Lesestoff auf Rädern
Die Mobile Bibliothek freut sich über 1.000 Entlehnungen im ersten Jahr
Seit Juli 2019 ist die Mobile Bibliothek in der Pyhrn-Priel-Region unterwegs. Das Kooperationsprojekt der Orte Hinterstoder, Klaus und Steyrling zeigt, dass Bücher keineswegs „Out“ sind. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter ziehen eine positive Bilanz.
HINTERSTODER, KLAUS. Jeden ersten Montag des Monats zieht ein Traktor ein kleines Holzhaus voller Bücher durch das Tal zwischen Hinterstoder, Klaus und Steyrling. Die Mobile Bibliothek – kurz MoBib – liefert Lesestoff direkt dorthin, wo sich das Leben der kleinen oberösterreichischen Dörfer abspielt. Neben der Schule, beim Gemeindeamt oder dem Dorfladen holt die MoBib Lesefreudige direkt bei ihren alltäglichen Erledigungen in den Ortszentren ab.
Mobile Architektur als Begegnungsort
Seit Juli 2019 betreiben Ehrenamtliche mit viel Engagement und Leidenschaft die MoBib. Das erste Jahr des Betriebs zeigte, wie Passanten quasi im Vorbeigehen zu Lesern wurden. „Die Mobile Bücherei als literarische Nahversorgung ist gänzlich gelungen. In den ersten Monaten war ich total überrascht, wie viele Einheimische zu richtigen Leseratten wurden. Besonders das große Interesse der Kinder ist sehr erfreulich“, sagt die Bibliotheksmitarbeiterin Conny Pachleitner. Mit mehr als 150 aktiven Nutzern und über 1.000 ausgeliehenen Medien nach einem Jahr Betrieb wurden die Erwartungen der Initiatoren deutlich übertroffen.
Mehr als nur Lesestoff
Die Mobile Bibliothek bietet aber mehr als nur Lesestoff, sie ist auch ein Ort der Begegnung. Im Sommer stehen die großen Flügeltüren offen und laden so Kinder vom danebenliegenden Spielplatz ein, mit einem Buch in den Liegestühlen davor zu versinken oder auf einer Picknickdecke ein ausgeborgtes Spiel zu spielen. Bibliotheksmitarbeiterin Susanne Stubenvoll erzählt, wie auch Eltern angezogen werden: „Weil die MoBib so zentral im öffentlichen Raum steht, sinkt für Eltern und Kinder die Hemmschwelle in die Bücherei zu kommen“, sagt Susanne Stubenvoll. Auch ihre Kollegin Conny Pachleitner schätzt das kommunikative Element bei der Arbeit: „Ganz nebenbei ergeben sich interessante Gespräche, literarischer Austausch und neue persönliche Kontakte.“
Initiiert und gebaut wurde die MoBib vom Architekturstudenten Florian Radner, der das Projekt im Rahmen seiner Diplomarbeit gemeinsam mit Ehrenamtlichen aus den drei Orten entwickelte. Etwa ein Jahr lang wurde in gemeinsamen Workshops an dem Projekt getüftelt. „Ich wollte mit dem Projekt zeigen, dass innovative und etwas schräge Architektur auch am Land ihren Platz hat. Und, dass Buch und Traktor wunderbar zusammenpassen“, so Radner, der sich hauptberuflich beim Architekturbüro nonconform mit der Aktivierung von Ortszentren beschäftigt.
Mit Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet
Im Mai 2018 gab es für die Projektidee den Nachhaltigkeitspreis des Österreichischen Umweltbundesamtes. Öffentliche Förderungen aus dem LEADER-Programm und Sponsoring lokaler Unternehmen ermöglichten die Finanzierung, sodass das Projekt schließlich umgesetzt werden konnte. Florain Radner konstruierte den Holzbau in Eigenregie am landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern im Almtal. Das verwendete Holz stammt aus den Wäldern der Region.
Bücherei, Klassenzimmer, Freiluftbühne
Ist die Mobile Bibliothek vor Ort, kann man Bücher und Spiele ausleihen. Die Bücherei hat je nach Standort fixe Öffnungszeiten. In der Regel ist sie zwei bis dreimal pro Woche für drei Stunden geöffnet.
Dank ihrer Mobilität kann die Bibliothek jeweils an gut besuchten Orten Halt machen. So parkt die MoBib in Hinterstoder zwischen Gemeindeamt und öffentlichem Spielplatz, in Klaus neben dem Freibad und in Steyrling neben dem Dorfladen, einem beliebten Nahversorger. Die MoBib profitiert also von der vorhandenen Frequenz öffentlicher Orte und belebt diese zusätzlich.
Da es sich bei den teilnehmenden Gemeinden um Tourismusgemeinden handelt, richtet sich das Angebot der MoBib gleichermaßen an Einheimische wie Gäste und ergänzt somit das touristische Angebot vor Ort.
Neben dem normalen Bibliotheksbetrieb ist es möglich, die MoBib auch für andere Zwecke zu nutzen. In der warmen Jahreszeit kann sie den lokalen Schulen und Kindergärten als mobiler Klassenraum für den Unterricht an unterschiedlichen Standorten dienen. So dient die Mobile Bibliothek den Kindern und Lehrern als eine Art Basisstation – und der Unterricht kann für einige Tage von der Schule in den Wald verlegt werden. Die Kinder können dort forschen, spielend die Umwelt entdecken und ihrer Neugierde freien Lauf lassen – das alles mitten in der Natur.
Raum und Rahmen für besondere Anlässe
Die MoBib bietet außerdem einen Raum und Rahmen für besondere Anlässe. Mit geöffneten Flügeltüren war sie bei der Eröffnung als Bühne für die Kinderbuchautorin Susanne Knauss im Einsatz. Zwei Wochen später las Helmut Neundlinger im Rahmen des Landinger Sommer aus seinem aktuellen Buch. Aber auch für kleinere Konzerte, Bücherflohmärkte oder Ähnliches ist sie bestens geeignet.
Strukturschwache Gemeinden sind besonders häufig von Abwanderung und Einsparungen im Freizeit- und Kulturangebot betroffen. Attraktive Treffpunkte werden weniger und der öffentliche Raum verliert zunehmend an Bedeutung. Vor allem für (junge) Frauen – jene Bevölkerungsgruppe, deren Abwanderung vielen strukturschwachen Gemeinden das meiset Kopfzerbrechen bereitet – gibt es kaum öffentliche Treffpunkte. Die MoBib soll als Ort der Begegnung Teilhabe und Gemeinschaft ermöglichen. Das war auch einer der Gründe, warum das Projekt durch LEADER – ein Maßnahmenprogramm zur Stärkung des ländlichen Raumes – gefördert und durch den Nachhaltigkeitspreis des Umweltbundesamtes ausgezeichnet wurde.
Für kleinere Gemeinden stellt dieses Konzept also aus verschiedenen Gründen eine sinnvolle Alternative zu einer konventionellen Bücherei dar. „Das Teilen einer gemeinsamen Bücherei spart Ressourcen und fördert den Austausch unter den Gemeinden. Die Kooperationskultur in der Region wird dadurch gestärkt“, so LEADER Regionalmanager Felix Fössleitner.
Nachfrage übertrifft alle Erwartungen
Mit mehr als 1.000 Entlehnungen im ersten Jahr (Stand Ende August 2020) wurden die Erwartungen der Initiatoren übertroffen. Über 150 Nutzer zählt die MoBib aktuell. Wobei diese vor allem von erwachsenen Frauen (55 Prozent) sowie von Kindern und Jugendlichen (40 Prozent) genutzt wird. Kinderbücher und Belletristik sind besonders beliebt, gefolgt von Sachbüchern und Spielen.
„Dieses Projekt ist nicht nur für unsere Gemeinde mit ihren zwei Orten, sondern für die ganze Region sinnvoll. Für ein kleines Dorf alleine ist eine eigene Bibliothek fast nicht realisierbar. Die Mobile Bibliothek bringt das Lesen an belebte Punkte und damit direkt zu den Leuten“, sagt dazu Rudolf Mayr, Bürgermeister von Klaus. Sein Amtskollege Helmut Wallner aus Hinterstoder ergänzt: „Wir haben schon seit einigen Jahren keine Bibliothek mehr. Jene, die wir früher hatten, war veraltet und niemand hat sich mehr dafür interessiert. Mit der MoBib hatten wir die Chance, für unsere Kinder, Einheimischen und Gäste ein Angebot zu schaffen, das einfach zu einem Ort dazu gehört.“
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