Missbrauch
Selbsthilfegruppe feiert zehnjähriges Jubiläum in Wörgl

Alexandra Salvenmoser leitet die Selbsthilfegruppe "Lebenslang doch endlich frei". Seit 2011 finden Treffen für Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung in Wörgl statt.   | Foto: Barbara Fluckinger
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  • Alexandra Salvenmoser leitet die Selbsthilfegruppe "Lebenslang doch endlich frei". Seit 2011 finden Treffen für Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung in Wörgl statt.
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Die Selbsthilfegruppe „Lebenslang, doch endlich frei“ in Wörgl feiert am 11. Februar 2021 ihr 10-jähriges Bestehen. Leiterin Alexandra Salvenmoser sprach mit den BEZIRKSBLÄTTERN darüber, warum die Gruppe in Tirol einzigartig ist und wie Frauen, die von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung betroffen sind, hier die Möglichkeit finden, sich Hilfe zu suchen. 

WÖRGL (bfl/red). "Lebenslang doch endlich frei" – unter diesem Motto treffen sich Frauen seit zehn Jahren in Wörgl in einer gleichnamigen Selbsthilfe Gruppe. Was sie eint, ist eine Vergangenheit gekennzeichnet von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung, und der Wunsch diese zu verarbeiten. 
Am 11. Februar 2011 fand das erste Treffen der Selbsthilfegruppe "Lebenslang doch endlich frei" in Wörgl statt, damals mit sieben Teilnehmern. Gegründet hat die Gruppe Christine Deutschmann, seit 2013 leitet Alexandra Salvenmoser die Gruppe. Nach der Gründung fand über die zehn Jahre hinweg in der Regel alle 14 Tage ein Treffen in den Räumlichkeiten des Sozialsprengels Wörgl statt. Dieser Tage müssen sich auch die sechs derzeitigen Mitglieder der Selbsthilfegruppe umstellen, sie treffen sich derzeit aus Platzgründen in den privaten Räumlichkeiten einer Teilnehmerin, um so genügend Abstand zu halten und alle notwendigen Maßnahmen einhalten zu können. 

Sicherer Raum für Austausch

Am Kern der Treffen ändern die veränderten Umstände wenig: Die Teilnehmer – vorwiegend Frauen – sprechen über ihre Erlebnisse, Traumen und Erfahrungen. Die meisten der Teilnehmerinnen waren Kinder oder Jugendliche zum Zeitpunkt des Verbrechens. Mehr als die Hälfte der Täter waren ihnen bekannte Personen, oftmals Vertrauenspersonen. Alle haben ähnliche Geschichten erlebt und benötigen ein sicheres Umfeld, in dem sie über das Erlebte sprechen können. Die Gruppe bietet ihnen mit den Treffen genau das. "Es ist insofern wichtig, weil man endlich einmal mit jemandem reden kann, der einfach auch versteht, wie es einem geht", sagt Gruppenleiterin Alexandra Salvenmoser. Ein Therapeut könne zwar wichtige und unbedingt notwendige therapeutische Hilfe bieten, betont Salvenmoser, aber er könne nie verstehen, wie es dem Opfer in der Situation gegangen ist. 

Opfer von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung benötigen ein sicheres Umfeld, in dem sie über das Erlebte sprechen können. Das bietet ihnen die Selbsthilfegruppe.  | Foto: Pixabay
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Treffen im 14-Tage-Rhythmus

Die Treffen finden alle zwei Wochen immer abends statt und werden von den Teilnehmerinnen gestaltet. Man teilt sich die Arbeit und die Verantwortung. Wie die Abende sich entwickeln ist personalisiert und individuell. Jede Teilnehmerin hat dort ein Umfeld, in dem sie offen über alles sprechen kann. Die Themen, welche behandelt werden, können vorab besprochen werden. Auch für Krisen und schwierige Lebensumstände ist Platz in diesem sicheren Raum. Die Gruppe informiert und stützt sich gegenseitig. Erfahrungen über Prozessabläufe und Stellen, wo Betroffene um Hilfe ansuchen können, werden ausgetauscht und Teilnehmerinnen, die den unsagbar mutigen Schritt gemacht haben ihre Täter anzuzeigen, begleiten einander bei den Treffen durch diese schwere Zeit.
„Es kommt auf die Teilnehmerinnen an“, sagt eine der Überlebenden, als man sich über das Jubiläum der Gruppe unterhielt. „Die Personen kreieren die Atmosphäre und gestalten den sicheren Raum, in dem andere Überlebende einen Ort finden können, um über das Trauma zu sprechen. Oft zum ersten Mal.“ Die Gruppe funktioniert so gut, weil alle gemeinsam Rahmen und Inhalt beschließen, gleichwertig und füreinander da sind. Alle finden hier offene Ohren und gegenseitiges Verständnis. Es werden immer wieder Fachleute und Therapeuten eingeladen, die Fragen beantworten und Hilfestellung geben. Die Selbsthilfegruppe ist jedoch kein Ersatz für persönliche Therapien, welche viele Mitglieder parallel in Anspruch nehmen.

Normalerweise finden die Treffen in Räumlichkeiten des Sozialsprengels Wörgl statt. Während der Pandemiezeit müssen die Teilnehmerinnen eine Alternative für ihre Treffen wählen.  | Foto: Barbara Fluckinger
  • Normalerweise finden die Treffen in Räumlichkeiten des Sozialsprengels Wörgl statt. Während der Pandemiezeit müssen die Teilnehmerinnen eine Alternative für ihre Treffen wählen.
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Einzige Gruppe in Tirol 

Dabei ist die Gruppe als einzige langfristig aktive Selbsthilfegruppe für sexuellen Missbrauch in Tirol beim Dachverband „SelbstHilfe Tirol“ registriert. Weitere Gruppen, die in Innsbruck und Hall situiert waren, haben in der Vergangenheit keine durchgehenden Treffen durchgeführt bzw. sind bereits wieder geschlossen. Entsprechend groß ist das Einzugsgebiet für die Wörgler Gruppe, fahren derzeit doch sogar Teilnehmerinnen aus dem Zillertal und St. Johann zu den Treffen. 
Knapp vierzig Mitglieder hat die Gruppe seit ihrer Gründung kommen und gehen sehen. Im Durchschnitt besteht sie aus zehn aktiven Mitgliedern, die meist über zwei Jahre regelmäßig an den Treffen teilnehmen. Diese Zahl der ehemaligen und aktiven Mitglieder zeigt den Bedarf für einen sicheren Raum. Die Betroffenen sehen sich nicht mehr als Opfer, sondern als Überlebende.
„Wir helfen einander“, sagt eine der Teilnehmerinnen. „Auch an Tagen, an denen ich nicht die Kraft aufzubringen glaube, um hingehen zu können, gehe ich hin. Denn dort finde ich Kraft, sehe sie an den Frauen, die in den Jahren über sich hinausgewachsen sind. Und auch an den Tagen, an denen ich meine, die Gruppe vielleicht nicht mehr zu brauchen, gehe ich hin. Denn vielleicht brauche nicht ich ein offenes Ohr, aber jemand anderer.“ 
"Ziel ist weiterhin, dass wir möglichst vielen Damen helfen können, dass sie ihren Weg finden und wieder zurückfinden zu einer gewissen Normalität", sagt Salvenmoser abschließend. 

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