Unsicherheit bei den Ortschefs

In den Gemeindestuben rauchen die Köpfe. Kommunen können nur mehr beschließen, was das Land absegnet.
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  • hochgeladen von Franz Staudinger

BEZIRK (sta). Oberösterreichs Gemeindefinanzierung ist mit Anfang des Jahres auf völlig neue Beine gestellt worden. Das "Bittstellen" der Ortschefs vor dem jeweils zuständigen Landesrat ist einem transparenten Zuweisungsmodell gewichen. Das Geld aus den Bedarfszuweisungen wird aus vier Töpfen verteilt (siehe Zur-Sache-Kasten rechts). Auch mehr direkte Verantwortung und Gestaltungsspielraum bei Projektfinanzierungen soll den Kommunen damit gegeben werden. Ein standardisiertes System verspricht maximale Planungssicherheit ab dem Gemeinderatsbeschluss. Diese Vorteile sieht auch ÖVP-Bürgermeister Helmut Hechwarter aus Ried/Traunkreis. Seine Gemeinde ist in der glücklichen Lage, keine "Abgangsgemeinde" zu sein. Die frei verfügbaren Mittel sind 2018 mit 350.000 Euro, im Vergleich zum Vorjahr, etwa gleich geblieben. "Wir können mit der neuen Gemeindefinanzierung ganz gut leben. Schwieriger wird die Situation aber bei den Abgangsgemeinden, die strenge Vorgaben und Auflagen seitens des Landes erhalten haben." SPÖ-Bürgermeister Wolfgang Veitz aus Kirchdorf dazu: "Neue Projekte werden künftig aus dem Projektfonds gefördert. Für Kirchdorf ist eine Förderquote von 24 Prozent festgelegt worden. Bei einem Bauvorhaben in der Höhe von einer Million Euro muss die Stadt 760.000 Euro selber aufbringen. Davon muss ein Drittel, also 250.000 Euro, aus Eigenmitteln kommen. Ich frage mich, wie das als Abgangsgemeinde gehen soll?"

"Gefahr in Verzug"

Auch die SPÖ-Bezirksvorsitzende und Bürgermeisterin von Steinbach/Ziehberg, Bettina Lancaster, sieht dunkle Wolken aufziehen. "Im ordentlichen Haushalt gilt es ausgeglichene Rechnungsvoranschläge zu erstellen. Kann eine Gemeinde dies aus eigener Kraft nicht leisten, ist sie auf den Härteausgleichsfonds angewiesen. Damit ist aber das Erfüllen von Kriterien verbunden, um Geldmittel zu lukrieren. Abgaben und Gebühren müssen in den meisten Fällen entsprechend erhöht werden und Ausgaben und Leistungen der Gemeinde für ihre Bürger reduziert werden. Betroffen sind unter anderem auch die Abgeltung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr sowie Vereinsförderungen. Für Gemeinden unter 1.500 Einwohner wird es in Zukunft aus meiner Sicht besonders eng. Ich sehe Gefahr in Verzug – ein schleichender Motor für die Zusammenlegung von Gemeinden."

Vier Fondsmodelle

Der Strukturfonds beinhaltet Bedarfszuweisungsmittel an die Gemeinden von insgesamt 66 Millionen Euro und sichert damit eine finanzielle Grundausstattung. Die Verteilung erfolgt nach aufgaben- und finanzkraftorientierten Kriterien. Mit dem Härteausgleichsfonds soll es ermöglicht werden, dass alle Gemeinden einen ausgeglichenen Haushalt erstellen können. Der Projektfonds dient zur Finanzierung der kommunalen Infrastruktur. Jährlich stellt das Gemeinderessort dafür an die 70 Millionen Euro zur Verfügung. Der Regionalisierungsfonds ist mit bis zu 15 Millionen Euro ausgestattet und steht für gemeindeübergeifende oder regionale Kooperationsprojekte zur Verfügung.

Stimmen:

Helmut Wallner, Bürgermeistersprecher und Bürgermeister in Hinterstoder:
„Die Gemeindefinanzierung NEU ist eine gut gemeinter Versuch zur Steuerung der Gemeindefinanzen. In der Umsetzung stellt sich allerdings heraus, dass es noch sehr viele Probleme gibt, die zu lösen sind. Viele Aufgaben die in den letzten Jahren verstärkt auf die Gemeinden zugekommen sind müssen auch abgedeckt und finanziert werden (wie zB Straßenerhaltung, Schneeräumung und Erhaltung der touristischen Infrastruktur).“

Christian Dörfel, ÖVP-Bezirksvorsitzender und Bürgermeister in Steinbach/Steyr:
"Die 'Gemeindefinanzierung NEU' ist grundsätzlich positiv, weil sie mehr Transparenz und bessere Planbarkeit, aber auch mehr Eigenverantwortung bringt. Insgesamt wird die Gemeindeautonomie gestärkt, weil die Gemeinderäte mehr Entscheidungsfreiheit haben, wie sie das zur Verfügung stehende Steuergeld einsetzen. Dadurch steigt aber der Druck, die einzelnen Ausgaben zu hinterfragen und Leistungen kostendeckend zu verrechnen, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Gemeinden zu verstärken. Vor allem bei der Investitionstätigkeit wird es zu wesentlichen Veränderungen kommen, weil in Zukunft Projekte erst ab einer gewissen Größenordnung vom Land finanziell unterstützt und bestimmte Vorhaben, wie z.B. Veranstaltungszentren oder Bäder nur mehr als Kooperationsprojekt mehrerer Gemeinden gefördert werden. Tendenziell werden einwohnerstarke, aber finanzschwache Gemeinden profitieren, weil sowohl bei der finanziellen Grundausstattung als auch bei Projektfinanzierungen auf die Pro-Kopf-Finanzkraft abgestellt wird. Das heißt, 'arme' Gemeinden erhalten prozentuell mehr Geld vom Land als 'reiche' Gemeinden. Dadurch soll erreicht werden, dass in allen Gemeinden annähernd gleiche Rahmenbedingungen herrschen. Für Steinbach an der Steyr mit 2.000 Einwohnern, geringer Finanzkraft und ausgeglichenem Budget bringt das neue System zweifellos Vorteile."

Bettina Lancaster, SPÖ-Bezirksvorsitzende und Bürgermeisterin in Steinbach/Ziehberg:
"Im Ordentlichen Haushalt gilt es, ausgeglichene Rechnungsvoranschläge zu erstellen. Kann eine Gemeinde dies aus eigener Kraft nicht leisten, ist sie auf den Härteausgleichsfonds angewiesen. Mit dem Zugriff auf den Härteausgleichsfonds ist die Erfüllung von Kriterien verbunden um Geldmittel zu lukrieren. Abgaben und Gebühren müssen in den meisten Fällen entsprechend erhöht werden und Ausgaben bzw. Leistungen der Gemeinde für ihre BürgerInnen reduziert werden. Betroffen sind unter anderem auch die Abgeltung der Einsatzbereitschaft der Freiwilligen Feuerwehr sowie Vereinsförderungen. Die Rechnungsvoranschläge werden vor Genehmigung von Mitteln aus dem Härteausgleichsfonds vom Amt der OÖ Landesregierung geprüft beziehungsweise genehmigt. Der Gemeinderat kann nur beschließen, was vom Land abgesegnet wird. Viele Gemeinden verfügen im Jänner noch über keinen beschlossenen Rechnungsvoranschlag 2018 und sind auf Notbetrieb. Anscheinend schlägt sich der Prüfungs- und Genehmigungsaufwand bei Härteausgleichgemeinden auch in einer Zeitverzögerung zu Lasten der Gemeinden nieder. Besonders betroffen sind strukturschwache Gemeinden im ländlichen Raum, also Gemeinden mit geringer Bevölkerungsdichte und niedrigen eigenen Einnahmen. Für diese Gemeinden wird es in der Zukunft eng. Vielleicht wurde mit der Maßnahme Gemeindefinanzierung Neu auch deren Ende eingeläutet, ohne es direkt artikulieren zu müssen. Für Gemeinden unter 1500 EinwohnerInnen wird es besonders eng. Neubauten beziehungsweise Sanierungen von Gemeindeämtern und Bauhöfen erhalten nach der neuen Finanzierung keine Landesgelder mehr. „Gefahr im Verzug!“, der schleichende Motor für Gemeindezusammenlegungen ohne Zwang! Ein Bekenntnis des Landes zum Bestand der kleineren Gemeinden im ländlichen Raum sieht anders aus."

Helmut Hechwarter, Bürgermeister in Ried im Traunkreis:
"Generell soll die Gemeindefinanzierung NEU ein objektives und transparentes Fördersystem schaffen, das abhängig von der Finanzkraft die Gemeindeautonomie und –verantwortung stärkt. Für Ried im Traunkreis bedeutet die Gemeindefinanzierung NEU eine gewisse Budget- und Planungssicherheit für zukünftige Projekte. Die Gemeindefinanzierung NEU besteht aus 4 Säulen: dem 'Strukturfonds' – im Jahr 2018 EUR 66 Mio (Stärkung Gemeindeautonomie durch Vorwegverteilung von BZ-Mitteln), dem 'Projektfonds' – EUR 70 Mio (Finanzierung Infrastruktur-Projekte), dem 'Härteausgleichfonds' - EUR 10 Mio (Haushaltsaugleich, Eigenmittelanteil von Infrastruktur-Projekten) und dem 'Regionalisierungsfonds' – EUR 15 Mio (Gemeinde-Kooperationen). Von Bedeutung für unsere Gemeinde ist derzeit nur der Struktur- und Projektfonds. Nachdem wir keine Abgangsgemeinde (Härteausgleichsgemeinde) sind und aktuell keine größeren Gemeindekooperationen anstehen betreffen uns die beiden anderen Fonds  nicht! Abhängig von einem aufgabenorientierten Schlüssel (z.B. Kinderbetreuung und Pflichtschulaufgaben, Kilometer Gemeindestraßen und Güterwege etc.) gibt es jährlich aus dem Strukturfonds Gelder, die wir bisher zum großen Teil über Bedarfszuweisungen bzw. Landeszuschüsse erhalten haben. Im Jahr 2018 beträgt dieser Betrag für uns EUR 151.000,--. Dieser Betrag fließt in unseren „Ordentlichen Haushalt“ ein. Leider werden 2018 die Gelder aus dem Strukturfonds durch die starken Steigerungen der Beträge in der Sozialhilfe bzw. Krankenanstalten zur Gänze aufgebraucht. Beim so genannten Projektfonds erhalten wir aufgrund unserer Finanzkraft einen fixen Prozentsatz der Investitionskosten. In unserem Fall würden wir für Infrastrukturprojekte wie Schulbau, Bauhof, Feuerwehr-Zeugstätten, Kommunalfahrzeuge etc. 43 Prozent der Kosten aus diesem Fonds erhalten. Der Rest muss von der Gemeinde aufgebracht werden. Straßenbauten werden mit dem Projektfonds leider nicht mehr gefördert. Natürlich sind gewisse Voraussetzungen, wie positive Bedarfsprüfung, Kostendämpfungsverfahren, gesicherte Gesamtfinanzierung, erforderlich. Wichtig ist dabei auch der Eigenanteil der Gemeinde an den Projekten, Während 'Härteausgleichsgemeinden' 100 Prozent der Eigenmittel angespart haben müssen, beträgt dieser Anteil bei Ausgleichsgemeinden wie Ried im Traunkreis 1/3. Mittelfristig planen wir die Sanierung unserer Volksschule, ein größeres Projekt, das nach der 'Finanzierung NEU' abgewickelt werden wird. Wir können mit der 'Gemeindefinanzierung NEU' ganz gut leben, unsere frei verfügbaren Mittel sind 2018 trotz der oben genannten Steigerungen mit etwa 350.000 Euro ähnlich wie im Vorjahr. Schwieriger ist die Situation bei den Abgangsgemeinden, die strenge Vorgaben und Auflagen seitens Landes OÖ erhalten haben. Ich denke aber, dass eine baldige Evaluierung erfolgen wird."

Wolfgang Veitz, Bürgermeister in Kirchdorf:

"Die mit 1.1.2018 in Kraft getretene Reform der Gemeindefinanzierung mag für so manche Gemeinde sehr positiv sein. Für Kirchdorf trifft dies aus meiner Sicht auf keinem Fall zu. So erhält die Stadt in Zukunft für Investitionen aus dem so genannten Strukturfonds jährlich 84.000 Euro. Diese Förderung inkludiert jedoch auch sämtliche Straßensanierungen. Da würden wir allein die Straßeninstandhaltung betreffend fast nichts mehr machen können. Denn es stehen ja jährlich auch notwendige Investitionen an. Neue Projekte werden vom Land nun aus dem Projektfonds gefördert. Da ist für Kirchdorf eine Förderquote von 24 Prozent festgelegt worden. Das bedeutet, dass für ein Vorhaben in der Höhe von 1 Million Euro die Stadt 760.000 Euro selbst aufzubringen hat. Wobei ein Drittel, also 250.000 Euro, aus Eigenmittel sein müssen. Ich frage mich derzeit, wie dies für Kirchdorf gehen soll. Wir werden nun Lösungen suchen müssen, damit es zu keinem Stillstand bei den Investitionen kommt und die wichtigen und notwendigen Projekte wie etwa die Sanierung des Pflichtschulzentrums trotzdem umgesetzt werden können. Jedenfalls zählt Kirchdorf definitiv nicht zu den Profiteuren von dieser Gemeindefinanzierung neu."

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