Kommentar
23. Mai 2016: Wo ist die Brücke zwischen Wien und den Bundesländern?

- Andreas Edler, Chef vom Dienst
- hochgeladen von Andreas Edler
"Die Wiener sind deppat", jammert man am Land gerne. "Am Land sind alle Bauern", sagen die Wiener. Wien und sein Hinterland haben seit jeher eine eigenartige Beziehung. Das ist auch der historischen Besonderheit geschuldet, die dem Kleinstaat Österreich, als Nachfolger einer mächtigen Monarchie, eine viel zu große Hauptstadt bescherte. Immerhin konzentrieren sich hier 1,8 (2,8 im Ballungsraum) der 8,6 Millionen Einwohner. Wien hat Gewicht – nicht nur bei den Wählerstimmen.
Wien ist politisches, kulturelles, ökonomisches Zentrum. In Österreichs einziger Großstadt konzentrieren sich alle tonangebenden Stellen. Umgekehrt heißt das, dass es in den Bundesländern zu einem "Braindrain" kommt – die gut Ausgebildeten zieht es in die Stadt, weil sie am Land keine adäquaten Jobs finden. Die Metropole verändert Zukunftsperspektiven. Ein Hochschulabsovlent in Wien hat am nationalen wie internationalen Arbeitsmarkt bessere Chancen als ein Pflichtschulabgänger im steirischen Voitsberg, wo Arbeitnehmer generell nicht mit Jobangeboten gesegnet sind.
Das unterschiedliche Wahlverhalten nur an den ökonomischen Chancen festzumachen, greift jedoch zu kurz. Wien zieht verschiedenste Menschen an, aus dem Ausland wie aus den Bundesländern. Das ist der Charakter einer Metropole. Dieser Ortsveränderung setzt jedoch eine gewisse Offenheit voraus. Sie setzt voraus, dass sich der Mensch, der umzieht – ob er aus ökonomischen Gründen muss, oder aus persönlichen Gründen will – auf eine für ihn neue Umgebung einlassen muss. Eine nicht unwesentliche Horizonterweiterung wird in der Regel die Folge sein. Neue Freunde, andere Menschen, andere Meinungen, neue Perspektiven geben dem Umgezogenen erstens eine Außensicht auf das bisher Erfahrene und zweitens eine neue Perspektive auf die Gegenwart.
Dass eine Großstadt wenig mit seinem nationalen Hinterland gemein hat, ist jedoch kein neues und schon gar kein österreichisches Phänomen. Die Soziologin Saskia Sassen hat in ihrem 1991 erschienen Werk "The Global City: New York, London, Tokyo" dargelegt, dass sich große Städte wie New York oder London ähnlicher sind, als die Städte zur jeweiligen Provinz der Staaten. Auch für Wien gilt die These, dass die Stadt und ihre Bevölkerung, und damit die Lebenskultur, mehr mit München, Paris oder Berlin verbindet, als mit Voitsberg, Perg oder St. Johann im Pongau. Die "Global City" und ihre Bewohner – jedenfalls jene mit Zukunftsperspektive – setzen sich heute schon über die nationalstaatlichen Rahmenbedingungen hinweg.
Das verändert auch genau das, was die FPÖ gerne als "unsere Kultur" bezeichnet: eine homogene Kultur, die vom Wiener Gürtel bis zum Großglockner eine Brücke schlägt, gibt es nicht. Die städtische Lebenswelt unterscheidet sich maßgeblich von der ländlichen. Meine Lebenswelt unterscheidet sich von der eines 32-Jährigen auf dem Land – sie wird von neuen Faktoren geprägt, folgt anderen sozialen Normen. Konsequent sieht auch meine Realität anders aus als die meines Pendants am Land. Unterschiedliche Weltbilder und letztlich konträre Wahlentscheidungen sind die Folge.
Eine wesentliche Aufgabe der heimischen Politik wird es sein, eine Brücke zwischen diesen beiden Lebenswelten zu schlagen, das Gemeinsame zu identifizieren. "Unser Österreich, unsere Leut', unsere Kultur" ist da ein bisschen zu wenig. Vehementer Patriotismus ist noch selten gut ausgegangen.
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