50 Jahre Anwerbeabkommen
Am 15. Mai 1964 wurde zwischen der Türkei und Österreich das Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte unterzeichnet. Alleinstehende „Gastarbeiter“ wurden angeworben, Familien sind gekommen und geblieben. Eine Spurensuche in Mötz.
Das alte Bauernhaus in der Lente 58 in Mötz hat österreichische Gastarbeitergeschichte geschrieben. Erst im Sommer des Vorjahres zog das letzte türkische Rentner-Ehepaar mit dem jüngsten Sohn aus dem wurmstichigen Bauernhaus aus, das einst als „Familienhaus“ für bis zu sechs kinderreichen, türkische Gastarbeiterfamilien der Seidenfabrik Silz gedient hatte. Die Rentner übersiedelten mit sehr, sehr schwerem Herzen und auch nur ein paar Häuser weiter, hatten sie hier doch ihre sechs Kinder aufgezogen. Bis vor drei Jahren lebte auch noch die Schwiegertochter mit den drei Enkeltöchtern in ihrem Haushalt,bevor sie nach Telfs zogen. Die vorletzte Familie ging nur wenige Monate zuvor ebenfalls nach Telfs, und später in die Türkei zurück.
Vor dem Abkommen
Ende 1963 hatte auch die Seidenfabrik Silz erste 10 „Automatenweber“ aus der Türkei angeworben. Im Archiv der Wirtschaftskammer Wien gibt es auf Mikrofilmen Kopien des ersten Ansuchens und des Briefverkehrs mit dem Unternehmen, in denen die Voraussetzungen für diese Gastarbeiter nachzulesen sind: „Wir suchen „Seidenweber“ also Männer, die mit den haarfeinen Garnarten bereits umzugehen verstehen… das Feingefühl der Hände muss erhalten sein, sie dürfen nicht durch ausgesprochen grobe Arbeit verdorben sein, denn da hilft keine Schulung. … notwendig ist für uns… eine gute Sehschärfe und überhaupt gesunden Augen, wegen der Arbeit bei künstlicher Beleuchtung“. Besondere Eigenart der Arbeit: „Der Einsatz soll vorwiegen in Nachschicht erfolgen.“ Gewohnt wurde in „enger Wohngemeinschaft“. Geplant war der Einsatz im Jahr der 1. Innsbrucker Olympiade vom 1. Jänner bis zum 31. Dezember 1964, „Verlängerung beabsichtigt“. Die Anwerbung erfolgte also noch bevor das offizielle Anwerbeabkommen am 15. Mai 1064 in Kraft trat.
Familien folgten
Dann kamen zuerst 10 namentlich genannte „Gastarbeiter“ nach Silz, und später folgten neben alleinstehenden Webern auch Familien, die unter anderem im Mötzer „Familienhaus“ in wahrhaft „enger Wohngemeinschaft“ lebten. Mit dem endgültigen Aus der Textilindustrie von Silz waren auch die Arbeitsplätze der türkischen „Gastarbeiter“ weg. Manche von ihnen blieben in der Pension hier, wie das Mötzer Paar.
Vom Schwarzen Meer nach Mötz
Opa Veziroglu erzählte seinen Enkelinnen oft, wie laut und anstrengend die Arbeit in der berühmten „fensterlosen“ Fabrikshalle in der Silzer Fabrikstraße war. Heute genießt er den Ruhestand mit dicker Brille und ermatteten Ohren in Mötz an der Seite seiner Frau als überglücklicher "Hühnerbauer". Zu gerne würde er auch ein paar Schafe halten, sein Gemüsegarten ist Legende und war sien Ausgleich zum tristen Fabriksalltag. Die Kinder und Enkel aus dem Mötzer "Familienhaus" sind inzwischen längst Österreicher geworden sind, und wohnen zum Teil in Telfs und den umliegenden Dörfern, aber auch in Graz, Wien oder München. Ja, Arbeitskräfte wurden angeworben und Menschen sind gekommen.
Aufruf:
Wer hat Informationen über ehemalige "Gastarbeiter" aus der Region, ihre ersten Wohnungen und Wohnhäuser, Familiengeschichten und Dokumente? Für meine Dissertation wäre ich für jeden Hinweis dankbar: Mag. Monika Himsl, Krebsbach 375, 6414 Mieming. 05264 6339, monikahimsl@bilila.at.
1 Kommentar
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.