Mauro Mittendrin
Frühstück mit Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Wien
Barbara Staudinger hat sich als Historikerin und Leiterin des Jüdischen Museums Wien einen Namen gemacht. Wie wichtig die Aufarbeitung der Vergangenheit ist, zeigen nicht zuletzt die aktuellen Entwicklungen. Vor Kurzem hat sich Staudinger mit dem bekannten italienischen Netzwerker Mauro Maloberti (Mauro Mittendrin) getroffen und mit ihm über das Thema Antisemitismus und die Pläne für das Jüdische Museum gesprochen.
Mauro Mittendrin: Frau Staudinger, blicken wir zuerst auf die Anfänge Ihrer Karriere als Historikerin zurück. Wurden Sie in Wien geboren und wie wurde schließlich Ihre Leidenschaft für Geschichte geweckt?
Barbara Staudinger: Ja, ich wurde 1973 in Wien geboren. Aufgewachsen bin ich in Kaisermühlen. In Wien habe ich auch das Akademische Gymnasium im 1. Bezirk besucht. Auf der Uni Wien habe ich dann Geschichte und Theaterwissenschaften studiert, bevor ich nach meiner Diplomarbeit gefragt wurde, ob ich bei einem Forschungsprojekt zur jüdischen Geschichte mitarbeiten wolle. Dabei habe ich meine Leidenschaft für jüdische Geschichte entdeckt. Ich war lange Zeit in der Forschung, bevor ich in den Museumsbereich gekommen bin.
Sie waren vor Wien bereits an den Jüdischen Museen Augsburg und München tätig. Welche Unterschiede haben Sie dabei erlebt?
Unterschiede gibt es zwischen diesen drei Städten viele. Wien ist eine ganz besondere Stadt. Sie ist so unglaublich schön, dass sie einem den Atem raubt. Und die Menschen sind schwierig (lacht). München ist nicht so viel kleiner als Wien. Trotzdem ist in München oder grundsätzlich in Bayern auch wegen der Förderstrukturen vieles einfacher. Auf der anderen Seite ist in Wien und ich glaube nirgendwo sonst in Europa das Jüdische Museum so wichtig für die Stadt – nicht nur für die Touristen, sondern für die Stadtbevölkerung. Das ist eine ganz besonders tolle und spannende Aufgabe.
Wie haben Sie Ihre Anfangszeit hier erlebt?
Anfänge sind auf der einen Seite immer schwierig, auf der anderen Seite immer einfach. Es gibt immer die einen, die einen mit offenen Armen empfangen, und die anderen – und das ist auch ein bisschen typisch Wien –, die sagen: "Früher war alles besser und am besten hätte sich gar nichts geändert." Das ist immer so bei einem Neuanfang. Aber ich denke, nach einem Jahr bin ich jetzt sehr gut angekommen.
An welchen Moment in Ihrer Karriere erinnern Sie sich am liebsten?
Ich war damals auf einer Tagung in Jerusalem. Es war Sommer, heiß und wir sind im Garten der Hebrew University Amman gesessen. Dort haben wir Kaffee getrunken. Plötzlich klingelt das Telefon und der Direktor des Jüdischen Museums München ruft mich an und fragt mich, ob ich mich nicht als Kuratorin bewerben wolle. Das war wirklich schön.
Gibt es auch einen Moment, den Sie am liebsten vergessen würden?
Da war ich in München, das war viel später. Ich war schon Direktorin des Jüdischen Museums Augsburg. Ich war zu dieser Zeit aber in München. Es war Jom Kippur, wir hatten frei und ich besuchte eine Ausstellung. Plötzlich klingelt das Telefon. Die Polizei ist dran und sagt: "Es gab einen Anschlag in Halle. Wir erreichen niemanden von der jüdischen Gemeinde. Kommen Sie sofort nach Augsburg!"
Wie würden Sie erklären, was Antisemitismus ist?
Antisemitisch sind auch Menschen, die nicht unbedingt Hass fühlen, sondern starke Vorurteile haben, etwa in dem Moment, in dem man sagt: "Alle Juden sind klüger, reicher und das Geld ist an der Ostküste." Das muss jetzt nicht unbedingt negativ gemeint sein. Trotzdem ist es antisemitisch, wenn man das Gefühl hat, die Juden steuern die Welt. Das ist eine antisemitische Verschwörungstheorie, selbst wenn man sagt: "Mir gefällt das!" Antisemitismus ist das Vorurteil gegenüber Juden, das keiner nüchternen Analyse standhält. Ein großer Teil des Antisemitismus ist Hass gegenüber Juden oder Hass gegenüber Israel, was auch gleichgesetzt wird. Auch das stimmt nicht, dass man das gleichsetzen kann. Nicht alle Juden leben in Israel und nicht alle Israelis sind Juden. Insofern ist schon diese Gleichsetzung höchst problematisch und vor allem falsch. Aber der allergrößte Teil des Antisemitismus bezieht sich auf den Hass gegenüber Juden.
Wie hat sich der Antisemitismus seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verändert?
Nach 1945 sind antisemitische Ressentiments eigentlich in der Bevölkerung geblieben. Aber es war nicht salonfähig, das zu sagen, sondern nur hinter vorgehaltener Hand, und das hat sich an den Rändern der Gesellschaft geäußert, etwa bei den Skinheads der 1990er-Jahre. Seit zehn Jahren beobachten wir, wie unsere Gesellschaft immer weiter auseinanderdriftet, wie unsere Gesellschaft zerfällt und sich immer weiter polarisiert. Diese Polarisierung bewirkt, dass der Antisemitismus wieder hervorkommt. Ich glaube, das macht es auch so gefährlich. Gerade jetzt, also seit dem 7. Oktober, ist eine zusätzliche Krisensituation eingetreten.
Welche Bücher lesen Sie gerne?
Ich lese vor allem Literatur, das muss ich sagen. Soeben habe ich ein Buch gelesen, das schon in den 1950er-Jahren veröffentlicht wurde, aber erst jetzt neu aufgelegt und bekannt geworden ist. Es geht darin um die Geschichte von vier Berliner Familien über mehrere Generationen hinweg – eigentlich die jüdischen Buddenbrooks. Eine wahnsinnig schöne Geschichte!
Was steht demnächst im Jüdischen Museum auf dem Programm?
Grundsätzlich ist die Zukunft gerade schwierig, weil wir nicht wissen, wie sich der Konflikt weiterentwickeln wird. Wir fühlen die Auswirkungen genau so wie viele jüdische Geschäfte, Restaurants usw., also dass sich die Menschen nicht mehr dorthin trauen. Am 30. Jänner feiern wir die Eröffnung von „Who cares? Jüdische Antworten auf Leid und Not“. Bis 26. Mai ist zudem am Judenplatz noch unsere Ausstellung "Frieden" zu sehen. Mitte Februar eröffnen wir eine kleine Kabinettausstellung „Wiener Nostalgie - Vernetzte Erinnerungen an Emil Singer“. Das sind wunderschöne Ausstellungen. Im Herbst werden wir außerdem eine weitere große Ausstellung zur dritten Generation eröffnen.
Welche Ihrer Eigenschaften würden Sie als gut und welche als schlecht sehen?
Eine gute Seite von mir ist, dass ich ein sehr lieber Mensch bin, glaube ich. Eine schlechte Seite von mir ist, dass ich gut die Nerven wegschmeißen kann.
Grazie, Barbara! Ci Vediamo!
Jüdisches Museum Wien
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