Menschen im Gespräch
"Menschen steigen nicht in Schlauchboote, weil es bei uns so schön ist"

Anja Krohmer kennt die Zustände auf Lesbos und fordert Österreich auf, sich an der Evakuierung zu beteiligen. | Foto: BRS/Diabl
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  • Anja Krohmer kennt die Zustände auf Lesbos und fordert Österreich auf, sich an der Evakuierung zu beteiligen.
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Die Linzerin Anja Krohmer hat sich selbst ein Bild der Lage im Flüchtlingslager Moria gemacht. Wir haben mit ihr über die Not der Menschen, Corona, mögliche Hilfe und ihre Forderungen an die heimische Politik gesprochen.

LINZ. Anja Krohmer, Geschäftsführerin des Verein Arcobaleno, war Anfang Juni für vier Tage auf der griechischen Insel Lesbos und hat das Flüchtlingslager Moria besucht.

Warum sind Sie nach Lesbos gereist?
Mir war es schon immer ein Anliegen, die Situation der Menschen dort zu verbessern. Der Verein Arcobaleno ist Teil der Plattform Solidarität, die sich für eine Evakuierung der in Moria festsitzenden Menschen einsetzt. Ich habe mir die Lage vor Ort angesehen und für Radio FRO Interviews mit Betroffenen gemacht.


"Die Not ist unbeschreiblich groß"

Wie war Ihr Eindruck von den Zuständen im Juni?
Es gibt kein Wort für das, wie es dort war. Und jetzt ist es noch schlimmer. Die Menschen leiden richtig, die Not ist unbeschreiblich groß. Es fehlt an allem, damals schon und jetzt noch mehr. Da waren keine ausreichenden Toiletten und Duschen, viel zu wenig Wasser, viel zu wenig Platz, nur selbst gebaute Behausungen und wenige Container. Es gab nur einen Militärarzt, keinen Augenarzt, keinen Zahnarzt, keinen Kinderarzt. Wenn man dort ankommt, muss man sich registrieren und dann bekommt man eine Decke und ein Zelt. Die sind für einen Wochenendausflug ganz angenehm, aber nicht als dauerhaftes Quartier. Das Schlimmste war aber die fehlende Sicherheit, jeder konnte rein und raus. Es gab viel zu wenig Polizisten. Viele haben sich nachts nicht mehr alleine auf die Toilette getraut.

Das Lager ist abgebrannt. Woran fehlt es jetzt am meisten?
Es fehlt an Unterkünften, an medizinischer Versorgung, noch mehr als damals, und es fehlt an Essen und an Wasser. Das neue Camp sind nur Zelte, kein Wasser, keine Toilette, nur der blanke Felsboden.


"Kein Container ist angekommen"

Obwohl eigentlich viele Hilfsgelder geflossen sind?
Ich finde das auch sehr merkwürdig. Meine Kontaktpersonen sagen, die griechischen Behörden fühlen sich nur für das Zentrum des Lagers, also 2.000 Personen, verantwortlich und jeder, der dort zu viel ist, hat eben Pech gehabt. Das Lager war ja nur als Registrierungszentrum angelegt, nicht als dauerhafte Unterkunft. Die Befürchtung der Menschen ist, dass das Camp, das jetzt nach dem Brand errichtet wird, das nur übergangsweise sein soll, auch wieder dauerhaft und überbelegt sein wird. Im Mai hat sich Österreich gerühmt, dass wir 181 Container nach Griechenland schicken. Bis heute ist kein einziger Container im Lager Moria angekommen.

Wer die Flüchtlinge unterstützen möchte, kann zum Beispiel für die Organisation "Stand by Me Lesvos" spenden. | Foto: BRS/Diabl
  • Wer die Flüchtlinge unterstützen möchte, kann zum Beispiel für die Organisation "Stand by Me Lesvos" spenden.
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Wie wird mit Corona umgegangen?
Als ich im Juni dort war, war das Lager unter Quarantäne und durfte offiziell nicht verlassen werden. Aber da es nach allen Seiten offen war, konnte jeder jederzeit rein und raus. Die Flüchtlinge selber haben am Haupteingang Waschstationen eingerichtet, zum Händewaschen. Masken hat damals keiner getragen, weil es einfach auch keine gab. Deshalb haben Hilfsorganisationen, wie 'Stand by Me Lesvos', angefangen, mit Geflüchteten Masken zu nähen. Abstand halten ist in einem überfüllten Lager unmöglich.

Was treibt die Menschen nach Lesbos?
Alle Menschen, die dort sind, sind übers Meer geflohen. Wenn ich mich und meine Kinder, die nicht schwimmen können, in ein Schlauchboot setze, dann mache ich das nur, wenn ich keine andere Wahl habe. Wenn ich nicht weiß, ob das Schiff heil ankommt oder wir unterwegs sterben, mache ich das nur, wenn ich keine andere Wahl habe. Als ich dort war, habe ich versucht, Optimismus zu verbreiten, aber das war unmöglich. Die Menschen hoffen, dass man als Europäer gute Nachrichten mitbringt. Oder sie fragen, warum Europa Angst vor Flüchtlingen hat.


"Wir müssen Verantwortung übernehmen"

Was erwarten Sie sich von den heimischen Politikern?
Dass sie Menschen aus Moria aufnehmen, Familien mit Kindern, Männer und Frauen und das schnell. Wir sind mitverantwortlich für das, was auf Lesbos passiert. Die Menschen steigen nicht in ein Schlauchboot, weil es bei uns so schön ist. Die europäische und die internationale Friedenspolitik schützt die Menschen nicht ausreichend und deshalb fliehen sie. Wir müssen schon Verantwortung übernehmen.

Woher kommen die Menschen?
Ein Großteil der Menschen, die ich dort gesehen habe, kommen aus Afghanistan, aber auch aus Syrien und ganz wenige aus Afrika.


"Das Geld kommt an"

Wie kann man als Linzer etwas tun?
Indem man mit seinen Volksvertretern spricht und sie davon versucht zu überzeugen, dass Linz und Oberösterreich Platz haben und wir Menschen aufnehmen können. Für die Akut-Hilfe vor Ort spenden wir, eine Reihe von Privatpersonen, Geld an unsere Partnerorganisationen „Stand by Me Lesvos“. Diese Organisation unterstützt geflüchtete Menschen, sich im Lager zu organisieren. Diese Teams machen das, was die Regierung nicht macht: Schule organisieren, Müll entsorgen, Masken austeilen. Jetzt, in dieser akuten Not, verteilt diese NGO Decken, Zelte und so weiter für Freiwillige, die den Flüchtlingen helfen. Wir haben Fotos gesehen: Das Geld kommt an.

Planen Sie eine weitere Reise nach Moria?
Ich hätte einen Flug für nächste Woche gehabt, der aber aufgrund von Corona storniert wurde. Ich hoffe, dass ich nie mehr dort hinfliegen muss, weil die Menschen evakuiert werden.

Anja Krohmer kennt die Zustände auf Lesbos und fordert Österreich auf, sich an der Evakuierung zu beteiligen. | Foto: BRS/Diabl
Wer die Flüchtlinge unterstützen möchte, kann zum Beispiel für die Organisation "Stand by Me Lesvos" spenden. | Foto: BRS/Diabl
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