Auf Großmutters Spuren
Vier Länder, vier Sprachen, ein Leben
Mit einer Biographie hat Autorin Helen Liesl Krag ihrer Großmutter ein berührendes Denkmal gesetzt.
BRIGITTENAU. Über das bewegte Leben ihrer Großmutter wusste Helen Liesl Krag lange nichts. "Erst bei ihrem 80. Geburtstag erfuhr ich, woher sie stammt und was sie auf ihrer dreifachen Flucht, die sie von Russland immer weiter nach Westen führte, erlebt hat", erzählt Krag. Das brachte sie auf die Idee, ein Buch über ihre Oma zu schreiben. Dieses veröffentlichte sie im Böhlau Verlag.
Das Vorhaben, mit der Großmutter Interviews zu führen und über sie zu schreiben, gestaltete sich für Helen Liesl Krag durchaus schwierig: "Zuerst wollte sie nicht über ihre Vergangenheit sprechen. Sie sagte, wir leben im Heute und müssen an die Zukunft denken." Erst nach und nach begann die über 80-Jährige zu erzählen. "Und das ganze Projekt wurde natürlich auch eine Suche nach meinen eigenen Wurzeln", erzählt Krag.
Ein bewegtes Leben
Das Buch beginnt im Jahr 1905 mit der ersten dramatischen Flucht des damals 17-jährigen jüdischen Mädchens nach Galizien. "Weißt du, wie wir aus Russland geflüchtet sind? Ein Bauer hat mich über die Schulter gelegt und so über den Fluss getragen", erinnerte sich die Großmutter. "Ich sag dir, man hat nicht gebraucht keine Reisegesellschaft." Dieser Satz wurde auch zum Buchtitel "Man hat nicht gebraucht keine Reisegesellschaft...".
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, floh Krags Oma nach Wien. Dort gründete sie eine Familie und hatte einen Schneidersalon am Wallensteinplatz. 1938 musste sie erneut fliehen – nach England. "Dreimal hat meine Oma ihre Heimat verlassen, um an neuen Orten mit neuen Sprachen wieder von vorne zu beginnen", so die Autorin.
Als Helen Liesl Krag in London erstmals aus dem fertigen Buch las, wollte ihre Oma zunächst nicht dabei sein. "Aber dann war sie begeistert und berührt, es war eine einzige Liebeserklärung von mir und den hunderten Gästen", erinnert sich Krag. "Ich glaube, sie hat erstmals bewusst ihr Leben Revue passieren lassen."
Heimat in Wien
Helen Liesl Krag lebte selbst bereits in verschiedenen Ländern. Die heute 76-Jährige kam während dem Zweiten Weltkrieg in England zur Welt. 1946 zog sie mit ihren Eltern nach Wien. "Mein Vater hatte hier Arbeit und eine Wohnung gefunden. Er wollte unbedingt nach Wien zurück", erzählt Helen Liesl Krag. Ende der 1960er-Jahre verlegte die Autorin ihren Lebensmittelpunkt nach Dänemark. Dort lebt sie noch heute – mit ihrem zweiten Ehemann, mit dem sie zwei Kinder hat.
Wo sich Helen Liesl Krag selbst zu Hause fühlt? "In Dänemark. Aber meine österreichische Staatsbürgerschaft, die ich aufgeben musste, als ich Dänin wurde, hätte ich gerne wieder." Dabei sei es mehr als bloß Sentimentalität. Immerhin leben und lebten viele ihrer Verwandte hier, vor allem in der Leopoldstadt und der Brigittenau. "Und ich genieße es jedes Mal, wenn ich nach Wien zurückkomme."
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