„Demokratie ist Geschenk Gottes" – Zeitzeuge erzählt vom zweiten Weltkrieg

ST. VALENTIN (bks). Die Nationalsozialisten bauten in St. Valentin das zweitgrößte Panzerwerk des Dritten Reiches: das Nibelungenwerk. Der Baubeginn erfolgte 1939. Aber: „Es wurde noch bis zum Schluss immer weiter gebaut. Es war gewaltig", erzählt Wilhelm Hochrather aus Kronstorf. Er ist einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen. 1942 begann er seine Ausbildung in der HTL Steyr. „Meine Praktika absolvierte ich im Nibelungenwerk", so Hochrather. Die Schule hat er jedoch nie beenden können. Denn: „Am 27. November 1944 habe ich einrücken müssen". Als HTL-Schüler hatte er den Vorteil, zwischen dem Einsatz in der SS und der Wehrmacht wählen zu dürfen.

„Beim Praktikum im Jahr 1944 war ich der 10.800ste Mitarbeiter im Ni-Werk." Der Kronstorfer war im Konstruktionsbüro als technischer Zeichner tätig. „Wir haben 60 Stunden in der Woche gearbeitet. Ohne Lohn." Adolf Hitler betraute unter anderem Ferdinand Porsche mit der Panzerkonstruktion. „Einmal hat mir Porsche auf die Schulter geklopft und gemeint ‘Das hast du gut gemacht'", erzählt Hochrather von seiner Begegnung mit dem Gründer von Volkswagen.

Auslieferung bis zum Schluss

Hochrather war unter anderem für die Konstruktion einer Batterieheizung für den „Panzer IV" zuständig. „Die Panzer waren in Russland im Einsatz und somit extremer Kälte ausgesetzt." Außerdem entwarf er eine spezielle Luke. Der herkömmliche Klappdeckel führte zu Querschlägern. Beispielsweise von Granatensplittern. „Deshalb konstruierte ich einen Drehdeckel. Damit die Soldaten nicht verletzt wurden", sagt der 90-Jährige. „Im Jahr 1944 wurde im Nibelungenwerk ein 100-Tonnen-Laufkran gebaut", sagt Hochrather weiter. Dieser wurde für das sogenannte „Tigergeschütz" benötigt. „Es wog 90.000 Kilo." Zum Schluss hatte man jedoch mit Materialknappheit zu kämpfen. „Trotzdem wurden im April 1945 noch 65 Panzer ausgeliefert." Das Gelände und die großen Hallen wurden im Laufe des Krieges mehrmals durch Luftangriffe beschädigt. Vier davon hat Hochrather miterlebt. „Neben den Trümmerhaufen ist einfach weiterproduziert worden." Einer der Angriffe lässt den 90-Jährigen bis heute nicht los: „Eine Bombe ist in eine Halle eingeschlagen und in der Decke stecken geblieben. Es war ein Blindgänger. Ich sehe es noch heute vor mir." Besonders belastend sei die Tatsache, dass er heute mit niemandem mehr über die Geschehnisse sprechen kann.

Mehrheitlich Zwangsarbeiter

Im Nibelungenwerk arbeiteten zum Großteil Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. „Die Zusammenarbeit funktionierte gut. Es war eher nüchtern zwischen uns", sagt Hochrather. Auch KZ-Häftlinge wurden im Nibelungenwerk eingesetzt (Siehe Seite 2 unten). Mit ihnen hatte Hochrather jedoch keinen Kontakt. Den jüngeren Generationen möchte er Einiges mit auf den Weg geben: „Die Dekomkratie ist ein Geschenk Gottes! Niemand will eine Diktatur erleben." Er selbst gehe noch immer zu jeder Wahl und zu jedem Volksbegehren.

Einsatz von KZ-Häftlingen im Nibelungenwerk

Das dunkelste Kapitel des Nibelungenwerks ist mit Sicherheit der Einsatz von Häftlingen aus dem ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen. Aufgrund des Abeitskräftemangels wurde im August 1944 ein KZ-Außenlager errichtet. Wie auch im KZ Mauthausen lebten die Häftlinge in einfachen Holzbaracken. Durchschnittlich waren dort ungefähr 1200 Männer untergebracht.

Am 4. Mai 2018, ab 17 Uhr, findet am Anna-Strasser-Platz in St. Valentin eine Gedenkfeier anlässlich des Jahrestages der Befreiung statt. „Wir müssen als Stadt mit dieser Geschichte leben, und dürfen sie nicht in Vergessenheit geraten lassen", so Bürgermeisterin Kerstin Suchan-Mayr. Es sei ihr wichtig, aus der Geschichte zu lernen. Dazu sei eine Bewusstseinskultur notwendig „Auch die Schulen werden in die jährliche Gedenkfeier eingebunden", so Suchan-Mayr. Außerdem stehe die Ortschefin in Kontakt mit den Bürgermeistern von Mauthausen und St. Georgen an der Gusen. Diese Gemeinden sind Mitglieder der „Bewusstseinsregion". „Ich kann mir diesbezüglich eine engere Zusammenarbeit vorstellen", sagt Suchan-Mayr. Denn: „Es ist nicht selbstverständlich, dass man selber entscheiden kann." Für seine Enkel und Urenkel wünsche er sich, dass der Frieden in Europa bewahrt bleibt.

Über das Nibelungenwerk

• Das Vorhaben der Nationalsozialisten, ein Panzermontagewerk zu errichten, trug den Decknamen „Spielwarenfabrik".
• Das höhergestellte Personal wohnte in großen, extra errichteten Werksiedlungen, während die Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in Lagern untergebracht wurden.
• Die Muttergesellschaft war die Steyr-Daimler Puch AG
• Insgesamt wurden ungefähr 4.350 Panzer hergestellt.
• Das KZ-Außenlager bestand von August 1944 bis April 1945.
• Adolf Hitler selbst besuchte die Panzerfabrik in den Jahren 1942 und 1943
• Heute befindet sich auf dem Areal die Firma CNH Industrial Österreich

Nähere Informationen über das Panzermontagewerk bietet das Buch „Das Nibelungenwerk. OKH Spielwaren: Die Panzerfabrik in St. Valentin" von Michael Winninger.

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Foto: Cityfoto
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