Misstrauensantrag und Co.
Turbulente Jahre im Ausweichquartier des Parlaments
Am 22. Dezember 2022 tagte das Parlament zum letzten Mal in der Hofburg – denn ab 12. Jänner wird das Parlamentsgebäude am Wiener Ring wieder eröffnet. Mehr als fünf Jahre tagte das Parlament während des Umbaus im Ausweichquartier. Geprägt von ersten Malen, Rekorden und Ausnahmen blickt man auf turbulente Jahre zurück.
ÖSTERREICH/WIEN. Als am 20. September 2017 die erste Nationalratssitzung im Ausweichquartier der Hofburg stattfand, war noch nicht absehbar, dass die dortigen kommenden fünf Jahre auch parlamentarisch von Ausnahmen, Rekorden und ersten Malen geprägt sein würden.
Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik wurde beispielsweise ein Misstrauensantrag gegen die gesamte Bundesregierung gestellt und angenommen. Nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos brachte die SPÖ in der Nationalratssitzung am 27. Mai 2019 den Antrag ein, dem sich FPÖ und JETZT anschlossen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte somit den Auftrag, die Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz des Amtes zu entheben.
Erste Frau im Amt der Bundeskanzlerin
In der Folge kam es gleich zu einer weiteren Premiere: Als erste Frau gab Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein am 12. Juni 2019 anlässlich ihres Amtsantritts eine Regierungserklärung im Nationalrat ab - im Ersatzplenarsaal in der Hofburg.
Für viel Außergewöhnliches sorgte ab März 2020 außerdem die Corona-Pandemie: Am Sonntag, dem 15. März 2020, fanden erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik Sitzungen beider Kammern am selben Wochenende statt. An diesem Wochenende gab es insgesamt vier Plenarsitzungen, um ein erstes umfassendes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Coronavirus zu beschließen.
Coronabedingte Änderungen und Rekorde
In den folgenden Monaten war das Ausweichquartier des Parlaments in der Hofburg Schauplatz einzigartiger Szenen: Der Nationalrat tagte teilweise in reduzierter Zusammensetzung. Gelockerte Sitzordnungen, Minimierte Aufenthaltsdauern und Plexiglastrennwände sollten die Abgeordneten vor der Ansteckung schützen.
Ebenfalls der Pandemie geschuldet waren einige parlamentarische Rekorde: Denn im Jahr 2020 gab es 68 Plenarsitzungen des Nationalrats - die bisher meisten Sitzungen in einem Kalenderjahr. 2021 wurden die meisten Gesetzesbeschlüsse in einem Kalenderjahr gefasst: 223. Auch der Bundesrat kam außergewöhnlich viel zusammen: Es gab fünf Sondersitzungen in einem Kalenderjahr.
Fünf Untersuchungsausschüsse, 179 Sitzungen
287 Plenarsitzungen des Nationalrats und 78 Bundesratssitzungen gab es in der Zeit im Ausweichquartier des Parlaments. Die Nationalratssitzungen dauerten insgesamt 1.480 Stunden und 35 Minuten, jene des Bundesrats 650 Stunden und 43 Minuten. Die Ausschüsse des Nationalrats kamen zu insgesamt 1.225, jene des Bundesrats zu 599 Sitzungen zusammen. Und auch zahlreiche Gesetzesanträge wurden in dieser Zeit eingebracht: 983 Gesetzesanträge und 3.167 Entschließungsanträge gab es insgesamt. Gesetzesbeschlüsse gab es insgesamt 842.
Und auch das Wort Untersuchungsausschuss bedarf mittlerweile keiner Erklärung mehr: Davon gab es insgesamt fünf, deren insgesamt 179 Sitzungen knapp 1.367 Stunden dauerten.
Premiere für 59 Prozent der Politiker
Die Nationalratsabgeordneten stellten 43 Dringliche Anfragen und 27 Dringliche Anträge in Plenarsitzungen. Im Bundesrat gab es 36 Dringliche Anfragen. Im Nationalrat fanden zudem 55 Kurze Debatten statt, im Bundesrat waren es drei. Schriftliche Anfragen an Mitglieder der Regierung und andere Organe gab es 17.873 im Nationalrat und 812 im Bundesrat. Auch hier wurde ein Rekord verzeichnet: 2021 gab es mit 4.467 die bisher meisten schriftlichen Anfragen an Regierungsmitglieder im Nationalrat.
Während der fünf Jahre im Ausweichquartier fanden übrigens auch zwei Nationalratswahlen statt. Auch die Mitglieder des Bundesrats wechselten nach zahlreichen Landtagswahlen. Wenn der parlamentarische Betrieb im sanierten Parlamentsgebäude also Mitte Jänner startet, wird das Haus daher für einen Großteil der Parlamentarierinnen und Parlamentarier ein gänzlich neuer Arbeitsplatz sein. Nur 75 der 183 Nationalratsabgeordneten und nur 13 der 61 Bundesratsmitglieder arbeiteten vor der Sanierung bereits im Hohen Haus an der Wiener Ringstraße. Für 59 Prozent der Politikerinnen und Politiker im Nationalrat und für 79 Prozent im Bundesrat ist es eine persönliche Premiere.
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