HAITI 4 Jahre danach!

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Vor vier Jahren verwüstete ein Jahrhundert-Erdbeben Haiti. Als Helfer stellten sich die SOS-Kinderdörfer dem Chaos. Journalist Uwe-Jens Schumann ging auf die Suche nach dem Glück im Unglück.

Um dem röchelnden Verkehr zu entkommen fahren wir durch kratergroße Schlaglöcher in den Seitengassen Richtung SOS-Kinderdorf Santo. Die 194 Kinder, die hier oft nach unvorstellbar Erlebtem noch und wieder Kinder sein dürfen, haben dort Fürsorge und Beachtung und Familie, ihr Geländer für ein Leben, finden können. Und zu leben, zu überleben, das ist die größte Begabung, die auch von den Jüngsten heute in Haiti abverlangt wird.

Helfen ist mehr als Trauern
Schon in den ersten Schreckenstagen nach der Panik des 12. Januar 2010 wurde das kaum beschädigte, seit 27 Jahren existierende und neun Hektar große Kinderdorf Santo zum Hort vieler Hilfloser. Fast 500 entwurzelte Kinder – nicht wenige durch die tödlichen Schläge des Erdbebens zu Waisen geworden – führte ihr plötzliches Balancieren am Abgrund schließlich ins Dorf, das weit über seine Grenzen ging, um den verwüsteten kleinen Seelen seine Tore offenzuhalten. Der Aufstieg begann am Boden. Helfen ist noch mehr als Trauer, sagten sich die Spender und Paten der internationalen SOS-Gemeinschaft – und ihr nachhaltiges Sorgen, ihr Einsatz schaffte das Aufbrechen zu Neuem. Und das weiß Gott nicht nur innerhalb des überfüllten, behüteten Dorfes. Nach fieberhaften Recherchen konnten für viele der in Obhut genommenen Kinder Verwandte gefunden werden, die überlebt hatten. Täglich – und bis in die heutigen Tage – wurden und werden außerhalb des SOS-Kinderdorfes von den nicht nachlassend einsatzbereiten Mitarbeitern in Hunderten von Gemeindezentren bis zu 24.000 warme Mahlzeiten an hungrige Kinder ausgegeben.

Optimismus im Elend?
Im ersten Licht des neuen, noch nicht dampfenden Tages jagen die großen Jungen aus dem nahen Brückenviertel auf dem Kinderdorf-Sportplatz geschmeidig hinter einem Fußball her, die Basketballer haben vor der Hermann-Gmeiner-Schule bereits ihre Trikots durchgeschwitzt. Nach sieben Uhr in der Früh nehmen 1.200 Schüler aus der Umgebung in den Klassen Platz. Ein wuselnd farbiges Bild, in ihren Schuluniformen mit den sanften Rottönen tragen sie stolz den Code der Dazugehörigkeit. Jeannot, Mariluise, Louis-Patrick, alle 15, die wir auf dem Pausenhof der gerade eröffneten Kinderdorf-Schule auf dem SOS-Terrain antreffen, brauchen keine Bedenkzeit, um ihre Berufswünsche hinaus zu posaunen: "Lehrer!", "Krankenschwester!", "Fußballer ... wie Messi ... und Swisteiger!" Diesen Optimismus nach all den verstörenden Erlebnissen können die 279.000 Menschen, die downtown Port-au-Prince immer noch in mehr als 350 Camps ausharren müssen, nicht teilen. Inzwischen haben die beiden Hurrikane Isaac und Sandy 220 neue Opfer gekostet, die halbe Ernte Haitis ist wieder einmal zerstört.
"Kein Kind darf verloren gehen!"

Das SOS-Kinderdorf in Santo hat sich ein starkes Motto gegeben: "Kein Kind darf verloren gehen", sagt SOS-Haiti-Direktor Mario Brusa im Namen der 20 großartigen Dorfmütter, und fügt gleich hinzu: "... auch wenn es leider nicht immer nur in unserer Macht steht."

Joelle war kaum älter als drei Monate, als Goudougougou über Port-au-Prince und die Provinz hereinbrach. Ihre Eltern kamen genau wie sie mit dem Leben davon, nur die Hütte der Kleinfamilie am Rande der Cité Soleil wurde völlig zerlegt. Dennoch ist Joelle seit fast drei Jahren im Haus Nr. 14 des SOS-Kinderdorfes Santo untergebracht. Nach dem tiefen Schock, den das Beben auslöste, vermochten Joelles Eltern ihre eigenen Seelen nicht mehr zu reparieren. Bevor sich ihre Panik und ihr Elend noch mehr addieren konnten, gaben sie ihr Baby lieber in die SOS-Obhut, trennten sich dann. Das Kind weggeben. Schwer nachzuvollziehen so ein Schritt?

Es gibt keinen gerechten Maßstab für Menschen, die derart hart in ihrer Wirklichkeit aufschlagen. Joelles Kinderdorf-Mutter Roselyne sagt unter einem Lächeln, das beim Gegenüber bis zum Herzen reicht: "Wir mussten erst verstehen lernen, dass sich in Haiti nicht alle Menschen eine bessere Vision von ihrem Leben leisten können."

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Mehr Informationen unter:
http://www.sos-kinderdorf.at/nachhaltig-helfen

SOS-Hilfe in einem der ärmsten Länder der Welt

Fakten SOS-Kinderdorf-Hilfe in Haiti

Auf Haiti, dem westlichen Teil des karibischen Inselstaats Hispaniola, leben ca. 10.316 Millionen EinwohnerInnen, das entspricht ca. 370 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer (2013)
- 80 % leben von weniger als 2 US$
80% Prozent der Menschen in Haiti müssen von weniger als 2 US Dollar pro Tag leben, 50% der Menschen von weniger als 1 US Dollar. Haiti ist das ärmste Land der westlichen Hemisphäre.
- 48% AnalphabetInnen
Die Alphabetisierungsrate der Erwachsenen über 15 Jahre beträgt 48%. (2013)
- 120.000 HIV-Infizierte
Mehr als 120.000 Erwachsene auf Haiti sind mit HIV/AIDS infiziert. Das entspricht 1,9% der Bevölkerung (2009, seit dem Erdbeben 2010 gibt es keine verlässlichen Zahlen mehr.)
- 40,6% Arbeitslosigkeit
40,6% der Menschen im erwerbsfähigen Alter haben keine oder keine regelmäßige Arbeit, mehr als 2/3 der erwerbsfähigen Bevölkerung hat nur unregelmäßig Arbeit.
- 500.000 Kinder ohne Schulbildung
In Haiti konnten schon vor dem Erdbeben 2010 500.000 Kinder nicht zur Schule gehen.
- 220.000 Tote durch Erdbeben
Durch das Erdbeben starben laut offiziellen Hochrechnungen mehr als 220.000 Menschen
- 8.300 Tote durch Cholera
Nach dem Erdbeben brach eine Cholera-Epidemie aus, mehr als 8.300 Menschen starben, mehr als 650.000 Menschen haben sich bislang infiziert, immer noch treten neue Fälle auf.
- 80% aller Schulen zerstört
Das verheerende Erbeben machte in Port-au-Prince und der umliegenden Region 80% aller Schulen dem Erdboden gleich.
- 279.000 Obdachlose
Seit dem Erdbeben sind immer noch ca. 279.000 Menschen obdachlos und leben in 372 Lagern.
- 40.000 Menschen in SOS-Soforthilfe
Die SOS-Soforthilfe startete unmittelbar nach dem Erdbeben. 40.000 Menschen, darunter mehr als 25.700 Kinder wurden von SOS mit Nahrung, Wasser und Medikamenten versorgt.
- 500 Kinder sofort aufgenommen
In der ersten Woche nach dem Erdbeben konnten 500 Kinder in den SOS-Kinderdörfern sofort aufgenommen werden. Viele konnten später mit ihren Familien zusammengeführt werden, Kinder ohne auffindbare Angehörige wurden langfristig untergebracht.
- 24.000x Essen am Tag
Im ersten Jahr nach dem Erdbeben wurden 24.000 Kinder von SOS-MitarbeiterInnen täglich in und rund um Port-au-Prince mit Lebensmitteln versorgt. Kleinlaster belieferten 11 Essensausgabestellen in Notlagern und Armenvierteln. Auch heute noch wird an mehr als 4.000 bedürftige Kinder täglich eine warme Mahlzeit verteilt.
- 10.805 Kinder und Jugendliche in SOS-Betreuung
Für die Betreuung von 10.805 Kindern und Jugendlichen gibt es auf Haiti 23 Angebote von SOS-Kinderdorf.
- 509 Kinder in SOS-Kinderdorf-Familien
509 Kinder leben momentan in 49 SOS-Kinderdorf-Familien. Es gibt auf Haiti 3 SOS-Kinderdörfer, ein viertes wird voraussichtlich im Juni 2014 fertig sein.
- 2.200 Kinder und Jugendliche in SOS-Schulen
In den 3 Hermann-Gmeiner-Schulen in Santo und Cap Haitien gehen insgesamt 2.200 Kinder und Jugendliche zur Schule. 2014 werden zwei weitere Schulen fertig gestellt.
- 500 Lehrlinge in SOS-Ausbildung
In den Lehrwerkstätten des SOS-Berufsbildungszentrums Haiti erlernen bis zu 500 Jugendliche verschiedene Berufe. Vor allem handwerkliche Berufe stehen zur Auswahl.

Mehr Informationen unter:
SOS-Kinderdorf Österreich http://www.sos-kinderdorf.at
SOS-Kinderdorf International http://www.sos-childrensvillages.org
SOS-Emergency Programme Haiti –3rd Quarter 2013 Update Report
International Monetary Fund http://www.imf.org/external/data.htm
CIA World Fact Book https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ha.html
United Nations Development Programme http://www.undp.org/content/undp/en/home.html
Auswärtiges Amt Deutschland http://www.auswaertiges-amt.de/sid_DFB4113A9966E55203EE7FA7017110BA/DE/Startseite_node.html

HAITI (human touch story)

"Viele Länder sind Haiti nach dem Erdbeben finanziell zu Hilfe gekommen", erklärt SOS-Mama Angeline lächelnd. "Wir geben unsere Herzen".
Als Soforthilfemaßnahme nach dem Erdbeben hat SOS-Kinderdorf Haiti sofort hunderte Kinder in vorübergehenden Notunterkünften untergebracht. Die meisten konnten wieder zu ihren Eltern oder Verwandten zurückkehren. Von mehreren hundert sind nach vier Jahren nur noch 113 Kinder übrig, die als Waisen in SOS-Kinderdorf Familien leben – zuerst waren sie in Zelten im SOS-Kinderdorf Santo untergebracht, derzeit in Mietwohnungen in der Umgebung von Santo, in Port-au-Prince. Noch in diesem Jahr werden sie ihr neues, dauerhaftes Zuhause beziehen, schöne neue Häuser, die in den haitianischen SOS-Kinderdörfern gebaut wurden, die meisten im neu errichten SOS-Kinderdorf in Les Cayes, 200 km westlich von Port-au-Prince.
Auf die Frage an Weslene, die das SOS-Nothilfeprogramm in Haiti leitet, ob es nicht unheimlich schwer für Kinder sei, unter solch tragischen Umständen plötzlich eine "neue Familie" zu haben", bestätigt sie dies und betont, dass SOS genau aus diesem Grund Sozialarbeiter und speziell ausgebildete Mitarbeiter für diese Aufgabe bereitstellt, um den Kindern in dieser schwierigen Situation begleitend zur Seite zu stehen.
Unsere Aufgabe ist es, die Situation für die Kinder zu verbessern
Adef und Angeline sind zwei Frauen, die sich dieser herausfordernden Aufgabe "als SOS-Tanten" stellten – und die in dieser Funktion schon viele Rollen ausgeübt haben: "Wir sind Lehrer, Mütter, wir waschen, wir kochen", erklärt Angeline. "Wenn die Kinder krank sind, kümmern wir uns um sie. Wir sind all das für die Kinder. Unsere Aufgabe ist es, die Situation für die Kinder zu verbessern."
In den letzten drei Jahren gab es einige Schwierigkeiten. Einer der härtesten Momente für Adef war, als eines der Kinder nach einer langen schweren Krankheit verstorben ist. Das Kind, sagt Adef leise, hat sie sehr geliebt. Angeline erinnert sich an die andauernden Schwierigkeiten mit einem der Buben, der durch das Erdbeben schwer traumatisiert war und oft "ausgerastet" ist. Obwohl der Bub manchmal immer noch Ärger macht, hat es sich die Situation schon sehr gebessert.

Du musst deine Zuneigung zeigen
"Zeit ist der beste Lehrer", sagte Angeline. "Wenn du Zeit mit den Kindern verbringst, wird alles besser." "Du musst deine Zuneigung wirklich zeigen.", ergänzt Adef. "Ich war nie zuvor eine Mutter, aber nun sehen mich die Kinder als ihre Mutter", meint Angeline stolz. "Jetzt haben sie eine Mama bei der sie schlafen können."
Beide, Angeline und Adef, starteten kurz nach dem Beben, als die Kinder und Tanten in Zelten auf dem Fußballplatz des SOS-Kinderdorfs Santo leben mussten. Die Bedingungen in den ersten Tagen waren hart. Viele SOS-Tanten verließen SOS-Kinderdorf zu dieser Zeit. Aber Adef und Angeline sind geblieben. "Es war die Hilfe, die wir geben konnten", erinnert sich Angeline, die Lehrerin war, bevor sie sich dazu entschloss als SOS-Tante zu arbeiten. "Unsere Arbeit kommt von Herzen" sagt Adef. "Viele Länder sind Haiti nach dem Erdbeben finanziell zu Hilfe gekommen", erklärt Angeline lächelnd. "Wir geben unsere Herzen".

HAITI heute

Neubau von zwei SOS-Hermann-Gmeiner-Schulen, Wiederaufbau von vier zerstörten staatlichen Schulen, Bildungsprogramme für Lehrer und Eltern als nachhaltiger Beitrag von SOS-Kinderdorf.
Bereits vor dem verheerenden Beben war das Schul- und Bildungssystem für den Großteil der mehr als 10 Millionen Menschen auf Haiti völlig unzureichend. Nur ein sehr kleiner Teil hatte Zugang zu einigen wenigen, teuren Privatschulen. Der großen Mehrheit stand ein schlecht ausgestattetes staatliches System zur Verfügung. Und diese Bildungsmisere hat sich durch die Katastrophe dramatisch verschärft - rund 80 Prozent der Schulen in Port-au-Prince wurden durch das Erdbeben beschädigt oder zerstört.
SOS-Hermann-Gmeiner-Schule für 490 Schüler
Das stabil gebaute SOS-Kinderdorf hatte das Beben vor vier Jahren fast unbeschadet überstanden. Viele Kinder wurden zusätzlich aufgenommen, auch die angeschlossene SOS-Hermann-Gmeiner-Schule öffnete ihre Türen für zusätzliche 490 Schüler, deren Schulen zerstört worden waren. Die ersten Stunden für sie wurden teilweise noch in Zelten gehalten, inzwischen werden durch 14 weitere Klassenräume in der Schule insgesamt 1.330 Schüler unterrichtet.
2013 hat SOS-Kinderdorf zwei neue SOS-Hermann-Gmeiner-Schulen in Santo und Les Cayes eröffnet und vier durch das Beben stark beschädigte Gemeindeschulen renoviert bzw. wieder aufgebaut. Schulgebäude alleine machen aber noch keinen guten Unterricht aus. Deshalb hat SOS-Kinderdorf in Kooperation mit der Universität von Quisqueya und der staatlichen Unterrichtsbehörde haitianische LehrerInnen geschult und weitergebildet.
Als jüngstes Bildungsprojekt von SOS-Kinderdorf auf Haiti wurde pünktlich zum Schulbeginn Ende Oktober 2013 die neue SOS-Schule in Les Cayes eröffnet. 420 Schülerinnen und Schüler haben damit Zugang zu einer fundierten schulischen Ausbildung, darunter auch die 140 Kinder aus dem neuen SOS-Kinderdorf in Les Cayes, das – wenn alles nach Plan läuft - Mitte 2014 als viertes SOS-Kinderdorf Haitis eröffnet wird.
"Wer als Kind keine Schule besuchen kann, wird als Erwachsener keine gerechten Chancen haben."
Dieser Leitsatz stand schon in den ersten "Grundsätzen" des SOS-Kinderdorf-Gründers Hermann Gmeiner zu lesen. Was für alle über 500 SOS-Kinderdörfer weltweit zutrifft, hat genauso für die "SOS-Villages" in Haiti Geltung. Und damit sich viele Kinder auch außerhalb der "Dörfer" eine gute Chance erarbeiten können, sind die Tore der künftig vier SOS-Kinderdörfer in Haiti denjenigen weit geöffnet, die für ihr junges Leben ebenfalls Gerechtigkeit und das Recht auf Bildung erfahren müssen.

Der Wiederaufbau nach schweren Naturkatastrophen dauert Jahre. Bitte helfen Sie uns helfen – Spenden Sie für unsere Nothilfeprogramme.

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