Tag der Gesundheit
Mangelversorgung in der Kinder-und Jugendmedizin

Christoph Schneidergruber, der fachliche Leiter der Ambulatorien von SOS-Kinderdorf Kärnten | Foto: SOS-Kinderdorf
  • Christoph Schneidergruber, der fachliche Leiter der Ambulatorien von SOS-Kinderdorf Kärnten
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Heute, am Tag der Gesundheit, möchte das SOS Kinderdorf auf die Mangelversorgung in der Kinder- und Jugendmedizin aufmerksam machen. Christoph Schneidergruber, der fachliche Leiter der Ambulatorien von SOS-Kinderdorf Kärnten, spricht von einer Alarmstufe rot. 

KÄRNTEN. Ein krisengeplagter Alltag, fehlende Leitbilder, Fake-Diagnosen und Fake-Identitäten aus dem Internet beeinflussen Kinder und Jugendliche negativ. Auch der Ort Schule löst bei vielen jungen Menschen enormen Druck aus. Viele sind komplett überfordert. Die Betroffenen leiden sehr häufig an einer Identitätsproblematik. Die Frage nach dem "Wer bin ich?" stellt viele Therapeuten derzeit vor zusätzliche Herausforderungen und akuten Handlungsbedarf. 

Dramatische Lage

"Wir haben es aktuell mit einer dramatischen Lage zu tun, in der es österreichweit nach wie vor viel zu wenige Therapieplätze, beziehungsweise Kassenplätze gibt. Wir reden von Alarmstufe rot. Wir leben in einer chaotischen, unstrukturierten Gesellschaft. Diese nicht enden wollende krisengebeutelte Zeit hat drastische Auswirkungen auf unsere Kinder und Jugendlichen, die wir im Hermann-Gmeiner-Zentrum täglich zu spüren bekommen", so Christoph Schneidergruber.

Hermann-Gmeiner-Zentrum

Das Hermann-Gmeiner-Zentrum in Villach und Moosburg, ist eine offene, ambulant therapeutische Einrichtung von SOS-Kinderdorf, wo alle Kinder, Jugendlichen und ihre Eltern kärntenweit willkommen sind. Die Fälle der jungen Patienten sind multikomplex. Was sich derzeit aber immer wieder herausstellt, ist eine große Identitätsproblematik. Im Quartal gibt es durchschnittlich 180 Therapieplätze. "Dabei sind wir allerdings ständig am Jonglieren, wer bräuchte jetzt mehr, wer kann mal pausieren. Da reden wir noch lange nicht von der langen Warteliste all derer, die auch dringend eine Therapie bräuchten und noch ganz am Ende der Warteschlange stehen", sagt Schneidergruber.

Krisengeplagter Alltag

"Durch einen krisengeplagten Alltag, überlastete Familien und die Darstellung oft unrealistischer Lebenswelten und Fake – Identitäten im Internet, wird es der Jugend nicht leicht gemacht authentische Vorbilder für eigene Werte und Ziele zu finden. Scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten führen oft zu mehr Verunsicherung als Orientierung. Gescheiterte Versuche einen Platz in der Clique, sowie seine ganz individuelle Identität zu finden, beeinflussen die Selbstwertentwicklung erheblich. Dies kann langfristig zu psychischen Problemen wie sozialer Rückzug oder Depressionen führen. Wir erleben Jugendliche, die sich mit einer Störung identifizieren, um überhaupt eine Identität zu haben. Das ist wirklich bedenklich", erklärt Schneidergruber.

Christoph Schneidergruber, der fachliche Leiter der Ambulatorien von SOS-Kinderdorf Kärnten | Foto: SOS-Kinderdorf
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Gefahr von Fake-Diagnosen

Entsprechende Entwicklungen sind auch bei Rat auf Draht zu beobachten. Die Beratungen drehen sich in letzter Zeit vermehrt darum, dass Jugendliche Hilfe bei dubiosen Online-Angeboten suchen, die mit kurzen Tests Diagnosen wie ADHS oder Autismus versprechen. "Jeder junge Mensch hat das Recht auf eine angemessene Behandlung ohne sich der Gefahr solcher Fake-Diagnosen aussetzen zu müssen", betont Schneidergruber.

Im Stich gelassen

"Junge Menschen werden jedoch aktuell in Österreich mit ihren Gesundheitsanliegen und dabei vor allem mit ihren psychischen Problemen unendlich lange im Stich gelassen." Das führe für jedes einzelne betroffene Kind zu einer Verschlechterung ihrer individuellen Lebens- und Gesundheitssituation. Diese dramatische Situation von Kindern und Jugendlichen brauche aktuell mehr Aufmerksamkeit, Innovation und Budget von allen Seiten. 

Zwei-Klassen-Medizin

Aktuell gibt es in Österreich rund 300 Kassenfachärzte und 327 Wahlärzte für Kinder- und Jugendmedizin. Das kassenfinanzierte Angebot hinkt dem privat zu finanzierendem weit nach und ist bei weitem nicht ausreichend, da von den vorhandenen Kassenplätzen auch immer wieder welche für längere Zeit gar nicht besetzt werden können. "Wir haben es hier vollumfänglich mit einer Zwei-Klassen-Medizin zu tun", kritisiert das SOS-Kinderdorf. "Eltern die schneller zu Terminen für ihre Kinder kommen möchten, müssen dafür in die eigene Tasche greifen. Wer sich das nicht leisten kann, muss mit den häufig negativen Auswirkungen leben. Diese Situation können und wollen wir nicht akzeptieren", so SOS-Kinderdorf. 

Rasches Handeln

"Die Gesundheit braucht klare gesellschaftliche Haltungen. Wir müssen uns fragen, was macht mich gesund und was ist ein gesundes Leben. Um dies zu ermöglichen müssen nun von vielen Seiten Handlungen gesetzt werden, sowohl der Gesundheitsminister, als auch die Länder, die Sozialversicherungsträger und die Ärztekammern müssen rasch ins Handeln kommen", sind sich die Experten einig.

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