Mehrstufenklasse: Eltern stürmen Schulen
Großer Andrang auf neuen Pädagogik-Versuch in Wien – lange Wartelisten für Kinder – Lehrer befürchten jetzt Schultourismus
Seit einigen Jahren gibt es Mehrstufenklassen als Schulversuch in Wien. Die Nachfrage ist enorm, das Angebot streng reglementiert. Lange Wartelisten sind die Folge.
Lange verpönt, erfreut sich das Konzept von Mehrstufenklassen immer größerer Beliebtheit. Schüler verschiedener Alters- und Schulstufen lernen dabei in einem gemeinsamen Klassenverband. „Durch ein individualisiertes Angebot kann jedes Kind optimal gefördert werden“, erklärt Regina Grubich-Müller vom Wiener Stadtschulrat das Ziel dieses Schulversuchs.
Beschränktes Angebot
Im heurigen Schuljahr bieten Wiener Volksschulen schon insgesamt 104 solcher Klassen mit reformpädagogischen Schwerpunkt an. In diesen Klassen werden zurzeit 2.089 Schüler unterrichtet. Auch im Bereich der Mittelschule erfreut sich der Schulversuch zunehmender Beliebtheit. Eine besondere Einrichtung sind dabei die Schulgemeinschaften zwischen Volksschulen und Kooperativen Mittelschulen. Dort können die Schüler im Rahmen desselben Schulverbands ihre Schullaufbahn von der ersten Klasse Volksschule an bis zur achten Schulstufe durchlaufen.
Da es sich bei den Mehrstufenklassen aber um einen Schulversuch handelt, ist das Angebot beschränkt. „Im Gesetz ist eine Grenze von 10 Prozent verankert, die darf nicht überschritten werden“, erklärt Grubich-Müller. Außerdem ist das Angebot durch die Lehreranzahl beschränkt. „Mehrstufenklassen benötigen mehr Lehrpersonal“, argumentiert Grubich. Daher könne man Mehrstufenklassen nicht unbeschränkt ausweiten. In einem bestimmten Schlüssel stellt das Bundesministerium für Unterricht und Kultur ein Kontingent an Lehrkräften zur Verfügung, das dann vom Stadtschulrat verteilt wird. „Auf die Gesamtzahl von Lehrkräften haben wir keinen direkten Einfluss“, so Grubich-Müller.
Schul-Tourismus
Diese Beschränkungen haben in Wien zu einem regelrechten Schultourismus der Eltern geführt. Die Wartezeiten an den Schulen ist enorm: In der Volksschule Rötzergasse im 17. Bezirk gibt es pro Schuljahr fünf Plätze, in der Schulgemeinschaft Pfeilgasse in der Josefstadt können pro Schuljahr etwa acht Kinder aufgenommen werden. „Wir haben aber jährlich Anfragen für etwa vierzig Schüler“, erklärt Andrea Riess, Direktorin der Volksschule in der Schulgemeinschaft Pfeilgasse. „Besonders Eltern, die Wert auf die Ausbildung ihrer Kinder legen, suchen gezielt an mehreren Schulen einen Platz in Mehrstufenklassen“, erklärt Direktorin Riess.
Damit ergibt sich jedoch ein Problem bei der sozialen Zusammensetzung der Schulklassen: „Wir achten auf soziale Ausgewogenheit der Schulklassen. Eltern aus bildungsfernen Schichten scheuen aber weiterhin davor zurück, ihre Kinder in solche Klassen zu geben.“
Im Stadtschulrat beruhigt man: „Wir werden die notwendigen Lehrkräfte zur Verfügung stellen“, erklärt Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl.
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