze von Kurdistan brachte. Nach weiteren 2 Tagen fand ich eine Möglichkeit, in die Türkei zu kommen. Ich hatte großes Glück, denn alles geschah sehr schnell und es gab keine Probleme bei der Flucht. Aber ich hatte keine Möglichkeit mehr, mich von meiner Familie zu verabschieden, oder herauszufinden, ob es meinem Bruder gut ging, und das belastet mich sehr...

In der Türkei verbrachte ich über einen Monat, bis ich eine Möglichkeit fand, nach Europa zu kommen. Zwischen Ausbeutung und Gier der Schmuggler, konnte ich schließlich einen Platz für die "Reise" nach Europa ergattern. In einem großen LKW erreichte ich von Istanbul aus Wien. Es war ein verregneter kalter Dezembertag, als ich nach vielen Stunden wieder das Tageslicht erblickte. Ich fror, denn ich hatte nicht genug Kleider, um meinen erschöpften Körper gegen die Kälte und den Regen zu schützen ...

In Österreich
Jetzt bin ich seit knapp 150 Tagen in Österreich, die meiste Zeit davon in Tirol. Ich versuche, mein Schicksal zu akzeptieren: dass ich meine Arbeit, meinen Bruder, und meine Heimat verlassen musste, weil ich mit meinem Wort gegen die Unterdrückung und die Gräueltaten der Isis gekämpft habe. Während meiner Zeit in Mosul habe ich mich nie der Unterdrückung der Terroristen gebeugt. Jetzt, in Österreich, gebe ich die Hoffnung auch nicht auf, dass mir die österreichische Regierung eines Tages ihr Interesse schenken wird. Seit Dezember 2014 warte ich auf ein Erstgespräch. Ich kam mit dem Wunsch nach Sicherheit und Freiheit. Aber bisher bin ich hier, im Land der Wissenschaft, der Kunst und der Demokratie, nur ein wartender Gefangener.

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