Fortsetzung: Vertrieben (16)
Die wahre Geschichte eines kleinen Mädchens
Autorin: U. Hillesheim ©
Es dämmert schon draußen. Jetzt wagen sich einige Leute ins Freie. Eins der Bernt-Mädchen schleicht weinend zu uns in den Keller. Soll sie mit den Soldaten ins Gebirge ziehen, um den Russen zu entgehen? Muttl kann keinen Rat geben. Leintücher werden im Dorf aus den Fenstern gehängt. Man will sich den Russen kampflos ergeben. „Hoffentlich werden die Panzersperren an den Straßen nach Römerstadt und Groß Stohl nicht verteidigt. Das gibt sonst ein Blutbad“. Da – ein Getöse, ein Schreien von draußen. Die Russen? Nein, es ist ein Trupp deutscher Soldaten, angeblich von der nazistischen Schörner-Armee. Die fahren die Leute an wegen der weißen Fahnen. Eine Schande sei das! Unwürdig! Verteidigen müsse man sich! Alle würden erschossen, wenn die Fahnen nicht sofort verschwinden. Was bleibt den Leuten anderes übrig? Aber als die Soldaten Richtung Gebirge abgezogen sind, werden die Leintücher sofort wieder ausgehängt.
Ein Höllenlärm draußen. Ganz nahes Geschützfeuer! Schießen und Krachen! „Muttl, Muttl, gelt, die Russen sind noch nicht in Mohrau“? Der kleine Viktor weint und zittert vor Angst. „Nein, nein, sicher noch nicht. Erst in Wildgrub oder Groß Stohl“, Muttl versucht, ihn zu beruhigen und ahnt doch, dass erste Panzerspitzen Nieder Mohrau bereits erreicht haben.
Wir sollen schlafen. Bei diesem Lärm? Bei dieser Angst? Muttl rückt zwei Stühle zusammen, das soll mein Bett sein. Sehnsüchtig sehe ich auf die Kohlenhalde an der anderen Kellerseite. Ich stelle mir vor, dass ich dort viel besser liegen könnte. Aber dann bin ich doch eingeschlafen. Und als ich aufwache, sagen Muttl und Roswitha: „Die Russen sind da“.
Es beginnt mit einem schönen, sonnigen Morgen, dieser 8. Mai 1945. „Ein Russe war schon hier auf dem Hof und er ist ganz nett gewesen“, sagt Roswitha zu uns. So wagen auch wir uns hinaus. Das Geschützfeuer hat weitgehend aufgehört und es ist ungewohnt still. Jemand kommt angerannt. „Waffenstillstand! Waffenstillstand! Der Krieg ist vorbei! Der Krieg ist zu Ende“! Die Nachricht ist im Rundfunk gekommen. Ach Gott, Dir sei Dank! Der Krieg ist zu Ende“! „Muttl, Muttl, jetzt kann uns doch nichts mehr passieren“? Muttl stimmt zu und wir sind unendlich erleichtert.
Wie täuschen wir uns! Zwar enden nun Bombenhagel und Kriegshandlungen. Doch von der Welt unbeachtet beginnen für uns im Osten jetzt erst Terror und Schrecken.
In der Ferne Gejohle, Geschrei. Russen kommen, in Gruppen oder allein. Sie wollen etwas von uns. Was wollen sie? „Uhri, Uhri, dawei, dawei“. Mit gezückter Pistole fordern sie Uhren. Nur ganz wenige Minuten lassen sie Zeit. Gefährlich wird es bei später kommenden Russen. Da sind die Uhren meist alle schon fort. Muttl hat sich mit ihrem Ehering helfen können, als sie im Häusl von einem Russen überrascht wird (Deshalb trug Muttl später keinen Ehering mehr).
Das war der Beginn eines unglaublichen Plünderns, gegen das man vollkommen machtlos war. Angeblich haben Russen den Frauen sogar Ohrringe einfach aus den Ohren heraus gerissen.
Fortsetzung folgt
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