41 Jahre Pfarrer Walter Reichel in Kottingbrunn:
"Ich segne alle, die das wollen"

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Ein sehr seltenes Jubiläum feierte der Kottingbrunner Pfarrer Walter Reichel fast unbemerkt während der Corona-Zeit. Seit 1. Jänner 1982 ist er hier Pfarrer, also 2022 seit 40 - und mittlerweile 41 - Jahren.

KOTTINGBRUNN. Wir führten mit ihm und seiner Haushälterin Annett Borisch ein Interview. Reichel: "Annett ist meine Haushälterin seit 39 Jahren, sie hat entscheidend zum Aufbau des Pfarrlebens hier beigetragen."

BEZIRKSBLÄTTER: Was ist denn das Geheimnis, das Sie so lange in Kottingbrunn hielt?
WALTER REICHEL: Bevor ich aus Ternitz hierher kam, gab es viele Pfarrerwechsel. Mich hat man sehr herzlich aufgenommen und so konnte ich eine Vertrauensbasis aufbauen, die sehr stabil ist. Annett hat mich sehr unterstützt.
ANNETT BORISCH (lacht): Ich bin mehr im Hintergrund...aber verläßlich.

Wie haben Sie denn diese ungewöhnliche Arbeit bekommen, Frau Borisch?
BORISCH: Wir haben uns vor 40 Jahren im Poly Kottingbrunn kennengelernt. Ich musste zusammen mit einem anderen Mädchen eine Malakofftorte machen. Das hat den Herrn Religionslehrer Walter Reichel beeindruckt und wir sind ins Plaudern gekommen.
REICHEL: Ich habe bemerkt, dass Annett auch ein grafisches Talent hat und gefragt, ob sie ab und zu ein Plakat für die Pfarre gestalten könne. Das hat sie gern gemacht und dann hab ich sie irgendwann gefragt, ob sie nicht nach der Schule bei mir Haushälterin werden möchte.
BORISCH: Ich habe ein Jahr lang über dieses Angebot nachgedacht und schließlich auf Empfehlung meiner Mutter angenommen.
REICHEL: Und bis heute mögen wir beide eigentlich gar keine Malakofftorten.

Herr Pfarrer, Sie haben in Kottingbrunn ein erfolgreiches Pfarrleben gestaltet, in einer für die katholische Kirche durchaus schwierigen Zeit. Und Sie haben nicht immer die offizielle Linie mitgemacht. Stichwort: Frauen in der Kirche...
REICHEL: In der Gesellschaft von Jesus haben sich immer viele Frauen befunden. Für mich gab es keine theologische Begründung, warum Frauen nicht auch Sakramente spenden oder predigen können sollen. Inzwischen ist es ja erlaubt, dass Frauen Glaubenszeugnisse ablegen können, das ist ein anderes Wort für Predigten. Und sie dürfen Wortgottesdienste ohne Eucharistie feiern. In Kottingbrunn ist das möglich.

Sind Sie nicht auf Widerstand in Ihrer Pfarre gestoßen?
REICHEL: Annett ist zum Beispiel nicht meiner Meinung. Aber Diskussion muss möglich sein. Der Ausschluss der Frauen ist in vielen Bereichen traditionell. So gibt es erst seit 1906 LehrerINNEN, die übrigens zölibatär leben mussten. Und die erste Ministerin war Grete Rehor von der ÖVP, 1966. Wie gesagt, in Kottingbrunn haben Frauen selbstverständlich die Möglichkeit, sich aktiv in die Gottesdienste einzubringen, sie auch zu führen. Ich halte zeitgleich Messen in der zweiten Pfarre Schönau und wenn es die Eucharistie erfordert, komme ich auch nach Kottingbrunn.

Sie haben, wie ich höre, auch eine tolerante Haltung in Fragen der Eheschließungen, etwa gleichgeschlechtliche Ehen oder Wiederverheiratung von Geschiedenen.
REICHEL: Ich spende allen den Segen, die ein Bedürfnis danach äußern.

In Ihren über 40 Jahren in Kottingbrunn: Wieviele Taufen, Begräbnisse oder Hochzeiten haben Sie gefeiert?
REICHEL: Ca. 1600 Taufen. Dazu muss man sagen, dass in Kottingbrunn noch viel mehr Kinder auf die Welt kamen. Heute sind etwa die Hälfte der Volksschulkinder im Ort gar nicht getauft. Ich habe ca. 1400 Begräbnisse gefeiert, die Zahl der Hochzeiten ist allerdings überschaubar.

Können Sie sich überhaupt vorstellen, eines Tages in Pension zu gehen? Sie sind 73...
REICHEL: Oh ja. Jede Veränderung ist auch die Chance auf etwas Neues. Wenn ich aufhöre, möchte ich in Kottingbrunn bleiben, aber mich in das Pfarrleben nicht mehr einmischen.

Sie waren auch lang Religionslehrer an den Kottingbrunner Schulen. Welche gesellschaftliche Veränderung haben Sie bemerkt?
REICHEL: Der Perfektionismus hat sehr zugenommen.

Und welche Antwort hat die Kirche auf den Perfektionismus?
REICHEL: Man muss zu seiner Unvollkommenheit stehen. Nobody is perfect, auch die Kirche nicht.
BORISCH (lacht): Ich bin perfekt, der Herr Pfarrer nicht. Sein Schreibtisch ist ein Chaos.

Zur Person Walter Reichel:
Walter Reichel ist 73 und seit 47 Jahren Priester. Nach Kottingbrunn kam er am 1. Jänner 2022, vor über 40 Jahren und ist damit wohl einer der sesshaftesten Pfarrer. In seiner Zeit wuchs das Pfarrleben beständig an. Privat ist Walter Reichel ein begeisterter Kartenspieler. Dem Schnapsen gilt seine ganze Leidenschaft. Auch eine Tarockrunde gab es früher in der Pfarre, die jedoch noch auf neue Interessenten und Wiederbelebung wartet. Als weiteres Hobby gibt Reichel "Lesen" und "historisches Interesse" an. Auf seinem Nachtkasterl liegt "meistens ein Krimi". Er ist regelmäßiger Leser der Zeitung "Chrismon plus", einer evangelischen Zeitung aus Deutschland.

Zur Person von Haushälterin Annett Borisch:
Annett Borisch ist seit 39 Jahren Haushälterin beim Pfarrer. Ihr erster Vertrag wurde unter der Bedingung abgeschlossen, dass sie zehn Jahre bleiben müsse. Nun wurden schon vier Jahrzehnte daraus. Sie hat übrigens das Pfarramt mit Tieren belebt. Seit drei Jahren kennt sich ihr Yorkshire Terrier "Callisto" in dem Pfarrhaus bestens aus. Die ganze Leidenschaft von Annett Borisch gehört zur Zeit der Kerzenmacherei. Die Kerzen tragen christliche Symbole für alle Feste und Lebensereignisse. So gibt es wunderschöne Osterkerzen, Taufkerzen oder Geburtstagskerzen etc. Beim Angreifen der Kerzen ist Borisch sehr genau: Das darf nur vorsichtig mit wenigen Fingern von oben geschehen. Die Kerzen sind auf den Pfarrmärkten in Kottingbrunn erhältlich.

Mehr über Yorkshire Terrier "Callisto"
"Callisto" heißt "Der Schönste" und trägt gleichzeitig auch den Namen eines Diakons, der später zum Papst gewählt wurde (Er hatte diese Funktion als Calixt I von 217 bis 222 inne, zeigte sich tolerant und starb möglicherweise als Märtyrer oder während eines Volksaufstandes)
Vor dem reinrassigen "Callisto" gab es schon zwei andere Yorkshire Terriers in der Pfarre: "Calimero" (4,5 Kilo, heißt auf griechisch "Guten Tag") und "Camillo" (6 Kilo, als "Don Camillo" der Widerpart von "Peppone"). "Camillo" war auch der Name eines Dackels, mit dem sich einst Pfarrer Walter Reichel anfreundete und schließlich grünes Licht für einen Hund im Pfarrheim gab. Annett Borisch lacht: "Callisto wiegt im Gegensatz zu seinen Vorgängern sehr wenig. Mit 2 Kilo er ist der leichteste von allen Yorkshire Terriers, aber dafür ist er jedenfalls dem Namen nach der schönste!"

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