Mordprozess ohne Mörder?

Die Anklage klingt ja recht heftig: Erwin F. (59) soll im Oktober 2017 in Neunkirchen das Opfer Frieda L. (70) mit insgesamt 35 Stichen gegen den Kopf, Hals- und Nackenbereich und Oberkörper, davon sieben in die Lunge und zwei auch ins Herz vorsätzlich getötet haben.

Die Richterin: Vizepräsidentin des Landesgerichts, Birgit Borns - souverän, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Die Staatsanwältin: Barbara Sengstschmid - keine Showlady, die Anklage kam kurz und bündig und rasiermesserscharf.
Der Angeklagte: Erwin F., ein potschertes Leben mit Scheidung, Drogen und Geldproblemen, voll mit Beruhigungsmittel am Prozesstag.
Seine Verteidiger: Die wohl besten für einen Geschworenenprozess in Stadt und Bezirk und darüber hinaus: Michael Dohr aus der Kanzlei "Austrolaw" Sommerbauer und Dohr. An seiner Seite: Kristina Johannides und Amir Ahmed.

Dohr in seinem Eröffnungsplädoyer an die Geschworenen: "Dieser Fall ist nicht gelöst und am Ende werden Sie sehen, dass mein Mandant nicht der Täter ist."

Ja, er war in der Wohnung, wo die Rentnerin getötet wurde.
Ja, er berührte die Tote.
Ja, er versuchte, das Blut wegzuwischen.
Nein, er erstach sie nicht. Er hatte keinen Grund dazu. Die Wohnungstüre stand offen, das kam ihm verdächtig vor. Der Rest ist wie in einem schlechten TV-Krimi. Er bekam Panik.
Die Polizei hatte ihren Verdächtigen. Einen Ex-Junkie, der wahrscheinlich aufs Geld der alten Frau aus war. Und die Ermittler könnten auch nachlässig gewesen sein, zumindest behauptet dies Verteidiger Dohr: "So schlampig darf man in Österreich nicht arbeiten, wenn es darum geht, dass ein Mensch lebenslang eingesperrt werden kann." Dohr kritisierte die unzureichenden Zeugeneinverenahmen (eine Frau will die Tote einen Tag nach der mutmaßlichen Tat gesehen haben...), die Handlungen am Tatort (Die Polizei riss die Fenster auf, unterließ es, die Raumtemperatur zu messen, die zum genauen Todeseintritt führen hätte können), weitere DNA-Spuren von anderen Personen in der Wohnung sollen unbeachtet geblieben sein.
Für Dohr das wichtigste Argument für die Unschuld von F.: Es gibt kein Tatmotiv. In der Wohnung der Toten wurden mehrere Tausend Euro gefunden, es wäre also ein Raubmord auszuschließen. Derart viele Messerstiche lassen ohnehin mehr auf eine Beziehungstat schließen, doch der Angeklagte kannte die Tote nur flüchtig (er war bei seiner Ex-Freundin zu Besuch, die in dem Haus wohnt).

Der erste Verhandlungstermin wurde für die Einvernahme eines sichtlich gezeichneten Angeklagten gebraucht. Im September kommen die Zeugen und die ermittelnden Beamten zu Wort.